Paydar H. über seine Flucht aus Syrien und die Entscheidung für Istanbul

Paydar H. ist ein Kurde aus Aleppo in Syrien. Nach der Bombardierung der Stadt im Jahr 2013 floh er im Alter von 24 Jahren mit seinem Bruder über Afrin in Syrien in die Türkei und erreichte am 15. Mai 2013 Istanbul. Nachdem er in Istanbul eine Wohnung gefunden hatte, kamen seine Eltern und seine Schwester nach. Er heiratete im Jahr 2015, hat zwei Kinder und arbeitet in einer internationalen Organisation als Dolmetscher. In diesem Interviewabschnitt spricht er über die Flucht aus Syrien und die Entscheidung für Istanbul.

Paydar H. in Istanbul. Privates Foto.

I am from Syria, Aleppo city. I was living in Aleppo city but I’m originally from Afrin city. But I didn’t live in Afrin at all. When the war started, I was studying in college, and I couldn’t continue because our place was bombed. So, my family ran away to Afrin first, then I followed them in March 2013, but Afrin wasn’t possible for me, it wasn’t the solution. No college, nothing. So, our situation became hard. […] So, I told my family, we’re getting short of money as well. My father had money, but he hasn’t been working for all over a year. We were spending his savings, so I told them that our savings will be finished in six months or one year. We could work with my brothers, we thought, we could work in Turkey. And with the fact in mind that the war was continuing and coming here within a period of time, this was a good idea.  […] So, we saw Turkey to be the best solution to come and work here, find a job to find the money to bypass the time of the war. First of all, you said it will be for six months or one year. When we first came, we weren’t thinking about like staying in here. It’s a social, financial situation that drove us to come to Turkey. […]

It was like Turkey was opening the door for everybody to come. You know at that time the doors were literally open. It was no borders, so you can go and if you don’t like it you can come back after 20 days or one month. So, everybody was going and coming at that time (2013). So, we said let’s try, we had some relatives here that have been working and they had a better life situation then Syria. […] In Turkey, you have everything. There is no war, you know. […]

We were smuggled through the border but it wasn’t smuggled really. The border then was opened, so you can just walk out. We walked, got to the other side, we had relatives in Turkey. My mother had relatives, my father had relatives, we have relatives both Turkish and Kurdish that live in Turkey site. Then we went to them. We stayed in Kırıkhan for one day until we got the pass, the bus tickets, we got the bus ticket and the next day with the bus ticket, we went directly to Istanbul. […]

I didn’t really choose Istanbul actually, we had already people living here. We know them and they were living here and working here in the same area that when we first came. And they said to us, there is work here if you want you can come here and find a house to rent. It’s cheap etc. So according to them we came here. I didn’t know anything about Istanbul. I know, I knew about Istanbul that is a city, it’s a big city, it’s between Europe and Asia and it’s a very historical city etc. but I really didn’t see it with my eyes. It was my first time in Turkey. I didn’t know how to speak Turkish. I was thinking about if I come here and speak English with everybody, I thought everybody speaks English and with my English, I can go everywhere. Like when I first came, it was a big shock (laughing). Then I was speaking Kurdish with people.

First, me and my two brothers we came, we stayed with some relatives for a couple days until we found the house and we rented it and after we rent a house and we prepared some furnitures, we bought some furnitures, I called my father and then my father, my mother and my sister came. All the family came after us. It was 12 days between us and them, so it wasn’t that much. […]

I was thinking [about staying] six months, one year. My brother had other ideas. He was thinking of going to Germany. I thought about getting back and continuing my university and finishing. I had this one year left before finishing university.

Now, I’m not thinking about going back anymore.

 

 

Paydar H. in Istanbul. Privates Foto.

Ich komme aus Syrien, aus der Stadt Aleppo. Ich habe in Aleppo gelebt, aber ursprünglich komme ich aus Afrin. Aber ich habe gar nicht in Afrin gelebt. Als der Krieg begann, studierte ich an der Universität, und ich konnte nicht weiter studieren, weil unser Haus bombardiert wurde. Also ist meine Familie zuerst nach Afrin geflohen, dann bin ich ihnen im März 2013 gefolgt, aber Afrin war für mich nicht möglich, es war nicht die Lösung. Kein College, nichts. Unsere Situation wurde also schwierig. […] Also habe ich meiner Familie gesagt, dass auch unsere Ersparnisse langsam erschöpft sind. Mein Vater hatte Geld, aber er hat seit über einem Jahr nicht mehr gearbeitet. Wir gaben seine Ersparnisse aus, also sagte ich ihnen, dass unsere Ersparnisse in sechs Monaten oder einem Jahr aufgebraucht sein würden. Wir könnten mit meinen Brüdern arbeiten, dachten wir, wir könnten in der Türkei arbeiten. Und in Anbetracht der Tatsache, dass der Krieg noch andauerte und früher oder später hierher kommen würde, war das eine gute Idee.  […] Also sahen wir die Türkei als die beste Lösung an, um hierher zu kommen und zu arbeiten, einen Job zu finden, um das Geld aufzutreiben, um die Zeit des Krieges zu überbrücken. Zunächst einmal sagte man sich, dass es für sechs Monate oder ein Jahr sein würde. Als wir kamen, dachten wir nicht daran, hier zu bleiben. Es ist eine soziale und finanzielle Situation, die uns dazu gebracht hat, in die Türkei zu kommen. […]

Es war, als würde die Türkei die Tür für alle öffnen. Wissen Sie, damals waren die Türen buchstäblich offen. Es gab keine Grenzen, man konnte also gehen und wenn es einem nicht gefiel, konnte man nach 20 Tagen oder einem Monat zurückkommen. Zu dieser Zeit (2013) kam und gingen also alle. Also sagten wir, lasst es uns versuchen, wir hatten einige Verwandte hier, die gearbeitet haben, und sie hatten eine bessere Lebenssituation als in Syrien. […] In der Türkei hat man alles. Es gibt keinen Krieg, weißt du. […]

Wir wurden über die Grenze geschmuggelt, aber es war nicht wirklich Schmuggel. Die Grenze wurde damals geöffnet, so dass man einfach rausgehen konnte. Wir gingen zu Fuß, kamen auf die andere Seite, wir hatten Verwandte in der Türkei. Meine Mutter hatte Verwandte, mein Vater hatte Verwandte, wir haben sowohl türkische als auch kurdische Verwandte, die in der Türkei leben. Dann sind wir zu ihnen gegangen. Wir blieben einen Tag in Kırıkhan, bis wir den Pass, die Bustickets bekamen, wir bekamen das Busticket und am nächsten Tag fuhren wir mit dem Busticket direkt nach Istanbul. […]

Ich habe mir Istanbul nicht wirklich ausgesucht, wir kannten schon Leute, die hier lebten. Wir kannten sie und sie lebten und arbeiteten hier in der gleichen Gegend, als wir ankamen. Und sie sagten uns, dass es hier Arbeit gibt: „Wenn ihr wollt, könnt ihr hierher kommen und ein Haus mieten. Es ist billig usw.“ Also kamen wir auf ihren Rat hin her. Ich wusste nichts über Istanbul. Ich wusste zwar, dass Istanbul eine Stadt ist, eine große Stadt, die zwischen Europa und Asien liegt und eine sehr geschichtsträchtige Stadt ist, aber ich habe sie nicht wirklich mit eigenen Augen gesehen. Es war mein erstes Mal in der Türkei. Ich konnte kein Türkisch. Ich dachte, wenn ich hierher komme und mit allen Englisch spreche, dann kann ich mit meinem Englisch überall hingehen. Als ich ankam, war das ein großer Schock (lacht). Dann habe ich mit den Leuten Kurdisch gesprochen.

Zuerst kamen meine beiden Brüder und ich, wir blieben ein paar Tage bei Verwandten, bis wir ein Haus gefunden hatten, das wir dann mieteten, und nachdem wir ein Haus gemietet und Möbel gekauft hatten, rief ich meinen Vater an, und dann kamen mein Vater, meine Mutter und meine Schwester. Die ganze Familie kam nach uns. Es waren 12 Tage zwischen uns und ihnen, es war also nicht so viel. […]

Ich dachte daran, sechs Monate oder ein Jahr [zu bleiben]. Mein Bruder hatte andere Vorstellungen. Er dachte daran, nach Deutschland zu gehen. Ich dachte daran, zurückzukehren und mein Studium fortzusetzen und abzuschließen. Ich hatte noch ein Jahr Zeit bis zum Abschluss der Universität.

Jetzt denke ich nicht mehr daran zurückzugehen.

Paydar H. ist ein Kurde aus Aleppo in Syrien. Nach der Bombardierung der Stadt im Jahr 2013 floh er im Alter von 24 Jahren mit seinem Bruder über Afrin in Syrien in die Türkei und erreichte am 15. Mai 2013 Istanbul. Nachdem er in Istanbul eine Wohnung gefunden hatte, kamen seine Eltern und seine Schwester nach. Er heiratete im Jahr 2015, hat zwei Kinder und arbeitet in einer internationalen Organisation als Dolmetscher. In diesem Interviewabschnitt spricht er über die Flucht aus Syrien und die Entscheidung für Istanbul.

 

Das Interview wurde von Elif Yenigun im Auftrag des We Refugees Archivs im März 2021 über Zoom auf Englisch geführt.

Übersetzung aus dem Englischen ins Deutsche © Minor.