Mascha Kaléko über Emigration und Heimweh im Frühling

In einem Interview mit dem Sender Freies Berlin am 01. Juni 1956 blickt die Dichterin Mascha Kaléko (1907–1975) auf ihre ersten Emigrationsjahre zurück und beschreibt das Heimweh, dass sie besonders im Frühling auch nach fast zwanzig Jahren in den USA überkommt.

Porträt-Fotografie von Mascha Kaléko, 1933 © Deutsches Literaturarchiv Marbach
Porträt-Fotografie von Mascha Kaléko, 1933 © Deutsches Literaturarchiv Marbach

Berlin, 1.6.1956 – SFB

Mascha Kaléko: „Von Amerika zu erzählen, das ist ein, wie man in Amerika sagen würde, it is a big order, ein ziemlich großer Auftrag, also ich will Ihnen nur von meinem kleinen Rahmen erzählen, ich brauche Ihnen auch nicht hier vorzuweinen, wie schlimm es war, Sie wissen, die Emigrantenjahre waren kein Vergnügen, sie waren sogar alles andere als das, aber wollen wir davon nicht sprechen. Ich habe dort einen wunderbaren Mann, den ich mir noch importierte aus Deutschland und ein Kind, das ich mir importierte, es war nämlich anderthalb Jahre alt als wir emigrierten. Ein recht begabtes und nettes Kind, das mir jetzt im Moment etwas fehlt. Und wir leben in Greenwich Village, das ist so eine Art Montmartre in New York und wir leben so ganz ordentlich. Wir haben wunderbare Menschen gefunden und haben auch Freunde und wir haben auch so etwas wie ein Heim gefunden und alles wäre recht schön und herrlich und das ist es auch bis vielleicht auf diesen Punkt, dass man so – wenns Frühling wird – fühlt, es ist sehr schön und alles sehr fein, aber es ist doch nicht ganz unser Frühling, wir sind eben halt was andres gewöhnt und das hat mit Geographie nicht viel zu tun, es hat wohl mehr, na ich weiß nicht, ob man das Assoziationen der Kindheit oder was immer nennen soll, aber wir prägen doch der Landschaft etwas ein, was sie uns dann, wenn die Jahreszeiten wechseln in doppelter Weise wiedergibt. Nei ja also das habe ich öfter beschrieben, so ein bisschen Heimweh spukt in allen meinen Emigrationsgedichten. […]“

 

 

 

 

Porträt-Fotografie von Mascha Kaléko, 1933 © Deutsches Literaturarchiv Marbach
Porträt-Fotografie von Mascha Kaléko, 1933 © Deutsches Literaturarchiv Marbach

Mascha Kaléko (1907–1975) war Dichterin. Sie wurde in West-Galizien (heute Polen) geboren. Nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs flieht ihre Familie aus Angst vor antijüdischen Pogromen nach Deutschland. Mascha Kaléko war sieben Jahre alt. Früh folgt sie ihrer Berufung zur Dichterin und bewegt sich im Berliner Künstlermilieu. Viele ihrer Gedichte befassen sich mit dem Berliner Alltag. Im Jahr 1935 jedoch erlegen die Nationalsozialisten Kaléko ein Berufsverbot auf. Zunächst will sie sich nicht von Berlin trennen, doch im Jahr 1938 ist die Situation unerträglich: mit ihrem zweiten Ehemann, dem Musiker Chemjo Vinaver, und ihrem kleinen Sohn flieht sie nach New York. Der Familie fällt es schwer, in New York Fuß zu fassen. Kaléko findet kleine Aufträge und schreibt u.a. für die deutsch-jüdische Emigrantenzeitung Aufbau. 1945 erscheint ihr Gedichtband „Verse für Zeitgenossen“ in den USA in deutscher Sprache. Im Jahr 1959 siedeln sie und ihr Mann von dort nach Israel über.

In den Werken, die wir in unserem Archiv zeigen, befasst sich Kaléko mit ihren Erfahrungen in der Emigration, ihrem Heimweh nach Berlin und ihrer Identität als Jüdin, Geflüchtete, Dichterin und Emigrantin. Der Bruch, den der Sprachverlust infolge der Emigration in die USA besonders für sie als Dichterin bedeutete, ist in vielen Gedichten spürbar.

 

 

 

Auszug aus

Kaléko, Mascha, 1956: Interview mit dem Sender Freies Berlin, 01.06.1956.

Interview teilweise veröffentlicht in:

Mascha Kaléko: Sämtliche Werke und Briefe in vier Bänden. Herausgegeben und kommentiert von Jutta Rosenkranz © 2012 dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, München.