In ihrer Auseinandersetzung mit der eigenen Verfolgung und den erlebten Verlusten forschten jüdische Überlebende in Europa als Erste zu den nationalsozialistischen Verbrechen.
„Uns muss man nicht an die Zerstörung erinnern, weil wir selbst die Zerstörung sind. Uns muss man nicht an Trauer erinnern, weil die Trauer aus unseren Augen schaut. Wir, der kleine Haufen geretteter europäischer Juden, sind zu einem Weltproblem geworden. […] Und wir können einfach nicht glauben, dass es faktisch so schwer ist, für die 200.000 heimatlosen europäischen Juden auf der großen weiten Welt ein Refugium zu finden und sie wieder in Menschen zu verwandeln. Es klingt wie ein Paradox: Wir Europäer wollen Menschen sein! … Hört ihr? Normale Menschen!“
Undser Lebn, 10. August 1946
Die Auflösung der DP-Lager
Die sowjetische Blockade von Berlin von Juni 1948 bis Mai 1949 erschwerte die Versorgung der Stadt erheblich, weshalb die US-amerikanische Militärregierung die Evakuierung der in der Besatzungszone befindlichen DPs beschloss. Allen in der Stadt bleibenden DPs wurde die weitere Unterstützung durch Hilfsorganisationen verwehrt.
Mit der Evakuierung wurden alle drei Berliner DP-Lager aufgelöst. Plötzlich erfuhren die Menschen am Abend des 21. Juli 1948, dass sie innerhalb weniger Tage ihre Koffer packen müssten. In den folgenden zwei Wochen wurden etwa 5.000 Personen vom Flughafen Tempelhof aus in verschiedene Teile der westlichen Besatzungszonen gebracht. Dort erwartete sie eine erneute Unterbringung im Lager. In manchen Fällen dauerte es noch Jahre, bis sie die Möglichkeiten zur Emigration erhielten.
„Emigration, Emigration – immer öfter hört man das Wort bei vielen Lagerjuden und es erfüllt sie mit Hoffnung und Träumen […] Aber wie sehen die süßen Träume in der Wirklichkeit aus? Darüber erzählen Briefe von Angekommenen, von Enttäuschten, und oft, Verzweifelten … Arbeitslosigkeit, spezielle Gesetze für Einwanderer und Ausländer, langanhaltende erzwungene Unterkunft bei Verwandten […]. Aber das alles sind Kleinigkeiten im Vergleich zu der großen Epidemie, die den ‚Wanderjuden‘ in die neuen Diasporaländer begleitet. Antisemitismus heißt diese Epidemie, die keine Grenzen oder Zäune kennt, die in alle Ecken der Erdkugel dringt und das Leben und die normale Existenz von Juden in Diasporaländern erschwert.“
Undser Lebn, 18. März 1948
Emigration
Obwohl die Lager mit der Zeit ihren Durchgangscharakter verloren, gaben die meisten DPs ihr Ziel einer Auswanderung nicht auf. Aufgrund der Lage inmitten der sowjetischen Besatzungszone und der innerstädtischen Teilung gestaltete sich die Auswanderung aus Berlin besonders schwierig. Die meisten DPs strebten die Emigration in die USA oder in das britische Mandatsgebiet Palästina an.
Die Menschen waren sich weitestgehend einig darin, dass ein jüdischer Staat geschaffen werden musste. Diese Überzeugung war in den Jahren des Wartens im DP-Lager gewachsen. Wer nach Palästina auswandern wollte, registrierte sich wie Otto Nothmann bei der Jewish Agency for Palestine. Um alle anderen Auswanderungsziele kümmerte sich die die amerikanisch-jüdische Hilfsorganisation Joint (JDC). Doch die DP-Gemeinschaft war politisch und sozial heterogen und nicht alle DPs wanderten aus Deutschland aus. So gab es neben Zionist:innen beispielsweise Sozialist:innen, die sich bewusst für die entstehende Deutsche Demokratische Republik entschieden. Auch in Westdeutschland bauten sich einige ehemalige DPs trotz der schmerzhaften Vergangenheit ein Leben auf.
Bleiben in Deutschland?
Als im Herbst 1947 deutsche Jüdinnen:Juden aus ihrem Exilort Shanghai nach Berlin zurückkehrten, titulierte die Zeitung Undser Lebn: „Deutsche Juden ziehen zurück nach ‚Hause‘ …“ und schrieb dazu: „Das können keine Juden mehr sein.“ Die Herausgeber lehnten die Zukunft jüdischen Lebens in Deutschland eindeutig ab.
Nicht alle DPs vertraten diese Position. Mehrere hundert jüdische DPs, darunter viele jüdische Deutsche, blieben in Berlin oder kehrten in den Monaten nach der Evakuierung zurück. Sie hatten sich in der Zwischenzeit eine Existenz aufgebaut. In den Folgejahren wurden sie zum festen Bestandteil Nachkriegsberlins. Personen wie der Kaufmann Szloma Albam, Begründer der gleichnamigen Stiftung, die diese Ausstellung ermöglicht; der spätere Vorsitzende des Zentralrats der Juden Ignatz Bubis; oder der Filmproduzent Artur Brauner – sie alle prägten das kulturelle und politische Leben der Stadt maßgeblich.