Fritz Neumark über sein „Sprach-Heimweh“ und seine Rückkehr

Der Finanzwissenschaftler Fritz Neumark (1900–1991) spricht über Heimweh und seinem nicht leichten Entschluss nach 16 Jahren Istanbuler Exil nach Deutschland zurückzukehren, obwohl seine Ehefrau strikt dagegen war.

Fritz Neumark mit Studierenden, 1938 © Deutsche Nationalbibliothek, Deutsches Exilarchiv 1933-1945

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Die Motive, die die Emigranten bestimmten, den „Weg zurück“ zu beschreiten, waren unterschiedlich und im einzelnen verschieden gewichtet; sie lassen sich aber im wesentlichen auf zwei Überlegungen bzw. Fakten zurückführen: Einmal die emotionale Tatsache, dass wir Rückwanderer ganz überwiegend – trotz allem Furchtbaren, was wir und unsere Freunde und Verwandten während des „Dritten Reichs“ erlitten hatten – an einem nie ganz abgestorbenen, Heimweh litten, und zum anderen, vor allem für die Älteren, die rational begründete Sorge um die materielle Zukunft um die eigene und die unserer Angehörigen.

Heimweh hatten wir nach der Landschaft und vor allem nach „unserer Sprache“. Ich wüßte für mich nicht zu sagen, was bei mir stärker war – vermutlich die Sprache. Carl Zuckmayer hat in seinem Essay „Die Brüder Grimm“ (1948) von „Sprach-Heimweh“ gesprochen und zutreffend hervorgehoben, dies sei „für einen Schriftsteller im Exil die schmerzhafteste Form des Heimwehs“; und „Schreibende“ waren wir ja fast alle. Wenn man nicht schon als kleines Kind in ein Land mit fremder Sprache und, damit unweigerlich verbunden, anderen Denk- und Lebensgewohnheiten verschlagen wird, vermag man sich dem neuen Milieu nur bis zu einem gewissen Grade anzupassen, und selbst das setzt voraus, daß man den Willen hat, eine zweite Heimat zu gewinnen.

Trotz der von mir geschilderten, teilweise ganz besondere Schwierigkeiten – vor allem: Sprache und Religion –, uns im Lande einzugewöhnen und den Eigenarten seiner Bevölkerung Verständnis entgegenzubringen, haben viele, ja wohl die meisten der Emigranten die Türkei als ein zweites Vaterland kennen- und liebengelernt. Dieses Wort ist jedenfalls von Männern wie Ernst Reuter, Ernst Hirsch, Curt Kosswig und mir in voller Aufrichtigkeit gebraucht worden. […]

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Bei allem Heimweh fiel freilich niemandem von uns, die wir die Zerstörung aller unserer Wertvorstellungen durch des „Dritte Reich“ miterlebt und zahlreiche Freunde und Verwandte durch immer noch unvorstellbar grausame Aktionen verloren hatten, der Entschluß leicht, die gastliche, landschaftlich so schöne Türkei, in der wir uns doch in den fast achtzehn Jahren weitgehend eingelebt und viele neue Freunde gefunden hatten, zu verlassen und gegen das neu-alte Deutschland zu vertauschen. Wie sah dieses Deutschland nun aus? Was war von hitlerischen Ideen noch lebendig? Konnte man sich nach so langer Zeit dort je wieder richtig „heimisch“ fühlen? Würde man die alten Freunde wenigstens zum Teil wiederfinden? Solche und ähnliche Gedanken bewegten mich, als ich 1949 das offizielle Berufungsschreiben des hessischen Kulturministeriums in den Händen hielt, und insbesondere meine Frau – sie dachte, wie bemerkenswerterweise die meisten „arischen“ Frauen von Emigrantenkollegen, viel strenger und härter als wir „Nichtarier“ – war für eine unbedingte Ablehnung. (Inzwischen hat sie aus verschiedenen Gründen meinen Rückkehrentschluß allerdings als richtig anerkannt.)

Fritz Neumark war Finanzwissenschaftler und emigrierte aufgrund seiner jüdischen Herkunft noch 1933 in die Türkei. Er wurde Professor an der Universität Istanbul. Über diese Zeit berichtete er 1980 in seinem Buch Zuflucht am Bosporus, aus dem Ausschnitte zu bestimmten Themen des Exils  hier aufgeführt werden. 1952 kehrte er als Professor an die Universität in Frankfurt am Main zurück.

Auszüge aus: Neumark, Fritz, 1980: Zuflucht am Bosporus, Deutsche Gelehrte, Politiker und Künstler in der Emigration 1933-1953, S.37-40, Frankfurt am Main: Kneck.