Gedicht von Hertha Nathorff „Heimat – wo?“

Hertha Nathorff, geborene Einstein (1895-1993) war eine deutsche Kinderärztin, Psychotherapeutin und Sozialarbeiterin. Mit Hilfe amerikanischer Verwandter gelang ihr die Ausreise nach London, Anfang 1940 die Weiterreise nach New York. Das Leben im Exil war für Hertha Nathorff mit vielen Herausforderungen und Frustrationen verbunden, die typisch für viele Frauen mit akademischen Abschlüssen waren. Sie konnte nicht mehr als Kinderärztin arbeiten. Die Zeit und das Geld reichten nicht, damit sie, wie ihr Mann, die Anerkennungsprüfung als Ärztin machen konnte. Hertha Nathorff ist nie mehr nach Deutschland zurückgekehrt. Sie schrieb und schaltete regelmäßig im Aufbau. Nachrichtenblatt des German-Jewish Club Anzeigen über ihre Aktivitäten für die deutsch-jüdische Community in New York. Trotzdem hat sie sich in Amerika nie richtig eingelebt, das Heimweh blieb beständig. Dieses Gefühl lässt sich in diesem Gedicht sehr anschaulich erkennen.

Gedicht „Heimat-wo?“ aus der deutsch-jüdischen Exilzeitung Aufbau © JM Jüdische Medien AG / Serenade Verlag AG

Heimat – wo?

Das neue Land – ob es mir wirklich Heimat ist.

Ich frag’s mich oft. Und ob mein Herz

Nicht doch – so mancherlei vermisst?

Ich frage mich. Und lausch‘ in mich hinein.

Und kann mir selber keine Antwort geben

War Heimat dort? – Ist Heimat hier?

Ich weiss es nicht. Und weiss nur dies:

Ein grosser, tiefer Riss geht durch

mein Herz,

Geht durch mein ganzes, wirres Leben:

Und weiss noch mehr: Wo immer ich

auch weilen mag –

Nicht Land, nicht Heim gibt meinem Herzen Ruh.

Nur eine einz’ge Heimstatt hab ich noch,

Darin ich wurzle. Das bist – DU!

Hertha Nathorff, geborene Einstein (1895-1993) war eine deutsche Kinderärztin, Psychotherapeutin und Sozialarbeiterin, sie publizierte auch mehrere Werke, darunter einen Gedichtband. Sie wurde in Laupheim in einer jüdischen Familie geboren. Mit dem Tode bedroht in NS-Deutschland organisierte sie mit Hilfe amerikanischen Verwandter seit November 1938 die Emigration und schickte den 14jährigen Sohn mit einem Kindertransport nach England voraus. Im April 1939 gelang dem Ehepaar die Ausreise nach London, Anfang 1940 die Weiterreise nach New York. Das Leben im New Yorker Exil war für Hertha Nathorff mit vielen Herausforderungen und Frustrationen verbunden, die typisch für viele Frauen mit akademischen Abschlüssen waren. Sie konnte nicht mehr als Kinderärztin arbeiten. Die Zeit und das Geld reichten nicht, damit sie, wie ihr Mann, die Anerkennungsprüfung als Ärztin machen konnte. In New York arbeitete sie als Krankenpflegerin, Dienstmädchen, Barpianistin und Küchenhilfe für den Lebensunterhalt der Familie. Sie nahm sehr aktiv am sozialen Leben des deutschsprachigen Exils teil: sie organisierte Kurse für Emigrant:innen in Kranken- und Säuglingspflege und kulturelle Veranstaltungen, war Gründerin des Open House für ältere Menschen, Vorsitzende der Frauengruppe sowie Ehrenmitglied des Präsidiums des New World Club. Als deutschsprachige Emigrantin in New York publizierte sie oft im „Aufbau“, einer deutsch-jüdischen Exilzeitung. Sie schrieb Artikel zu unterschiedlichen Themen, manchmal Gedichte und schaltete Anzeigen über ihre Kurse in Kranken- und Säuglingspflege.

Gedicht aus dem Aufbau. Nachrichtenblatt des German-Jewish Club, Inc., New York, Freitag, 7. April 1950 S. 20.

Im Jahr 1934 erschien das erste Heft des Aufbau. Anfangs mehr ein Vereins- und Anzeigenorgan, wird der „Aufbau“ bald zu einem Nachrichtenblatt über den Exil-Alltag der deutschen (nicht nur jüdischen) Emigrant:innen. Das bedeutete Beratung in Rechtsfragen, Erklärung des New Yorker U-Bahn-Systems, Sprachunterricht und Stellenvermittlung, Tipps für den Umgang mit Behörden, usw.

Hier schrieben Oskar Maria Graf und Nelly Sachs, Lion Feuchtwanger und Thomas Mann, Mascha Kaléko und viele andere.