„Man lebt kaum in der Gegenwart, es geht immer um die Zukunft.”
Ibrar Mirzai reflektiert über das Ankommen im Exil und darüber, ob es überhaupt möglich ist, sich ein neues Zuhause aufzubauen.
Arrival means security in its literal sense: that you’re not going to be killed for the color of your skin or your religion or sexual orientation. At the same arrival is the hope of a new beginning, a new life and the idea of new life is closely connected to the status of the person in exile. More often people in exile could begin a new life only if they are given some sort of legal status in their host societies.[…]
Education is essential to settle down. It is more important than the language because you can’t start a job or a life just with language. Many people can’t benefit from their education in the new country, especially those with basic jobs. Education is essential for a new beginning, perhaps the most important once a refugee is arrived (obviously, education should not be indoctrination). How productive a person could be in society depends on the quality of education they receive. Therefore, government should spend more on refugee education, both the state and refugees could only benefit in short and long terms. People in exile should be given the chance to learn, build new skills, not only for physical work but intellectual work, too. Refugees with degrees should be treated the same as people from developed countries – graduated from fancy universities – this will create more opportunities for refugees which in return will be beneficial for the economy in general.[…]
For me home is not a place in time and space but people and the sense of community. If I do not have anyone from where I came from then could I call it home? I can’t. Finding home is a stage of arrival when one is able to find the sense of community and belonging. When one makes friends and finds their family. And it is only possible if people in exile is not segregated from host communities.[…]
You start a new life from zero. Whatever you had, you lost. It’s almost like you’re a newborn baby: you don’t understand the language, the society, the culture, the laws. And as for babies, it takes time to learn all that. There are big expectations to live up to the standards of your new home – standards that are put up for you the moment you arrive. In most cases, people in exile go through more complicated bureaucratic work than locals. Imagine going to a new country where you don’t speak the language, you don’t understand the customs and you have to go through a procedure which most bureaucrats have very little understanding of – well good luck finding any success. Although, in most cases people receive professional help from NGOs but it’s never enough.[…]
Some spend years in exile and some decades. They build a new life from scratch, in many cases a new family. However, the question of whether one wants to return or not always remains there. In some cases it is a personal question which always hangs in their mind and in some cases it comes from the state or host community – do you want to return? – most exiles are so invested in the host country that the decision of return would be extremely irrational one. Returning just out of patriotism for your country, that is another thing. But if you think rationally that you spend – let’s say – 10 years in a new country in a new country to build a new life to learn the language you are invested in that culture, you are invested in that society then all of the sudden, you decide, ok, my country is safe, let’s go back. I don’t know how that would make sense for people, but I can understand that people would choose to go back out of love for their country. But if I think personally and rationally, I think it makes very little sense, once you are invested to that amount in the new culture / country, built a new life. I think you just reset and start again in your own country. I don’t think, that makes sense.[…]
People in exile mostly fled from wars and persecutions. Although, most feel the safety and security which is given by the host communities but they never forget what they went through. Subconsciously they never come over those experiences and horrors. There are hundreds of thousands of testaments from people in exile in 1930s and 1940s who fled genocide and war, and they would always have nightmares of wars. I believe, exiles only have nightmares, there is no place in their subconscious for “sweetdreams”.[…]
People need permanent settlement. Only there they can start to settle down and start a new life. Without that you’re still on the move, you’re unstable. People might be in camps for years, but they’re not arrived. Arrival is establishing a new life, settling down, it’s a place to live, a job that feeds you, having basic human rights, provide yourself with basic human necessities. The life of an exile is a constant pursue of better future. One merely lives in present, it always is about future. It’s not only because they want better future but systematically they are put in a situation where they have to always think about future. A good example could be that “they are here temporarily“.[…]
Ankommen bedeutet Sicherheit im wörtlichen Sinne: dass man nicht aufgrund seiner Hautfarbe oder Religion oder sexuellen Orientierung getötet wird. Mit der Ankunft ist auch die Hoffnung auf einen Neuanfang, ein neues Leben verbunden, und die Vorstellung von einem neuen Leben ist eng mit dem Status der Person im Exil verbunden. Menschen im Exil könnten häufig besser ein neues Leben beginnen, wenn sie einen Rechtsstatus erhielten.[…]
Bildung ist wichtig, um sich niederzulassen. Sie ist wichtiger als Sprache, weil man mit Sprache allein keine Arbeit oder kein Leben beginnen kann. Viele Menschen können im neuen Land nicht von ihrer Bildung profitieren, besonders diejenigen mit einfachen Jobs. Bildung ist essentiell für einen Neuanfang, vielleicht das wichtigste, sobald ein*e Geflüchtete*r angekommen ist (natürlich sollte Bildung kein Zwang sein). Wie produktiv eine Person in der Gesellschaft sein kann, hängt von der Qualität der Bildung ab, die sie erhält. Daher sollte die Regierung mehr für die Bildung von Geflüchteten ausgeben, sowohl der Staat als auch die Geflüchtete könnten kurz- und langfristig davon nur profitieren. Menschen im Exil sollten die Chance bekommen, zu lernen, neue Fähigkeiten aufzubauen, nicht nur für körperliche Arbeit, sondern auch für geistige Arbeit. Geflüchtete mit Abschlüssen sollten wie Menschen aus entwickelten Ländern behandelt werden – mit einem Abschluss von schicken Universitäten – dies wird mehr Möglichkeiten für Geflüchtete schaffen, was wiederum der Wirtschaft im Allgemeinen zugute kommen wird.[…]
Für mich ist Heimat nicht ein Punkt in Zeit und Raum, sondern Menschen und das Gefühl von Gemeinschaft. Wenn ich niemanden von dort habe, wo ich herkomme, kann ich es dann Heimat nennen? Nein, kann ich nicht. Ein Zuhause zu finden ist eine Phase des Ankommens, in der man das Gefühl der Gemeinschaft und Zugehörigkeit findet. Wenn man Freunde findet und seine Familie findet. Und das ist nur möglich, wenn die Menschen im Exil nicht von den Aufnahmegesellschaft getrennt werden.[…]
Du beginnst ein neues Leben bei Null. Was immer du hattest, hast du verloren. Es ist fast so, als wärst du ein neugeborenes Baby: Du verstehst die Sprache nicht, die Gesellschaft, die Kultur, die Gesetze. Und wie bei Babys braucht es Zeit, all das zu lernen. Es gibt große Erwartungen, den Standards deiner neuen Heimat gerecht zu werden – Standards, die für dich aufgestellt werden, sobald du ankommst. In den meisten Fällen müssen Exilierte kompliziertere bürokratische Verfahren durchlaufen als Einheimische. Stellen Sie sich vor, Sie gehen in ein neues Land, in dem Sie die Sprache nicht sprechen, die Gepflogenheiten nicht verstehen und ein Verfahren durchlaufen müssen, von dem selbst die meisten Bürokraten nur sehr wenig verstehen – nun, viel Glück dabei! In vielen Fällen erhalten die Menschen professionelle Hilfe von NGOs, aber das reicht nie aus.[…]
Manche verbringen Jahre im Exil, manche Jahrzehnte. Sie bauen sich ein neues Leben von Grund auf auf, in vielen Fällen eine neue Familie. Doch die Frage, ob man zurückkehren will oder nicht, bleibt immer bestehen. In einigen Fällen ist es eine persönliche Frage, die ihnen immer im Kopf herumschwirrt, in anderen Fällen kommt sie vom Staat oder der Aufnahmegesellschaft: Willst du zurückkehren? – Die meisten Exilierte sind so sehr in das Aufnahmeland eingebunden, dass die Entscheidung, zurückzukehren, äußerst irrational wäre. Wenn man nur aus Patriotismus für sein Land zurückkehrt, ist das eine andere Sache. Aber wenn man rational darüber nachdenkt, dass man – sagen wir mal – 10 Jahre in einem neuen Land verbringt, um ein neues Leben aufzubauen, die Sprache zu lernen, dass man in diese Kultur investiert, dass man in diese Gesellschaft investiert, dann entscheidet man plötzlich: OK, mein Land ist sicher, lass uns zurückgehen. Ich weiß nicht, inwiefern das für die Menschen einen Sinn ergibt, aber ich kann verstehen, dass Menschen aus Liebe zu ihrem Land zurückgehen wollen. Aber wenn ich persönlich und rational denke, denke ich, dass es sehr wenig Sinn macht, wenn man erst einmal so viel in die neue Kultur / das neue Land investiert hat, ein neues Leben aufgebaut hat. Ich denke, der Reset und Neuanfang im eigenen Land macht wenig Sinn.[…]
Menschen im Exil sind meist vor Kriegen und Verfolgungen geflohen. Obwohl die meisten die Sicherheit und Geborgenheit spüren, die ihnen von den Aufnahmegesellschaften gegeben wird, vergessen sie nie, was sie durchgemacht haben. Unbewusst kommen sie nie über diese Erfahrungen und Schrecken hinweg. Es gibt Hunderttausende von Zeugnissen von Menschen im Exil in den 1930er und 1940er Jahren, die vor Völkermord und Krieg geflohen sind, und sie behielten immer Albträume von Kriegen. Ich glaube, Exilierte haben nur Albträume, in ihrem Unterbewusstsein ist kein Platz für „schöne Träume“. Menschen brauchen ein dauerhaftes Zuhause. Nur dort können sie anfangen, sich niederzulassen und ein neues Leben zu beginnen. Ohne ein Zuhause ist man immer noch in Bewegung, man ist instabil. Die Menschen können jahrelang in Lagern sein, aber sie sind nicht angekommen. Ankommen bedeutet, ein neues Leben zu beginnen, sich niederzulassen, einen Platz zum Leben zu haben, einen Job, der einen ernährt, die grundlegenden Menschenrechte zu haben, sich mit den grundlegenden menschlichen Bedürfnissen zu versorgen. Das Leben eines Exilierten ist ein ständiges Streben nach einer besseren Zukunft. Man lebt kaum in der Gegenwart, es geht immer um die Zukunft. Nicht nur, weil man sich eine bessere Zukunft wünscht, sondern man wird systematisch in eine Situation gebracht, in der man immer an die Zukunft denken muss. Ein gutes Beispiel ist, dass „man nur vorübergehend hier ist“.[…]
Ibrar Mirzai ist 21 Jahre alt und wurde in Afghanistan geboren und wuchs in Pakistan auf. Als schiitischer Muslim wurde er in Pakistan verfolgt und entschloss sich 2016 zu fliehen. Seine Flucht führte ihn nach Griechenland, Serbien und schließlich nach Ungarn – jede dieser Stationen verbunden mit mehreren Monaten Warten auf eine mögliche Weiterreise. Während seiner Zeit in Serbien engagierte er sich ehrenamtlich für die Geflüchteten an der ungarisch-serbischen Grenze und machte sowohl bei internationalen NGOs als auch bei der ungarischen Regierung auf die Situation an der Grenze aufmerksam.
Auf seinen Asylantrag in Ungarn musste Ibrar Mirzai allein drei Monate lang in einem ungarischen Lager an der serbischen Grenze warten, bis seinem Ersuchen 2017 stattgegeben wurde. Seitdem lebt er in Ungarn, holte einen Bildungsabschluss nach und engagiert sich für NGOs. Im August 2020 nahm Ibrar Mirzai ein Bachelor-Studium am Berliner Bard-College auf.
In einem Online-Workshop, den die Stiftung Exilmuseum und das We Refugees Archiv im Januar 2021 organisierten, sprachen Menschen mit Fluchterfahrungen über ihre Erfahrungen im Exil in Berlin und entwickelten gemeinsam ein ABC des Ankommens.