Ende der 1940er Jahre änderte sich das Verständnis von Flucht und Migration in Europa erheblich. Der Kontinent wurde zur Bühne des Kalten Krieges mit einer Trennlinie durch Deutschland und Berlin. Doch die Stadt blieb auch in der Teilungszeit ein wichtiger Zufluchtsort für viele Menschen. Zahlreiche Arbeitskräfte aus dem Ausland kamen bis 1990 nach West- und Ost-Berlin. Ab 1990 zogen vermehrt Menschen aus Ost- und Mitteleuropa in die Stadt. Bis heute prägt die stete Zuwanderung Berlin. Auf der Karte werden in einem zeitlichen Querschnitt wichtige Orte der Migration und der migrantischen Selbstbehauptung vorgestellt.
Die Karte in der Ausstellung zeigt transhistorische Orte des Ankommens und der Emigration, wie den ehemaligen Flughafen Tempelhof oder das Notaufnahmelager Marienfelde, das für aus der DDR geflohene Menschen in den 1950er Jahren eingerichtet wurde und heute als Erinnerungsstätte und Unterkunft für Geflüchtete fungiert.
Ab den 1950er Jahren warb die Bundesrepublik gezielt um zahlreiche ausländische Arbeitskräfte. Auch nach West-Berlin kamen Menschen aus Italien, Griechenland, der Türkei und anderen Ländern. Obwohl ihr Aufenthalt nur vorübergehend sein sollte, blieben viele und holten ihre Familienmitglieder nach. Ab den 1970er Jahren dominierten Abschiebungen und eine Verhinderung weiterer Zuwanderung die Politik.
Auch Ost-Berlin wurde durch Migration geprägt. Die DDR warb verstärkt ab den 1970er Jahren Arbeitskräfte aus sozialistischen Bruderstaaten an. Die größte Einwanderungsgruppe kam aus Vietnam, weitere kamen aus Mosambik, Kuba oder Polen. Hinzu kamen politische Geflüchtete aus vielen Ländern. Auch die DDR wünschte keinen dauerhaften Aufenthalt, weshalb sie die Arbeitsmigrant:innen im Alltag gezielt von der lokalen Bevölkerung zu isolieren versuchte.
Orte wie das Dong Xuan Center in Lichtenberg und der vietdeutsche Verein Reistrommel e. V. stehen heute beispielhaft für die Kontinuität und die Selbstermächtigung vietdeutschen Lebens in Berlin. Das Haus des ehemaligen Berliner Verwaltungsgerichts, vor dem sich 1983 der türkische Asylsuchende Cemal Kemal Altün aus Verzweiflung über die drohende Abschiebung das Leben nahm, bilden als Kehrseite der Medaille die Berliner Abschottungspolitik der 1970er und 1980er Jahre ab.
Nach der Vereinigung Berlins kamen Spätaussiedler:innen aus der ehemaligen Sowjetunion, Rom:nja sowie Geflüchtete aus dem ehemaligen Jugoslawien und Polen. Außerdem konnten Jüdinnen:Juden aus der Sowjetunion bis 2005 als „Kontingentflüchtlinge“ einwandern.
Die Asylrechtsreform 1993 erschwerte die Zuwanderung. Die Zahl abgelehnter Asylanträge und Abschiebungen stieg. Auch der öffentliche Diskurs verschärfte sich zusehends. Weltweites Aufsehen erregten die rassistischen Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen, Solingen und Mölln 1992-93. Auch in Berlin verübten Rechtsextreme Mordanschläge: Am 24. April 1992 starb Nguyễn Văn Tú in einem Einkaufszentrum in Marzahn bei einem rassistisch motivierten Messerangriff auf vietnamesische Händler:innen.
Orte
Die Karte zeigt beispielhaft Orte der migrantischen künstlerischen und aktivistischen Betätigung von vorwiegend in den zwei Jahrzehnten nach der Berliner Vereinigung eingewanderten Gruppen, darunter das balkan black box Festival und postsowjetische, polnische und Rom:nja-Migrant:innenselbstorganisationen.
Die Einwanderungsstadt Berlin ist heute ein Ort der migrantischen Selbstbehauptung und des Aktivismus. Politische Bewegungen setzen sich für Geflüchtete und die Sichtbarmachung der kolonialen Verbrechen ein. Spuren und Zeugnisse der Berliner Migrationsgeschichte werden so ein manifester Teil des öffentlichen Diskurses.
Neben dem Oranienplatz in Kreuzberg stehen auch das Maxim Gorki Theater, verschiedene Migrant:innenselbstorganisationen sowie Straßennamen beispielhaft für heutige Formen des migrantischen Aktivismus in Berlin.