Alaa Muhrez erzählt über die neuen Freundschaften, die sie in Berlin gefunden hat, und von dem Potenzial und der Schwierigkeit im Kontakt mit anderen Menschen aus Syrien.
„Wir haben ein Jahr im Hotel gewohnt, auf dem Antonplatz in der Nähe der Schönhauser Allee. In dieser Zeit haben wir den Deutschkurs besucht. […] Dort haben wir andere arabische Geflüchtete getroffen. Auf Facebook gibt es mehrere Gruppen, und ich habe geschrieben und andere kennengelernt. Außerdem habe ich freiwillig gearbeitet in einem Projekt, das geflüchteten Frauen beibringt, Fahrrad zu fahren. Und ich konnte Fahrrad fahren, also habe ich anderen geholfen. Das hatte ich auf Facebook in einem Event gesehen und geschrieben, dass ich mitmachen möchte. Ich finde das toll, denn Fahrradfahren ist eine kleine Sache, aber in Deutschland ist es sehr wichtig. Es ist toll, wenn wir als Flüchtlinge auch sehr kleine Information weitergeben und dieses Wissen austauschen und uns damit gegenseitig helfen können.
Es gibt ein Projekt für Menschen aus verschiedenen Kulturen und Flüchtlingen, Start with a Friend. Ich habe dort eine deutsche Freundin gefunden. Wir treffen uns oft, gehen ins Kino und spazieren. Jetzt ist es etwas schwieriger, weil ich Kinder habe, aber sie ist sehr hilfsbereit.
Ich habe viele syrische Freunde, die ich über Facebook kennengelernt habe. Und wenn ich jemanden getroffen habe, hat diese Person einfach gesagt: ‚Komm, ich habe noch andere Freunde‘, und hat mich mitgenommen. Es ist gut, sich mit Menschen zu treffen, die die gleichen Erfahrungen machen. Aber ich treffe mich lieber mit Deutschen als mit Syrern, denn ich möchte nicht über meine Erfahrungen sprechen, über den Krieg. Und nicht über meine Eltern und meine Familie. Mit meiner deutschen Freundin spreche ich nicht über das. Wir reden über andere Sachen und spielen mit den Kindern. Wenn es neue Nachrichten aus Syrien gibt, dann müssen wir natürlich mit unseren arabischen Freunden aber darüber sprechen, und das mache ich nicht gerne.“
Infolge des Kriegs in Syrien flohen Alaa Muhrez und ihr Mann 2013 nach Ägypten. Nachdem Abdel Fatah El-Sisi dort durch einen Staatsstreich zum Präsidenten wurde, verstärkten sich die Probleme für Geflüchtete: Es wurde immer schwerer, eine Arbeit zu finden, sodass Alaa und ihr Mann beschlossen, nach Deutschland zu gehen. Von Ägypten nach Italien fuhren sie und ihr Mann mit einem kleinen Boot, auf dem 400 andere Menschen waren. Sie wechselten mehrmals das Boot. „Wenn man aufstand, konnte man sich nicht wieder setzen“, erklärt Alaa, so eng sei es gewesen. Nach der gefährlichen Reise kamen sie in Catania, Sizilien an. Dort wurden ihre Personalien aufgenommen. Sie wussten, dass es für die Weiterreise schwierig sein könnte, sich in Italien um einen Aufenthaltstitel zu bewerben, weshalb sie die Aufnahme der Papiere nicht abwarteten.
Mit dem Flugzeug gelangten sie nach Österreich und von dort nach München. Von München wurden sie nach Leipzig gebracht, und ihnen wurde eine Wohnung in einem Dorf in der Nähe zugewiesen. Alaa berichtet über mehrere Vorfälle von Diskriminierung, die sie dort erleben musste. Nach über einem Jahr kamen sie nach Berlin, wo sie nach einiger Zeit eine Wohnung und Arbeit fanden. Alaa erzählt, wo und wie sie in Berlin Anschluss fand – zu deutschen Freund*innen und anderen Geflüchteten – und wie ihr Umgang mit diesen neuen Freundschaften ist. Sie spricht von der Bedeutung gegenseitiger Unterstützung in der Geflüchtetengemeinschaft, zum Beispiel in einem Projekt, in dem sie anderen Geflüchteten das Fahrradfahren beibrachte. Außerdem erzählt sie, dass es ihr zwar Trost spendet, mit anderen syrischen Geflüchteten zusammen zu sein, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben – dies aber auch belastend sein kann, da sie nicht immer über ihre traumatischen Erfahrungen sprechen möchte.
Das Interview mit Alaa Muhrez wurde am 30.06.2020 von We Refugees Archiv in Berlin durchgeführt.