Alaa über das Ankommen in Berlin

Alaa Muhrez über die Gründe ihrer Flucht aus Syrien und Ägypten, der Entscheidung für Deutschland und was sie an Berlin schätzen gelernt hat.

© Alaa Muhrez
Alaa Muhrez © Minor Kontor.

Ich bin aus Homs. Das ist die erste Stadt, die vom Krieg zerstört wurde. Die Wohnung von meinem Mann wurde zerstört, die von meinen Eltern auch. Aus Homs wurden viele Männer und Frauen von al-Assads 11Bashar al-Assad (geb. 1965), Präsident von Syrien seit 2000. Gruppen entführt. Weil wir religiös sind, wurden wir als Gegner von al-Assad wahrgenommen. Der Krieg in Syrien ist kein religiöser Krieg, aber die Menschen wurden so eingeteilt. Meine Eltern und meine Geschwister sind in Syrien geblieben. Wir halten Kontakt über WhatsApp und FaceTime.

Wir haben zwischen Schweden, Holland und Frankreich verglichen. Wir haben gelesen, dass es in Deutschland mehr als in den anderen Ländern Arbeit gibt. Hier kann man auch studieren und schneller Deutsch lernen. Deswegen sind wir nach Deutschland gegangen. Deutschland hat einen sehr guten Ruf in Syrien: Alle tollen Sachen sind Made in Germany. Deswegen dachten wir, hier gibt es perfekte Arbeit.

In Berlin haben wir uns in einem Rathaus angemeldet. Sie haben uns einen Schein gegeben, damit wir in einem Hotel schlafen können. Wir haben ein Jahr im Hotel gewohnt, auf dem Antonplatz in der Nähe der Schönhauser Allee. […] Dann haben mein Mann und ich eine Wohnung gesucht. Das war sehr schwer in Berlin. Ich wollte nach München ziehen, aber ich glaube, es ist Schicksal, dass wir doch in Berlin eine Wohnung gefunden haben. Ich liebe München – München ist europäischer als Berlin, Berlin ist mehr Multikulti. Aber Berlin ist auch toll. Ich denke im Moment nicht daran, nach München zu ziehen. In Berlin habe ich zum Beispiel von vielen neuen Ideen gehört: zum Beispiel von Gender- und LGBT-Aktivismus. Ich war sehr verschlossen diesem Thema gegenüber. Aber ich habe mich mit Menschen getroffen, die ganz anders waren, als ich mir vorgestellt habe. Das ist ein Vorteil von Berlin: Man kann viele unterschiedliche Gedanken und Kulturen treffen und offener sein. Und offener zu sein, ändert vieles für mein Leben und meine Persönlichkeit. Und das ist von Vorteil. Der Nachteil ist, dass das viel Zeit braucht.

    Fußnoten

  • 1Bashar al-Assad (geb. 1965), Präsident von Syrien seit 2000.

Infolge des Kriegs in Syrien flohen Alaa Muhrez und ihr Mann 2013 nach Ägypten. Nachdem Abdel Fatah El-Sisi dort durch einen Staatsstreich zum Präsidenten wurde, verstärkten sich die Probleme für Geflüchtete: Es wurde immer schwerer, eine Arbeit zu finden, sodass Alaa und ihr Mann beschlossen, nach Deutschland zu gehen. Von Ägypten nach Italien fuhren sie und ihr Mann mit einem kleinen Boot, auf dem 400 andere Menschen waren. Sie wechselten mehrmals das Boot. „Wenn man aufstand, konnte man sich nicht wieder setzen“, erklärt Alaa, so eng sei es gewesen. Nach der gefährlichen Reise kamen sie in Catania, Sizilien an. Dort wurden ihre Personalien aufgenommen. Sie wussten, dass es für die Weiterreise schwierig sein könnte, sich in Italien um einen Aufenthaltstitel zu bewerben, weshalb sie die Aufnahme der Papiere nicht abwarteten.

Mit dem Flugzeug gelangten sie nach Österreich und von dort 2015 nach München. Von München wurden sie nach Leipzig gebracht, und ihnen wurde eine Wohnung in einem Dorf in der Nähe zugewiesen. Alaa berichtet über mehrere Vorfälle von Diskriminierung, die sie dort erleben musste. Nach über einem Jahr kamen sie nach Berlin, wo sie nach einiger Zeit eine Wohnung und Arbeit fanden. Alaa erzählt, warum sie und ihr Mann Syrien und Ägypten verlassen mussten, und warum sie entschieden nach Deutschland zu kommen. Alaas erste Wahl in Deutschland wäre München gewesen, doch in Berlin sieht sie auch Vorteile, darunter die Begegnung mit unterschiedlichen Menschen und Lebensrealitäten, die ihr zuvor verschlossen gewesen waren.

Das Interview mit Alaa Muhrez wurde am 30.06.2020 von We Refugees Archiv in Berlin durchgeführt.