Erklärung zu Alice Salomon, Februar 1938

Alice Salomons Leben wird in dieser Erklärung beschrieben und die Gründe, warum sie finanzielle Unterstützung von der American Guild for Cultural Freedom benötigt. Die Erklärung beschreibt auch, was sie in ihrem Leben getan hat und mit wem sie befreundet war.

STATEMENT REGARDING ALICE SALOMON, Ph.D.

Born in Germany, of Jewish parents, converted to Christianity during school years, baptized in Lutheran Church in 1914. Founded first school of social work in Germany, (Berlin). Because of her leadership in every progressive movement, especially those furthering the interests of women, and the protection of children, she became known as “the Jane Addams of Germany”.

Her interest was not confined to the welfare of Germany alone. For thirty years she has been interested in international organization, serving for twenty-nine years on the board of international Council of Women of which she is Honorary Vice President. Dr.Salomon is President of the International Committee of Schools for Social Work. Because of her broad interests and ability she has been invited to speak before audiences in many countries.

Altho a firm believer in peace, Dr.Salomon was obliged to do what she could for women and children of her own country during the war and rendered distinguished service. She has received many honors both in Germany and other countries, including an honorary degree of M.D.

Dr. Salomon spent some time visiting England and Switzerland and the United States where she lectured for schools of social work on social service subjects. Several months after her return to Germany (where she felt it her duty to remain) she was subject to police inquisition regarding the details of her trip and sent to permanent exile for no other reason than that she had frequently been abroad.

Dr. Salomon has chosen the United States as her new home and has taken out her first citizenship papers. At the age of sixty-six, and with little physical strength, she is endeavoring to readjust her life. She is completing an autobiography to be published by the Oxford Press. Because of her small income she has insufficient margin for secretariat service and other help needed from time to time.

Dr. Salomon has many friends in the United States These include Lillian Wald, Mrs. Carrie Chapman Catt, Mr. James G. Macdonald and many others. Miss Jane Addams and Mrs. Anna Garlin Speneer were friends of Dr. Salomon for many years.

February 23rd, 1938

New York, N.Y.

ERKLÄRUNG ZU ALICE SALOMON, Ph.D.

Geboren in Deutschland, von jüdischen Eltern, konvertierte während der Schulzeit zum Christentum, 1914 in der lutherischen Kirche getauft. Sie gründete die erste Schule für Sozialarbeit in Deutschland (Berlin). Aufgrund ihrer führenden Rolle in allen fortschrittlichen Bewegungen, insbesondere in denen, die sich für die Interessen von Frauen und den Schutz von Kindern einsetzten, wurde sie als „Jane Addams von Deutschland“ bekannt.

Ihr Interesse galt nicht nur dem Wohlergehen der Deutschen. Seit dreißig Jahren ist sie an internationalen Organisationen interessiert und gehört seit neunundzwanzig Jahren dem Vorstand des Internationalen Frauenrates an, dessen Ehrenvizepräsidentin sie ist. Dr. Salomon ist Präsidentin des Internationalen Komitees der Schulen für Sozialarbeit. Aufgrund ihrer umfassenden Interessen und Fähigkeiten wurde sie eingeladen, in vielen Ländern vor Publikum zu sprechen.

Obwohl sie fest an den Frieden glaubt, war Dr. Salomon während des Krieges gezwungen, sich für die Frauen und Kinder ihres Landes einzusetzen, und hat sich dabei verdient gemacht. Sie erhielt viele Ehrungen in Deutschland und anderen Ländern, darunter auch den Ehrendoktortitel.

Dr. Salomon verbrachte einige Zeit in England, in der Schweiz und in den Vereinigten Staaten, wo sie an Schulen für Sozialarbeit Vorträge über Themen der Sozialarbeit hielt. Einige Monate nach ihrer Rückkehr nach Deutschland (wo sie sich verpflichtet fühlte, zu bleiben) wurde sie von der Polizei über die Einzelheiten ihrer Reise befragt und in ein dauerhaftes Exil geschickt, nur weil sie häufig im Ausland gewesen war.

Dr. Salomon hat die Vereinigten Staaten als ihre neue Heimat gewählt und ihre ersten Staatsbürgerschaftspapiere ausgefüllt. Im Alter von sechsundsechzig Jahren und mit wenig körperlicher Kraft bemüht sie sich, ihr Leben neu zu ordnen. Sie arbeitet an einer Autobiographie, die von der Oxford Press veröffentlicht werden soll. Aufgrund ihres geringen Einkommens hat sie nicht genügend Spielraum für Sekretariatsdienste und andere von Zeit zu Zeit benötigte Hilfe.

Dr. Salomon hat viele Freunde in den Vereinigten Staaten. Dazu gehören Lillian Wald, Frau Carrie Chapman Catt, Herr James G. Macdonald und viele andere. Frau Jane Addams und Frau Anna Garlin Speneer waren viele Jahre lang Freunde von Dr. Salomon.

23. Februar 1938

New York, N.Y.

Alice Salomon (1872-1948), geboren in Berlin, war eine deutsche liberale Sozialreformerin jüdischer Herkunft. Sie wollte Lehrerin werden, konnte aber aufgrund der Bildungsvorschriften für Frauen ihres Standes nicht studieren. Im Jahr 1983 änderte sich diese Regel und sie studierte von 1902 bis 1906 Geschichte, Philosophie und Volkswirtschaft an der Friedrich-Wilhelm-Universität. Salomon machte es sich zur Lebensaufgabe, Frauen zu helfen und zu bilden und die internationale Frauenbewegung zu unterstützen. Sie gehörte den Mädchen- und Frauengruppen für soziale Hilfsarbeit an, deren Leitung sie 1899 übernahm. Sie gehörte auch dem Bund Deutscher Frauenvereine an, dessen Vorsitzende sie im Jahr 1900 wurde. Mit ihrer Dissertation „Die Ursachen der ungleichen Entlohnung von Männer- und Frauenarbeit“ wurde sie 1906 zum Doktor der Philosophie. Im Jahr 1909 wurde sie Schriftstellerin des Internationalen Frauenrates. In 1920 beendete sie ihre Arbeit im BDF wegen antisemitischer Propaganda und gründete die Deutsche Akademie für soziale und pädagogische Frauenarbeit.

In 1937 floh sie aus Deutschland, nachdem sie von der Gestapo aufgefordert wurde, dies zu tun, da ihr sonst eine Inhaftierung drohte. Einige Gründe dafür könnten ihre jüdische Herkunft und ihr internationales Engagement sein. Sie emigrierte in die Vereinigten Staaten, und ihre deutsche Staatsbürgerschaft wurde ihr aberkannt. Da sie erst sehr spät in ihrem Leben umzog, fiel es ihr schwer, sich anzupassen, wie in diesem Brief beschrieben wird. Sie war nie in der Lage, ihre Autobiographie zu vollenden, obwohl ihre Memoiren 1983 veröffentlicht wurden.

Die American Guild for German Cultural Freedom war eine Organisation, die deutschen Künstlern, Schriftstellern und Intellektuellen im Exil half, deren Arbeitsmöglichkeiten durch die faschistische Regierung in Deutschland beeinträchtigt oder unmöglich waren. Das Ziel der Organisation war es, die deutsche Kultur außerhalb Deutschlands am Leben zu erhalten. Die American Guild for German Cultural Freedom half diesen Menschen durch finanzielle Unterstützung. Die Flucht- und Ankommenserfahrung der deutschen Exilierten war für jeden Einzelnen unterschiedlich. Eine der Hauptschwierigkeiten im Exil ist die Anpassung an einen völlig neuen Ort und das Auffinden eines Unterstützungssystems.

Brief an die American Guild for German Cultural Freedom von Valeria H. Parker, Februar 1938  ©  Deutsches Exilarchiv 1933-1945 der Deutschen Nationalbibliothek.