Anna Seghers an Prinz Löwenstein, September 1938

In diesem Brief, geschrieben in Paris im September 1938, bedankt sich Anna Seghers für die Hilfe von Prinz Löwenstein und erzählt ihm ihre Pläne für ihr nächstes Buch.

Anna Seghers

Boite 1646

22, rue St. Augustin, Paris 2

Combloux, 1. September (1938)

 

Lieber Prinz Löwenstein,

Ich danke Ihnen für Ihren Brief und für Ihre erfolgreichen Bemühungen.

Ich las ganz erstaunt in Ihrem Brief, dass ich mich in New York um Werbehilfe bemüht habe. Ich habe selbst keinen solchen Brief an das Büro gerichtet. Tatsächlich hätte ich mich zuerst an Sie gewandt, weil ich überzeugt bin, dass Sie mir nach Kräften helfen würden. Vielleicht hängen die Sachen so zusammen:

Ernst Toller fragte mich in Paris, warum ich mich nie bewerbe und ob ich keine Arbeitshilfe wollte. Worauf ich ihm erwiderte, nicht sofort, vielleicht im Herbst, wenn ich meine Arbeit wirklich beginne und diese Hilfe besonders brauchen werde. Inzwischen trat ich mit meinem Verleger Landshoff wegen eben dieser Arbeit in Briefwechsel. Da ihm der Plan einleuchtete und er weiss dass ich an diesem Plan ganz besonders hänge, bemüht er sich mit mir, dieser Arbeit die nötigen Voraussetzungen zu beschaffen. Ich will versuchen Ihnen meinen Plan zu erklären, nicht um Ihre Zeit unnötig in Anspruch zu nehmen, sondern aus dem Gefühl Ihnen diese Information zu schulden, weil ich weiss, dass Ihre Teilnahme an der Arbeit eine wirkliche echte Teilnahme ist.

Ich möchte ein Buch machen ähnlich den alten grossen echten Novellensammlungen, also ein Buch aus etwa vierzig Novellen aus alle Bezirken des Lebens, politische Erzählungen, Liebesgeschichten, Kriminalgeschichten, geschichtliche Stoffe, Märchen, Sagen, Geschichten von Bäumen, Pflanzen, u.s.w. Also für alle Art von Menschen und für alle Art Stimmungen. Strenge Geschichten abwechselnd mit frechen, tragische mit lustigen. An diesem Buch hänge ich ganz besonders, erstens weil ich weiss, dass ich jetzt imstande bin ein solches Buch wirklich anständig zu schreiben, zweitens weil ich in einem solchen Buch sozusagen alle Seiten meines Schreibens bringen könnte und nicht auf ein bestimmtes Thema fixiert wäre.

Landshoff geht da auch hin – die Schwierigkeiten wissen wir alle. Ich habe nun selbst Landshoff gebeten, mir bei den materiellen Voraussetzungen dieser Arbeit zu helfen. Sie verstehen gewiss, dass es viel nützlicher ist, wenn alle Möglichkeiten, sowohl des Verlags wie etwa einer Arbeitshilfe zusammenkommen, im richtigen Moment, damit ich eine gewisse Arbeitszeit vor mir habe. Ich selbst bin in diesen Dingen nicht sehr geschickt (man ist es für seine Person ja nie), ausserdem bin ich viel fort, so habe ich also meinen Verleger gebeten, zu tun, was möglich ist. Landshoff schrieb mir, dass er nach Zürich fährt. Es ist auch möglich, dass er zufällig mit Toller gesprochen hat, oder Toller einfach für mich eingereicht hat.

Ich glaube Sie werden durch diesen Brief verstehen, wieso es möglich sein könnte, dass ich nicht sofort mit Ihnen sprach,- wirklich der einfachste und für mich selbstverständlichste Weg.
Sie wissen, dass ich Ihnen für jeden Rat in andrer und meiner Angelegenheit sehr dankbar bin. Mit herzlichen Grüssen

Ihre Anna Seghers

Anna Seghers (1900-1983), geboren als Netty Reiling in Mainz, war eine deutsche Schriftstellerin mit jüdischer Herkunft. Sie studierte Kunstgeschichte, Sinologie, Geschichte und Philologie in Heidelberg und Köln. Im Jahr 1925 heiratete sie László Radványi, einen ungarischer Geselschaftswissenschaftler. Das Ehepaar hatte kurz danach zwei Kinder, Peter geboren 1926 und Ruth geboren 1928. Zwischen den Geburten ihrer Kinder, veröffentlicht sie im Jahr 1937 die Erzählung Grubetsch, für die sie den renommierten Kleist-Preis bekommt.

Aufgrund Verfolgung der Nationalsozialisten flieht Seghers 1933 nach Frankreich, wo sie bis 1941 bleibt, daraufhin flieht sie nach Mexiko. Seghers war seit 1929 teil der Kommunistischen Partei Deutschlands, wie auch des Bundes proletarisch-revolutionärer Schriftsteller. Dies, zusammen mit ihrer jüdischen Herkunft, machte sie zu einem Verfolgungsopfer der Nazis. Während sie in Frankreich im Exil lebte schrieb sie „Der Kopflohn“, „Der Weg durch den Februar“ und „Die Rettung“. Im Exil schrieb sie auch „Das siebte Kreuz“, welches sie 1942 veröffentlichte, und sie weltweit bekannt macht. Nach dem Krieg veröffentlichte sie „Der Ausflug der toten Mädchen“, in der sie die Ermordung ihrer Mutter im KZ Piaski verarbeitet.

In den Briefen an Hubertus Prinz zu Löwenstein, der Gründer die American Guild for German Cultural Freedom, setzt sich Anna Seghers für sich und andere ein, Hilfe für ihre künstlerische Arbeit zu bekommen. Die American Guild for German Cultural Freedom war eine Organisation, die deutschen Künstlern, Schriftstellern und Intellektuellen im Exil half, deren Arbeitsmöglichkeiten durch die faschistische Regierung in Deutschland beeinträchtigt oder unmöglich waren. Das Ziel der Organisation war es, die deutsche Kultur außerhalb Deutschlands am Leben zu erhalten. Die American Guild for German Cultural Freedom half diesen Menschen durch finanzielle Unterstützung. Die Flucht- und Ankommenserfarhungen der deutschen Exilierten war für jeden Einzelnen unterschiedlich. Eine der Hauptschwierigkeiten im Exil ist die Anpassung an einen völlig neuen Ort und das Auffinden eines Unterstützungssystems. Die American Guild for German Cultural Freedom versuchte, den deutschen Exilierten bei dieser Anpassung zu helfen, damit sie sich gleichzeitig auch auf ihre Arbeit konzentrieren konnten.

Brief von Anna Seghers an Prinz Löwenstein, September 1938 © Deutsches Exilarchiv 1933–1945 der Deutschen Nationalbibliothek.