Ernst Hirschs Bemühungen, die türkische Sprache zu lernen und anzuwenden

Ernst Eduard Hirsch wurde im März 1933 wegen seiner jüdischen Herkunft aus seinem Amt als Richter auf Lebenszeit in Frankfurt am Main und als Privatdozent entlassen. Im Oktober 1933 folgte er einem Ruf der Universität Istanbul auf den Lehrstuhl für Handelsrecht. In diesem Ausschnitt aus seinen Memoiren beschreibt Hirsch seine Bemühungen, die türkische Sprache zu erlernen und damit seine Vertragsklausel einzuhalten, in türkischer Sprache zu lehren.

Ernst Eduard Hirsch with his students. Privat archive, with the kind permission of Enver Tandoğan Hirsch
Ernst Eduard Hirsch mit seinen Schülern. Privatarchiv, mit der freundlichen Genehmigung von Enver Tandoğan Hirsch

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„Der Professor verpflichtet sich, sein möglichstes zu tun, um nach dem dritten Jahr in türkischer Sprache zu unterrichten.“

Eine derartige Klausel war für Verträge mit ausländischen Spezialisten etwas völlig Neues. Schon das Osmanische Reich hatte zahlreiche Ausländer als Spezialisten beschäftigt, aber niemals die Erlernung und den Gebrauch des Türkischen von ihnen verlangt. Auch von den 17 deutschen Wissenschaftlern, die im Ersten Weltkrieg zwischen 1915 und 1918 in Darülfünun lehrten, wurde die Erlernung der türkischen Sprache nicht erwartet, geschweige denn als vertragliche Verpflichtung gefordert, ebensowenig von den drei französischen Professoren und einem Schweizer, die zeitlich einige Jahre vor 1933 engagiert worden waren. Erst in den durch die Notgemeinschaft deutscher Wissenschaft im Ausland vermittelten Verträgen mit den deutschen Emigranten findet sich die oben wiedergegebene Sprachkausel.

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Dank der gemeinsamen Bemühungen hatte ich nach 6 Monaten die Fähigkeit erworben, türkische Zeitungen und Gesetzestexte ohne Inanspruchnahme fremder Hilfe, wenn auch noch unter Benutzung des Wörterbuches, unmittelbar zu begreifen. Auch außerhalb der Sprachstunden auf der Überfahrt von Kadiköy zur Köprü und zurück zwang mich Halil, mich mit ihm türkisch zu unterhalten. Sogar auf dem Markt, wenn ich frische Fische oder Obst einkaufen wollte, bemühte er sich mit dem Befehl „Türkçe konuşun, Hocam!” (=Sprechen Sie türkisch, Professor!) mich an die Sprache des Volkes zu gewöhnen. Als eines Tages ein Verkäufer, der in mir den Ausländer erkannte, mir auf französisch antwortete, fuhr Halil den Verkäufer wütend an: „Warum antwortest Du nicht auf türkisch, wenn mein ausländischer Professor Dich auf türkisch anspricht?!“
Auch wenn ich nun schon auf eigenen Füßen stehen konnte, so haperte es noch immer mit dem Gehen. Trotz intensiver Bemühungen gelang mir das zusammenhängende frei Sprechen in der Vorlesung erst dann, als Rhythmus und Logik des türkischen Denkens sich so bei mir eingenistet hatten, daß ich begann, nicht mehr deutsch sondern türkisch zu träumen. Aber immerhin konnte ich die Sprachklausel meines Anstellungsvertrages einhalten und mit Beginn des vierten Studienjahres am 1. Nov. 1936 ohne Übersetzer meine Vorlesungen und sonstigen Lehrveranstaltungen in türkischer Sprache halten.

Ernst Eduard Hirsch wurde im März 1933 wegen seiner jüdischen Herkunft aus seinem Amt als Richter auf Lebenszeit in Frankfurt am Main und als Privatdozent entlassen. Im Oktober 1933 folgte er einem Ruf der Universität Istanbul auf den Lehrstuhl für Handelsrecht. Ernst E. Hirsch war wohl der jüngste unter allen an die Universität Istanbul Berufenen und der einzige, dem es gelang, den Sprung vom Privatdozenten (noch ohne Professorentitel) zum Ordinarius zu schaffen.

Er zählt zu den wenigen, die in relativ kurzer Zeit die türkische Sprache so erlernten, dass sie sich ihrer zunächst in den Prüfungen, dann auch in den Vorlesungen bedienen und bald darauf selbst ihre Bücher in der Landessprache verfassen konnten. Nach dem Erwerb der türkischen Staatsangehörigkeit im Jahr 1943 wechselte er an die Universität Ankara und lehrte dort neben Handelsrecht auch Rechtsphilosophie und Rechtssoziologie. Neben seiner Lehrtätigkeit widmete er sich in Istanbul dem Aufbau der Juristischen Fakultätsbibliothek, wovon er in seiner Autobiografie berichtete. Dort existierte zwar bereits eine Bibliothek, doch bestand diese aus Fachliteratur zum osmanischen Recht in arabischer Schrift, nicht jedoch zum Recht der 1923 gegründeten Republik Türkei und zum internationalen Recht.

In diesem Ausschnitt aus seinen Memoiren beschreibt Hirsch seine Bemühungen, die türkische Sprache zu erlernen und damit seine Vertragsklausel einzuhalten, in türkischer Sprache zu lehren.

1952 kehrte Hirsch nach Deutschland zurück, um dort die neugegründete Freie Universität Berlin als Ordinarius für Handelsrecht und Rechtssoziologie, Rektor und Prorektor mit aufzubauen.

Auszüge aus der Autobiografie: Ernst E. Hirsch, 1982: Aus des Kaisers Zeiten durch die Weimarer Republik in das Land Atatürks. Eine unzeitgemäße Autobiographie, J. Schweitzer Verlag: München.