Thomas Mann, Die Deutsche Akademie in New York. Kein Datum.

In diesem Text, geschrieben von Thomas Mann (1875-1955) erklärt er seine Meinung über die Gründung der Deutschen Akademie in New York im Zusammenhang mit der American Guild for German Cultural Freedom.

Von der “Deutschen Akademie in New York”, einer Konzeption der “American Guild for German Cultural Freedom”, ist letzthin in der amerikanischen Presse mehrfach die Rede gewesen, und auch meines Beitritts zu dieser in vollem Aufbau begriffenen Koerperschaft geschah Erwaehnung. Ich bitte um die Erlaubnis, die Sympathie, die ich der Idee entgegenbringe, und die mich zur Mitarbeit an Ihrer Verwicklung bestimmt, mit einigen wenigen Worte zu begruenden.

Wir Leben in einer Zeit, die neben einigen kraeftigen Machteilen den Vorzug hat, dass sie unser Erleben zu den Wurzeln der Dinge, zu den Grundwahrheiten, Grundtatsachen zuruckfuehrt und uns ewige Realitaeten wieder bemerkenswert macht, die uns gerade ihrer Selbstverstaendlichkeit wegen mehr oder weniger aus dem Sinn gekommen und unbeachtlich geworden waren. Eine solche simple und heute gleichsam als Neuigkeit zu erlebende und auszusprechende Wahrheit ist die, dass der Geist frei sein muss, um irgendwie interessant zu sein, irgendwelche Neugier zu erregen. Regelmentierter, kommandierter, terrorisierter Geist is keinen Schuss Pulver wert, er lockt keinen Hund vom Ofen und ist ein unding, um das niemand sich kuemmern mag, weil ihm kein Vertrauen zukommt, weil ihm die natuerliche Voraussetzung jeder echten Produktion, das unmittelbare Verhaeltnis zum Weltgeist fehlt, und weil er in jeder seiner Aeusserung in dem nicht abzuwehrenden Verdachte steht, Erzeugnis des Ausweiches, des Zugestaendnisses und des bedrueckten Notbehelfes zu sein. Das ist vollkommen unvermeidlich. Es hat nicht mit politischer Polemik zu tun, sondern ist eine einfache Feststellung, die auch von denen nicht zu bestreiten ist, die zu ihr Anlass geben. Freiheit und Geist sind ja ein und dasselbe. Freier Geist ist ein Pleonasmus und unfreier Geist ein Widerspruch im Beiwort. Ein in den Dienst einer politischen Machtkonzentration gezwungenes, ein diktatorisch gegaengeltes und befuchteltes “Geistesleben” ist jeden moralischen Kredits bar, es estitiert nur noch in Anfuehrungstrichen.

Ich bin weit entfernt zu glauben, dass ich mich, indem ich diese schlichte Tatsache ausspreche, etwa in Widerspruch setze zu der Meinung des besseren Teiles meiner in Deutschland lebenden Kollegen. Ich haben hinlaengliche Fuehlung mit meinem Lande behalten, um nicht nur zu vermuten, sondern zu wissen, dass die kulturlaehmende Wirkung des Totalitaetsanspruches der regierenden Partei dort ebenso empfunden wird wie draussen, und of habe ich aus deutschem Munde die trostlose Versicherung vernommen, es sei undenkbar und unmoeglich, dass auf diesem Boden je etwas Lebensdienliches wachse. Das einzige Erstaunliche dabei ist, dass die deutschen Intellektuellen, ihrer grossen Mehrzahl nach, das nicht im Voraus gewusst, sondern sehr viel beigetragen haben, um Machtverhaeltnisse zu schaffen, die im Begriffe sind, Deutschland in der Welt um alle seine werbenden Kraefte zu bringen. Schliesslich aber muessten sie keine Deutschen sein, um die mass- und wertsetzende Einmischung von Kulturfremdlingen in das Kulturleben der Nation nicht als unertreaglich zu empfinden und um nicht ueberhaupt das restlose Aufgehen der Kulturelleh im Staatlichen –  noch ganz angesehen von der geistigen und moralischen Qualitaet des Staates, der solche Totalitaet beansprucht – aus tiefstem Instinkt also vollkommen undeutsch zu verwerfen.

Mir wenigstens erscheint der Protest, der sich gegen eine solche Gleichsetzung, gegen die Einschnuerung der Kultur ins Politische erhebt, als etwa sehr Deutsche, durchaus “Artgemaesses”. Nie haben Staat und Kultur einander gedeckt in Deutschland, und soweit ethnologisch und sprachlich das Deutschtum hinausragt ueber die Grenzen des Reiches, so viel weiter ist der Bezirk deutscher Kultur, so viel hoeher ist ihr Begriff, als der deutscher Staatlichkeit. Das heisst germanische Freiheit. Kein Kulturkammer-Paesident wird ihrer Herr werden.

Sich zu der Ueberzeugung bekennen, es sei hoechst wuenscheswert, ja notwendig, dass ausserhalb des Diktatbereichs einer mit den Vorbedingungen des Schoepferischen unbekannten Menschenklasse eine deutsche Kulturtradition lebendig bleibe, ist selbstverständlich heute den im Reiche lebenden deutschen Intellektuellen bei Leibes- und Lebensgefahr verwehrt. Im Grunde aber will es auch uns Emigraten nicht recht zukommen, auf dieser Notwendigkeit zu bestehen. Es ist Sache der Welt, sie zu proklamieren, – jener Welt, die die Sympathie und Dankbarkeit nicht vergessen kann, welche sie dem dichtenden und forschenden deutschen Geist in Zeiten seiner sittlichen Autonomie und Selbstverantwortlichkeit je und je entgegengebracht hat, und der daran gelegen sein muss, diesen Geist, sofern er auch heute noch in Freiheit wirkt, dafuer aber freilich des staatlichen Rueckhalts entbehrt und in der Heimat unterdrueckt und verpoent ist, zu schuetzen und am Leben zu erhalten.

Nicht ohne Ruehrung beobachtet man, dass es an solchen Gedaechtnis und an dem Willen, es nicht nur in Worten, sondern auch in Taten zu bewaehren, in der Welt keineswegs fehlt. Die American Guild for German Cultural Freedom, ihre Gruendung, ihre illustre Zusammensetzung und das entschiedene Verstaendnis, dass ihre Bestrebung sofort in der amerikanischen Oeffentlichkeit gefunden haben, sind der beste Beweis dafuer. Ihr Programm, das allgemein gesagt, dahin geht, nach Moeglichkeit die Schwierigkeiten zu mildern, unter denen die kulturell produktive deutsche Emogration  von ein paar beguenstigten Prominenten abgesehen, ihr Werk tun muss, namentlich der jungen, noch namenlosen Generation Hilfe zu bringen in ihrem schweren Kampf und zwar ohne diese Hilfe im individuell Charitativen sich verzetteln und erschoepfen zu lassen, – dieses Programm, so hat man bald eingesehen, ist nicht durchfuehrbar ohne die taetige Mitwirkung der emigrierten Kulturtraeger selbst.

Sie sind es, die eigentlich das Werk aufbauen muessen, dur welches die Werte, die der Welt den deutschen Geist teuer gemacht haben, bewahrt, fortentwickelt, in die Zukunft gefuehrt werden koennen: Aus dieser Einsicht entsprang der Gedanke der Deutschen Akademie.

Sie ist gedacht also die repraesentative und praktisch wirksame Zusammenfassung aller geistigen, kuenstlerischen, wissenschaftlichen Kraefte deutscher Nationalitaet, die dank der Unduldsamkeit einer der Gewissensfreiheit des Geistes leugnenden Staatstotalitaet heute gezwungen sind, außerhalb der Reichsgrenzen dem deutschen Namen zu dienen, indem sie der Menschheit dienen. Die ideelle Bedeutung einer solchen Koerperschaft ist offenkundig. Sie konzentriert und erhebt zur Einsicht, Sichtbarkeit, Macht, was sonst diffus, ins Individuelle aufgeloest, ohne Gesamtwillen und Besamtansehen war. Sie bietet den exilierten, ueber viele Laender verstreuten deutschen Kuenstlern und Forschern jenen organisatorischen Rueckhalt, den die geistigen Arbeiter anderer Laender in ihrem Staatswesen besitzen, Zusammengesetzt aus allen Typen kultureller Produktivitaet: bildenden und darstellenden Kuenstlern, Schriftstellern, Musikern, Gelehrten aller Art, wird sie den Ueberblick zu schaffen vermoegen ueber die intellektuelle Gesmtleistung deutscher Nation ausserhalb des Reiches; sie kann die Bruecke bilden nicht nur zu zwischen der deutschen Kultur von gestern und der von morgen, sondern auch zwischen deutschem Geistesleben und dem der anderen Voelker.

Die hoehere Aufgabe der Akademie wird also eine Art von Schutzherrschaft sein ueber das bedrohte deutsche Geistesgut. Doch wird sich ihre Funktion im Repraesentativen nicht erschoepfen. Sie wird durch einen europaeischen Senat, der die Verbindung aufrecht erhalten soll zwischen ihr und der “American Guild”, die Mittel zu verwalten und zu verwenden haben, welche diese ihr zu Verfuegung stellt, wird den “Officers” der Guild ihre Vor- Vorschlaege machen wegen der Vergebung der Stipendien, Arbeitsbeihilfen, Verleger-Zuschuessen, Preisen, mit denen hervorragende Leistungen der deutschen kulturellen Emigration geehrt und der Welt zur Kenntnis gebracht werden sollen, wird ferner mit europaeischen und amerikanischen Verlagshaeusern, Musikinstituten und Galerien Abkommen zu treffen haben ueber die Veroeffentlichung, die Auffuehrung, den Ankauf der preisgekroenten Werke und jener Arbeiten, die unter dem Schutz und mit Hilfe der Stipendien der Akademie geschaffen wurden, und sie hofft, fuer die Produktion der verbannten deutschen Geistigen ein festes Stamm-Publikum zu schaffen, indem sie die Freunde deutscher Kultur in deutsche und englische Buchgemeinschaften zusammenfasst. Man darf nicht vergessen, dass “Deutschland”  groesser ist als das Reich; dass ausserhalb seiner Grenzen 35 Millionen Menschen leben, deren geistigseelisches Leben sich mehr oder weniger entschieden in deutscher Sprache abspielt. Es waere unbillig, diese ganze deutsch denkende und verstehende Menschheit ausschliesslich den schmetternden Einwirkungen des Berliner Propaganda-Ministeriums zu ueberlassen. Gegenwirkungen sind moeglich. Eine andere deutsche Kulturtradition in ihr wach zu erhalten, ist vielleicht als die Hauptaufgabe der Akademie zu bezeichnen, doppelt wichtig darum, weil auf diesem Wege, ueber das Auslandsdeutschtum, eine Einflussnahme auch auf das Reichsvolk selbst gelingen und den darin unzweifelhaft lebendig gebliebenen edlern Kraeften Sukkurs gebracht werden kann. –

Ein europaeisches Sekretariat der American Guild und der ihr angeschlossenen Deutschen Akademie ist in London errichtet und hat seine Arbeit aufgenommen. Es teilt mit, dass in kurzer Zeit eine neue Zusammenkunft des “Board of Directors” der American Guild stattfindet, auf der ueber das diesjaehrige Budget, ueber die rechtliche Konstitution des europaeischen Senats der Akademie, ueber Gliederung, Arbeitsverteilung, Jahresprogramm Beschluesse gefasst werden sollen. Man erfaehrt ausserdem, dass im Laufe des Winters die Mitglieder der Akademie zu einer allgemeinen Sitzung nach Genf zusammengerufen werden sollen, bei der der Generalsekretaer der American Guild, Prinz Hubertus zu Löwenstein, ueber das Geleistete und Geplante Bericht erstatten wird.-

Ich habe von dieser Sache so ausfuehrlich erzaehlt, weil mein Herz sie bejaht und meine Wuensche mit ihr sind: die Wuensche eines Deutschen, den es schwer ankaeme, wenn ”Deutsch” hinfort ohne jeden milderen Nebensinn nur als ein anderer Name fuer Kriegsdrohung, Geistes – und Voelkerzwang sein sollte. Wer in aller Welt sich dem deutschen Geiste um der freien Beitraege willen, die die allgemeine Kultur von ihm empfing, zu Dank verbunden fuehlt, wird der “Deutschen Akademie in New York” seine moralische und materielle Unterstuetzung nicht versagen.

THOMAS MANN.

Thomas Mann (1875-1955), geboren in Lübeck, Deutschland, war ein nobel preisgekrönter Schriftsteller. Der erste Roman, den er veröffentlichte, war „Gefallen“, der 1894 in der Zeitung „Die Gesellschaft“ abgedruckt wurde. Im Laufe seines Lebens schrieb und veröffentlichte er in vielen Zeitungen, unter anderem in „Der Frühlingssturm. Monatszeitschrift für Kunst, Literatur und Philosophie“ und „Das Zwanzigste Jahrhundert. Blätter für deutsche Kunst und Wohlfahrt“. Im Jahr 1905 heiratete er Katia Pringsheim, mit der er sechs Kinder hatte. Im Jahr 1924 hielt er seine erste öffentliche politische Rede „Von deutscher Republik“, in der er die Weimarer Republik verteidigte. Als Reaktion auf die Nationalsozialisten hielt er 1930 die Rede „Deutsche Ansprache – Ein Appell an die Vernunft“. Nach der offiziellen Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland entschloss er sich 1933 zur Emigration in die Schweiz und 1938 weiter in die Vereinigten Staaten von Amerika, deren Staatsbürgerschaft er 1944 annahm. Er verließ die USA und ging 1952 in die Schweiz, nachdem ihm der Kongress vorgeworfen hatte, ein Kommunist zu sein. Er verbrachte den Rest seines Lebens in Zürich.

Thomas Mann war während und nach dem Zweiten Weltkrieg ein wichtiger Teil davon, die deutsche Kultur außerhalb des Deutschen Reiches lebendig zu halten. Die American Guild for German Cultural Freedom war eine 1935 gegründete Organisation, die deutschen Künstlern, Schriftstellern und Intellektuellen im Exil half, deren Arbeitsmöglichkeiten durch die faschistische Regierung in Deutschland beeinträchtigt wurden. Ziel der Organisation war es, die deutsche Kultur außerhalb Deutschlands am Leben zu erhalten, da sie innerhalb der deutschen Grenzen nicht überleben und gedeihen konnte. Die American Guild for German Cultural Freedom half diesen Menschen durch finanzielle Unterstützung und den Abschluss von Verträgen mit Verlagen. Die Flüchtlingserfahrung der deutschen Exilanten war für jeden Einzelnen unterschiedlich. Eine der Hauptschwierigkeiten auf der Flucht ist die Anpassung an einen völlig neuen Ort und das Finden eines Unterstützungssystems. Die American Guild for German Cultural Freedom versuchte, den deutschen Exilanten bei dieser Anpassung zu helfen, damit sie sich gleichzeitig auch auf ihre Arbeit konzentrieren konnten. Da Mann ein Emigrant war, der sich bereits vor der Herrschaft der Nazis einen Namen gemacht hatte, konnte er jüngeren, weniger bekannten Künstlern, Schriftstellern und Wissenschaftlern helfen, sich außerhalb des Deutschen Reiches einen Namen zu machen. Thomas Mann setzt sich in diesem Text für die Gründung einer Deutschen Akademie in New York ein, die von der American Guild for German Cultural Freedom unterstützt wird.

Thomas Mann Die Deutsche Akademie in New York ©  mit Genehmigung von dem Exilarchiv der Nationalbibliothek in Frankfurt, Deutschland.