Überlebt. Doch nicht gerettet.

Ein/e unbekannte/r Autor*in beschreibt die Hürden, die sich den Auswanderungswilligen in den Weg stellen.

Kinder lesen die Lagerzeitung Undser Lebn, 1946 © United States Holocaust Memorial Museum, courtesy of Mayer & Rachel Abramowitz, 48780

Emigration, Emigration – immer öfter hört man das Wort bei vielen Lagerjuden und es erfüllt sie mit Hoffnung und Träumen […] Aber wie sehen die süßen Träume in der Wirklichkeit aus? Darüber erzählen Briefe von Angekommenen, von Enttäuschten, und oft, Verzweifelten … Arbeitslosigkeit, spezielle Gesetze für Einwanderer und Ausländer, langanhaltende erzwungene Unterkunft bei Verwandten […]. Aber das alles sind Kleinigkeiten im Vergleich mit der großen Epidemie, die den Wanderjuden in die neuen Diasporaländer begleitet. Antisemitismus heißt diese Epidemie, die keine Grenzen oder Zäune kennt, die in alle Ecken der Erdkugel dringt und das Leben und die normale Existenz von Juden in Diasporaländern erschwert.

Kinder lesen die Lagerzeitung Undser Lebn, 1946 © United States Holocaust Memorial Museum, courtesy of Mayer & Rachel Abramowitz, 48780

Nach Ende des Zweiten Weltkriegs wurde Berlin zum Zufluchtsort für Millionen von Geflüchteten und Displaced Persons. Unter den DP-Status fielen mehrere Gruppen von Menschen, die ihr Zuhause durch Krieg, Versklavung und Verfolgung verloren hatten. So fanden sich neben ehemaligen Zwangsarbeiter:innen, ausländischen Vertragsarbeiter:innen und Kriegsgefangenen auch jüdische Displaced Persons in Berlin wieder. Sie waren aus nationalsozialistischen Konzentrationslagern oder auf Todesmärschen befreit worden oder kehrten aus dem Exil zurück. Sie nannten sich she’erit hapletah, „die letzten Überlebenden“. Für die meisten von ihnen war Deutschland als das Land der Täter:innen der letzte Ort, an dem sie bleiben wollten.

In der zerstörten Stadt wurden drei größere Durchgangslager für jüdische DPs eingerichtet. Die erneute Unterbringung in Durchgangslagern wirkte auf viele jüdische DPs retraumatisierend. Innerhalb weniger Monate entwickelten sich die Lager zu selbstverwalteten kleinen Städten innerhalb des Stadtraums Berlin. Die Lager blieben nur bis 1948 bestehen, doch einige Bewohner:innen blieben für immer.

Kinder lesen die Lagerzeitung Undser Lebn, 1946 © United States Holocaust Memorial Museum, courtesy of Mayer & Rachel Abramowitz, 48780

Im August 1946 erschien die erste Ausgabe der jiddischsprachigen Lagerzeitung Undser Lebn, die das zentrale Organ des Lagerlebens sein sollte. Oft humoristisch geschrieben, widmeten sich die Autoren Themen von sozialem, politischem und kulturellem Interesse. Die Zeitung erschien in unregelmäßigen Abständen und hatte eine Auflage von bis zu 3.000 Stück. Darüber hinaus erschienen in den DP-Lagern zahlreiche jiddischsprachige Publikationen. Separate jiddische Bibliotheken wurden eingerichtet.