Zwischen Bosporus und Pflaumenblüten: Briefe von Bruno Taut an Tokugen Mihara, April 28, 1937

Bruno Taut, Architekt und Städtebauer des Neuen Bauens, kam 1935 als Leiter der Architekturabteilung der Istanbuler Akademie der Künste und als Leiter des Architekturbüros beim türkischen Kulturministerium aus seinem ersten Exil in Japan in die Türkei, wo er bis zu seinem frühen Tod 1938 lebte. In seinen Briefen an den japanischen Freund und Kollegen Tokugen Mihara bringt er seine Sehnsucht nach der ersten Exilstätte zum Ausdruck und reflektiert seine persönlichen und professionellen Erfahrungen in Istanbul.

Orteköy, 28.04.37 

Zeichnungen des Bosporus von Bruno Taut in einem Brief an Tokugen Mihara vom 8. August 1938. Akademie der Künste Berlin, Bruno-Taut-Sammlung, Nr. 145
Zeichnungen des Bosporus von Bruno Taut in einem weiteren Brief an Tokugen Mihara vom 8. August 1938. Akademie der Künste Berlin, Bruno-Taut-Sammlung, Nr. 145

Mein lieber Herr Mihara,
Ihre Pflaumenblüten hatten noch den Duft von Gummaken. 11Eine Präfektur in Japan Aber noch schöner war die Güte, die in Ihrem Brief lag.
Gestern Abend: Mond und heller Stern, Wölkchen, grosse Kiefern – dahinter sprüht der Glanz auf dem fliessenden Meerwasser des Bosporus. Ein Schiff fährt hindurch und zieht hinter sich funkelnde Fäden. Die Nachtigallen singen fleissig. Ich sehe und höre das, und höre zugleich vom Radio (aus Warschau) die 3 oder 400 jährigen Chöre von Palestrina – leise und gross.
Meine Welt hier ist fast zu schön. Zu schön für meine schweren Aufgaben. Nie weiss ich, ob sie gelingen werden. Trotzdem muss man sich selbst vertrauen.
Yoitsiyuki-kun soll das auch tun. Er hat es schwer; ich denke manchmal mit Sorge an ihn: der Egoismus verkleidet sich oft in Freundschaft. Die einzige Hilfe: man muss sich selbst zur Entfaltung bringen. Grüsse und Wünsche Ihrer Familie, auch Herrn Ueno! 22Isaburo Ueno, ein weiterer Freund und Kollege Tauts in Japan.
In allen guten Gedanken immer
Bruno Taut

    Fußnoten

  • 1Eine Präfektur in Japan
  • 2Isaburo Ueno, ein weiterer Freund und Kollege Tauts in Japan.

Bruno Taut (1880–1938) war ein bekannter deutscher Architekt und Stadtplaner, der die Schule des Neuen Bauens vertrat. Nachdem er in Deutschland u. a. durch mehrere Großsiedlungen in Berlin (die Hufeisensiedlung in Britz, Onkel Toms Hütte, die Carl-Legien-Stadt) bekannt geworden war und 1931 eine Professur an der Technischen Hochschule Berlin-Charlottenburg erhalten hatte, musste er bereits 1933 gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin Erica Wittich vor den Nationalsozialist*innen nach Japan fliehen, wo er bis 1934 als Berater am Staatlichen Lehr-Gewerbeinstitut kogei shidosho in Sendai tätig war – eine Zeit, die er als sehr fruchtbar und prägend erlebte.
Durch Vermittlung seines Kollegen Martin Wagners, ehemaliger Stadtbaurat von Berlin und seit 1935 als städtebaulicher Berater der Stadt Istanbul in der Türkei, kam Taut 1936 in die Türkei, wo er als Leiter der Architekturfakultät an der Akademie der Künste in Istanbul und als Leiter des Baubüros des Kulturministeriums, zuständig für Schul- und Universitätsbau, die Modernisierung der türkischen Architektur federführend vorantreiben sollte. Die Anwerbung von deutschen Architekten war Teil des türkischen Modernisierungsprogramms. 11Siehe dazu: Burcu Doğramacı (2016): Kollegen und Konkurrenten: Deutschsprachige Architekten und Künstler an der Akademie der schönen Künste in Istanbul. In: Kubaseck, Christopher; Seufert, Günter (Hrsg.): Deutsche Wissenschaftler im türkischen Exil : die Wissenschaftsmigration in die Türkei 1933 – 1945. Istanbuler Texte und Studien, Bd. 12. Würzburg: Ergon. S. 135-156.
Bruno Tauts Zeit in Istanbul bis zu seinem frühen Tod an einer Asthmaerkrankung im Dezember 1938 war von viel Arbeit geprägt: Taut versuchte gegen einige Widerstände, als Professor und Verwaltungsleiter des Instituts die Architekturausbildung mit einem stärkeren Praxisbezug zu reformieren und setzte Hoffnungen in das Potenzial des türkischen Nachwuchses und des modernistischen Geistes in der jungen Republik, um einen neuen Baustil zu finden und durchzusetzen. In seinen eigenen architektonischen Projekten, darunter viele Schul- und Universitätsgebäude, genoss er die ihm eingeräumt künstlerische Freiheit. Zudem erschien seine bereits in Japan begonnene Schrift zur „Architekturtheorie“ in türkischer Sprache.
Nach dem Tod Atatürks 22Mustafa Kemal Atatürk (1881-1938) begründete die nach dem Ersten Weltkrieg aus dem zerfallenen Osmanischen Reich hervorgehende Republik Türkei und war von 1923 bis 1938 ihr erster Präsident. Bis heute wird er als Symbolfigur türkischer nationaler Selbstbehauptung mit einem starken und meist unkritischen Personenkult verehrt. Bekannt ist er vor allem für seinen kompromisslosen Modernisierungskurs, mit dem er die junge türkische Republik führte: Als Weg zur Modernisierung proklamierte er eine radikale Laizisierung und Europäisierung des Staates. wurde Taut mit der Gestaltung dessen Katafalks beauftragt. Als bis dahin einziger Ausländer und Nicht-Muslim wurde Taut auf dem Ehrenfriedhof des türkischen Staates, in Edirnekapı, Istanbul, bestattet.
In seinen Briefen an japanische Kollegen und Freunde wird Tauts Sehnsucht nach seiner ersten Exilstätte Japan spürbar, mit der er sich auch in Istanbul lebend weiterhin verbunden fühlte. Die Briefe schweifen von persönlichen Auskünften und Erkundigungen, über die verbindenden Überlegungen zum Neuen Bauen und professionelle Erfolge bis hin zu Schilderungen über die Stadt- und Naturszenerie in Istanbul.
Der originale Brief ist auf sogenanntem „Shoji-Papier“ geschrieben, das eigentlich für die Bespannung von japanischen Schiebewände verwendet wird. Die Dreiteilung wurden von Mihara vorgenommen.

    Fußnoten

  • 1Siehe dazu: Burcu Doğramacı (2016): Kollegen und Konkurrenten: Deutschsprachige Architekten und Künstler an der Akademie der schönen Künste in Istanbul. In: Kubaseck, Christopher; Seufert, Günter (Hrsg.): Deutsche Wissenschaftler im türkischen Exil : die Wissenschaftsmigration in die Türkei 1933 – 1945. Istanbuler Texte und Studien, Bd. 12. Würzburg: Ergon. S. 135-156.
  • 2Mustafa Kemal Atatürk (1881-1938) begründete die nach dem Ersten Weltkrieg aus dem zerfallenen Osmanischen Reich hervorgehende Republik Türkei und war von 1923 bis 1938 ihr erster Präsident. Bis heute wird er als Symbolfigur türkischer nationaler Selbstbehauptung mit einem starken und meist unkritischen Personenkult verehrt. Bekannt ist er vor allem für seinen kompromisslosen Modernisierungskurs, mit dem er die junge türkische Republik führte: Als Weg zur Modernisierung proklamierte er eine radikale Laizisierung und Europäisierung des Staates.

Akademie der Künste, Berlin, Bruno-Taut-Sammlung, Nr. 141

Bild: Akademie der Künste, Berlin, Bruno-Taut-Sammlung, Nr. 145

Vielen Dank an Martina Krickel für die engagierte Unterstützung bei der Recherche der Dokumente und Hintergrundinformationen.