Ich fühle mich überall in Berlin wohl. Wo in Berlin ist egal, aber Hauptsache in Berlin, nicht so außerhalb. Ich habe hier auch ein paar Freunde gefunden. Ich mag die soziale Atmosphäre. Die meisten Leute hier sind offen, man kann sich gut unterhalten und mit ihnen Spaß haben. Und jeder kann sein, wie er ist. Das ist anders als bei uns, weil da manche Dinge für die anderen Leute unangenehm sind. Auch wenn es dir gefällt, wollen die Leute das manchmal nicht sehen, wie zum Beispiel meine Haare, das wäre unangenehm für meine Eltern. Hier kannst du alles machen, außer verbotene Sachen, sonst kannst Du das Leben einfach genießen. Das ist eine wichtige Sache für mich.
Ich habe gehört, dass es so was wie Diskriminierung gibt, aber persönlich ist es mir noch nicht passiert. Ich habe mich nur um meine Sachen gekümmert, bin nach der Schule nach Hause, habe für mich Essen gekocht und entspannt, mich an die richtigen Freunde gehalten. Ich habe also keine negativen Erfahrungen gemacht.
Ich bin also soweit zufrieden. Es gibt immer Sachen, die einem Menschen fehlen. Aber man bekommt nicht alles umsonst, man muss schon was dafür tun. Und ich will irgendwann selbstständiger und nicht von der Unterstützung anderer abhängig sein.
Ich bin zufrieden damit, wie Deutschland mich aufgenommen hat. Das ist nicht selbstverständlich, dass du in ein Land kommst, wo du keinen kennst, und man gibt dir was zu Essen und einen Ort zum Schlafen. Das reicht aus. Das ist besser als alles, was ich vorher erlebt habe. Das einzige Problem ist der unsichere Aufenthalt und die Bürokratie beim BAMF: Man bekommt so viele Briefe nach Hause, bei uns bekommt man sowas gar nicht. Das nervt manchmal ein bisschen. Wenn ich manchmal ein paar Tage nicht in den Briefkasten gucke, ist er gleich voll. Aber wenn man woanders ist, muss man sich auch auf diese Gewohnheiten einlassen. Und die Betreuer helfen mir mit den Briefen. Früher, bevor ich volljährig wurde, hat mein Vormund immer direkt die Briefe bekommen. Meinen Vormund habe ich aber nicht mehr als drei Mal gesehen. Einmal hat er sich vorgestellt, beim zweiten Mal haben wir den Asylantrag vorbereitet und beim dritten Mal waren wir für den Asylantrag im BAMF, aber danach meinte er: „So, jetzt ist es vorbei. Es geht nur ums Gesetz.“
Ich habe noch manchmal Kontakt zu meiner Mutter und meiner kleinen Schwester. Für meine Mutter war es nicht so einfach, dass ich gegangen bin, deswegen versuche ich, mich regelmäßig bei ihr zu melden. Es geht ihr nicht so gut, seit ich weg bin. Ich war so klein, als ich meine Heimat verlassen habe. Natürlich gibt es einige Leute, die ich vermisse, und manchmal habe ich Heimweh und Sorge um meine Mutter.
Aliou B. hat Guinea 2014 mit 13 Jahren verlassen und auf seiner Flucht über Mali, Burkina Faso, Niger und Libyen Hunger, Misshandlungen und Inhaftierungen erfahren. Quasi per Zufall geriet er auf ein Schlauchboot Richtung Italien und erlebte, wie viele der Mitfahrenden ertranken. Nach einem Aufenthalt in Italien kam er schließlich Ende 2017 in Deutschland an, wo er als unbegleiteter Minderjährige besondere Unterstützung erhielt. Mittlerweile ist er volljährig, geht zur Schule, wohnt in einer WG mit anderen jungen Geflüchteten und hofft darauf, nach der Schule eine Ausbildung zum Kfz-Mechaniker zu machen.
In diesem Interviewabschnitt beschreibt er Berlin als Stadt, in der er Schutz und soziale Unterstützung, nette Menschen und die Möglichkeit, so zu sein, wie er ist, gefunden hat. Er erzählt von seiner Hoffnung, irgendwann unabhängig von der Unterstützung anderer zu sein und von seinen Schwierigkeiten mit der deutschen Bürokratie. Aliou erwähnt auch, wie es für seine Familie und ihn ist, seit sechs Jahren getrennt und oft in Sorge umeinander zu sein.
Das Interview mit Aliou B. wurde im Dezember 2020 durch das We Refugees Archiv geführt.