Anna Seghers an die American Guild for German Cultural Freedom bezüglich Lothar Freund und Lukas Lehman, Oktober 1938

In diesem Brief setzt sich Anna Seghers für Lothar Freund und Lukas Lehman ein, in der Hoffnung dass sie Unterstützung der American Guild for German Cultural Freedom bekommen, um ihre Arbeit fortzusetzen.

12. Oktober 38

An die American Guild for German Cultural Freedom

Zwei Kunsthistoriker, Lothar Freund, und Lukas Lehman haben sich an Sie um Zuwendung und an mich für Befürwortung gewandt.

Lothar Freund arbeitet auf dem Gebiet der deutschen Kunst in der Reformationszeit. Er ist ein junger Mensch, der trotz Armut und aller Schwierigkeiten, gründliche und interessante Arbeit macht. Man sollte ihm unbedingt Gelegenheit geben, seine Arbeit durchzuführen, deren Wert mir überdies von guten Kunsthistorikern bestätigt wurde.

Ich möchte auch Lehman befürworten. Hat ein Kind und ist sehr arm. Er arbeitet über deutsche Kunst im Mittelalter (Abhängigk. von der sozialen Struktur u.s.w.)

Ob man den Kunsthistorikern, besonders den unbekannteren, nicht noch eine andre Möglichkeit geben könnte als bloss die geldliche. Bei aller Verschiedenheit in den Auffassungen arbeiten die emigrierten Kunsthistoriker in einer gemeinsamen Richtung, die das Gegenteil von dem ist was jetzt in Deutschland gelehrt wird. Kann man ihnen nicht in hohem Maas Anschluss an Fachverlage u.s.w. ermöglichen?

Noch eine Bitte: Man wendet sich immer an mich um solche Befürwortungen direkt an die Autoren zu schicken. Führen Sie doch einheitlich ein, dass man nur direkt an die Akademie Befürwortungen schickt. Sonst gibt es einen Haufen privaten Ärger, was zwar ertragbar ist, aber die langweiligste Korrespondenz erfordert.

Es grüsst Sie herzlich,

Ihre

Anna Seghers

Anna Seghers (1900-1983), geboren als Netty Reiling in Mainz, war eine deutsche Schriftstellerin mit jüdischer Herkunft. Sie studierte Kunstgeschichte, Sinologie, Geschichte und Philologie in Heidelberg und Köln. Im Jahr 1925 heiratete sie László Radványi, einen ungarischer Geselschaftswissenschaftler. Das Ehepaar hatte kurz danach zwei Kinder, Peter geboren 1926 und Ruth geboren 1928. Zwischen den Geburten ihrer Kinder, veröffentlicht sie im Jahr 1937 die Erzählung „Grubetsch“, für die sie den renommierten Kleist-Preis bekommt.

Aufgrund Verfolgung der Nationalsozialisten flieht Seghers 1933 nach Frankreich, wo sie bis 1941 bleibt, daraufhin flieht sie nach Mexiko. Seghers war seit 1929 teil der Kommunistischen Partei Deutschlands, wie auch des Bundes proletarisch-revolutionärer Schriftsteller. Dies, zusammen mit ihrer jüdischen Herkunft, machte sie zu einem Verfolgungsopfer der Nazis. Während sie in Frankreich im Exil lebte schrieb sie „Der Kopflohn“, „Der Weg durch den Februar“ und „Die Rettung“. Im Exil schrieb sie auch „Das siebte Kreuz“, welches sie 1942 veröffentlichte, und sie weltweit bekannt macht. Nach dem Krieg veröffentlichte sie „Der Ausflug der toten Mädchen“, in der sie die Ermordung ihrer Mutter im KZ Piaski verarbeitet.

In den Briefen an Hubertus Prinz zu Löwenstein, der Gründer die American Guild for German Cultural Freedom, setzt sich Anna Seghers für sich und andere ein, Hilfe für ihre künstlerische Arbeit zu bekommen. Die American Guild for German Cultural Freedom war eine Organisation, die deutschen Künstlern, Schriftstellern und Intellektuellen im Exil half, deren Arbeitsmöglichkeiten durch die faschistische Regierung in Deutschland beeinträchtigt oder unmöglich waren. Das Ziel der Organisation war es, die deutsche Kultur außerhalb Deutschlands am Leben zu erhalten. Die American Guild for German Cultural Freedom half diesen Menschen durch finanzielle Unterstützung. Die Flucht- und Exilerfahrung der deutschen Exilierten war für jeden Einzelnen unterschiedlich. Eine der Hauptschwierigkeiten im Exil ist die Anpassung an einen völlig neuen Ort und das Auffinden eines Unterstützungssystems. Die American Guild for German Cultural Freedom versuchte, den deutschen Exilierten bei dieser Anpassung zu helfen, damit sie sich gleichzeitig auch auf ihre Arbeit konzentrieren konnten.

Brief von Anna Seghers an die American Guild for German Cultural Freedom, Oktober 1938 © Deutsches Exilarchiv 1933–1945 der Deutschen Nationalbibliothek.