Blick auf den Bosporus – Gedanken an Japan: Brief von Bruno Taut an Mihara vom 08.08.1938
Bruno Taut, Architekt und Städtebauer des Neuen Bauens, kam 1935 als Leiter der Architekturabteilung der Istanbuler Akademie der Künste und als Leiter des Architekturbüros beim türkischen Kulturministerium aus seinem ersten Exil in Japan in die Türkei, wo er bis zu seinem frühen Tod 1938 lebte. In seinen Briefen an den japanischen Freund und Kollegen Tokugen Mihara bringt er seine Sehnsucht nach der ersten Exilstätte zum Ausdruck und reflektiert seine persönlichen und professionellen Erfahrungen in Istanbul.
Brief von Taut an Mihara vom 08.08.1938
My dear Yoshiyuki kun, 11This title is composed of the Japanese reading of Tokugen Mihara’s characters, „Yoshiyuki“ and the informal title „Kun“.
You wrote me such kind letter which I read again and again. I hanged it at the wall of my working room. Many many thanks!
Also to your sendings of photographs; our remembrance to our staying in Japan, especially at Shorinzan will remain pure and clean, forever. Hearty greetings to your beloved Okusan, all good luck to your marriage. […] At my exhibition were a special room containing my works of Japan 1933–1936. 22In 1938, the Istanbul Academy of Arts exhibited a retrospecitve of Taut’s work. Perhaps I myself had the greatest pleasure of it.
My dear,
how are you now? With many sorrows we are thinking of Nihan. Will remain ist Bunka, will it be developed or cease? (Page 303 of my book)
I am glad of your work, also about the success of Mr. Inoue as he wrote [me] some time ago. Please say him best regards and wished that he may keep strong critic about Haikara. 33Japanese term for „western influenced“, also „modern“.
Here I remain faithful in fighting against it – in architecture ironically named „gubik“ = cubique (french). I try it in my constructions, in my teaching. Soon shall appear a book in Turkish about architectural theory.
Art remains for ever and ever highest expression of human feeling and therefore the sharpest sword against all devils in man’s soul.
Here my work is not at all easy, inspite of all beauty of nature. Nice ships, many coloured, on the Bosphore, playing dolphins, sometimes, quite near at my window in the academy. [drawing]
[…] At any case, don’t neglect your English. Otherwise we both couldn’t have had so good friendship.
View from our small house. [drawing]
All good regards to your nice father, to your mother and your whole family!
All thanks for all what you did for us!
Ever your friend
Bruno + Erica Taut
Fußnoten
1This title is composed of the Japanese reading of Tokugen Mihara’s characters, „Yoshiyuki“ and the informal title „Kun“.
2In 1938, the Istanbul Academy of Arts exhibited a retrospecitve of Taut’s work.
3Japanese term for „western influenced“, also „modern“.
Brief von Taut an Mihara vom 08.08.1938
Mein lieber Yoshiyuki kun, 11Diese Anrede setzt sich aus der japanischen Lesart der Schriftzeichen von Tokugen Mihara, „Yoshiyuki“ und der informellen Anrede „Kun“ zusammen.
Sie haben mir so einen freundlichen Brief geschrieben, den ich immer und immer wieder gelesen habe. Ich habe ihn an die Wand meines Arbeitszimmers gehängt. Vielen, vielen Dank!
Auch für Ihre Zusendung der Fotografien, unsere Erinnerung an unseren Aufenthalt in Japan, insbesondere in Shorinzan, wird für immer klar und rein bleiben. Herzliche Grüße an Ihre geliebte Okusan, alles gute Glück für Ihre Hochzeit. […]
In meiner Ausstellung gab es einen Extraraum für meine japanischen Werke, 1933–1936 221938 stellte die Akademie der Künste in Istanbul eine Retrospektive von Tauts Werk aus. Wahrscheinlich hatte ich selbst die größte Freude daran.
Mein Lieber,
wie geht es dir jetzt? Mit viel Kummer denken wir an Nihan. Bleibt die Bunka, wird sie ausgebaut oder aufgegeben? (Seite 303 in meinem Buch)
Ich freue mich über deine Arbeit, auch über den Erfolg von Herrn Inoue, wie er mir vor einiger Zeit schrieb. Bitte grüßen Sie ihn herzlich und wünschen Sie ihm, dass er eine starke Kritik an Haikara 33Japanische Bezeichnung für „westlich beeinflusst“, auch „modern“. beibehalten möge.
Hier bleibe ich treu im Kampf dagegen – in der Architektur ironisch „gubik“ = cubique (französisch) genannt. Ich versuche es in meinen Konstruktionen, in meinem Unterricht. Bald soll ein Buch auf Türkisch über Architekturtheorie erscheinen.
Die Kunst bleibt für immer und ewig der höchste Ausdruck des menschlichen Gefühls und damit das schärfste Schwert gegen alle Teufel in der Seele des Menschen.
Hier ist meine Arbeit, trotz aller Schönheit der Natur, gar nicht leicht. Schöne Schiffe, vielfarbig, auf dem Bosporus, spielende Delphine, manchmal, ganz nahe an meinem Fenster in der Akademie. [Zeichnung]
[…] Vernachlässigen Sie auf jeden Fall nicht Ihr Englisch. Sonst hätten wir beide keine so gute Freundschaft haben können.
Blick aus unserem kleinen Haus. [Zeichnung]
Herzliche Grüße an deinen lieben Vater, deine Mutter und deine ganze Familie!
Vielen Dank für alles, was du für uns getan hast!
Immer dein Freund
Bruno + Erika Taut
Fußnoten
1Diese Anrede setzt sich aus der japanischen Lesart der Schriftzeichen von Tokugen Mihara, „Yoshiyuki“ und der informellen Anrede „Kun“ zusammen.
21938 stellte die Akademie der Künste in Istanbul eine Retrospektive von Tauts Werk aus.
3Japanische Bezeichnung für „westlich beeinflusst“, auch „modern“.
Bruno Taut (1880–1938) war ein bekannter deutscher Architekt und Stadtplaner, der die Schule des Neuen Bauens vertrat. Nachdem er in Deutschland u. a. durch mehrere Großsiedlungen in Berlin (die Hufeisensiedlung in Britz, Onkel Toms Hütte, die Carl-Legien-Stadt) bekannt geworden war und 1931 eine Professur an der Technischen Hochschule Berlin-Charlottenburg erhalten hatte, musste er bereits 1933 gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin Erica Wittich vor den Nationalsozialist*innen nach Japan fliehen, wo er bis 1934 als Berater am Staatlichen Lehr-Gewerbeinstitut kogei shidosho in Sendai tätig war – eine Zeit, die er als sehr fruchtbar und prägend erlebte.
Durch Vermittlung seines Kollegen Martin Wagners, ehemaliger Stadtbaurat von Berlin und seit 1935 als städtebaulicher Berater der Stadt Istanbul in der Türkei, kam Taut 1936 in die Türkei, wo er als Leiter der Architekturfakultät an der Akademie der Künste in Istanbul und als Leiter des Baubüros des Kulturministeriums, zuständig für Schul- und Universitätsbau, die Modernisierung der türkischen Architektur federführend vorantreiben sollte. Die Anwerbung von deutschen Architekten war Teil des türkischen Modernisierungsprogramms. 11Siehe dazu: Burcu Dogramaci (2016): Kollegen und Konkurrenten: Deutschsprachige Architekten und Künstler an der Akademie der schönen Künste in Istanbul. In: Kubaseck, Christopher; Seufert, Günter (Hrsg.): Deutsche Wissenschaftler im türkischen Exil : die Wissenschaftsmigration in die Türkei 1933-1945. Istanbuler Texte und Studien, Bd. 12. Würzburg: Ergon. S. 135-156.
Bruno Tauts Zeit in Istanbul bis zu seinem frühen Tod an einer Asthmaerkrankung im Dezember 1938 war von viel Arbeit geprägt: Taut versuchte gegen einige Widerstände, als Professor und Verwaltungsleiter des Instituts die Architekturausbildung mit einem stärkeren Praxisbezug zu reformieren und setzte Hoffnungen in das Potenzial des türkischen Nachwuchses und des modernistischen Geistes in der jungen Republik, um einen neuen Baustil zu finden und durchzusetzen. In seinen eigenen architektonischen Projekten, darunter viele Schul- und Universitätsgebäude, genoss er die ihm eingeräumt künstlerische Freiheit. Zudem erschien seine bereits in Japan begonnene Schrift zur „Architekturtheorie“ in türkischer Sprache. Nach dem Tod Atatürks 22Mustafa Kemal Atatürk (1881-1938) begründete die nach dem Ersten Weltkrieg aus dem zerfallenen Osmanischen Reich hervorgehende Republik Türkei und war von 1923 bis 1938 ihr erster Präsident. Bis heute wird er als Symbolfigur türkischer nationaler Selbstbehauptung mit einem starken und meist unkritischen Personenkult verehrt. Bekannt ist er vor allem für seinen kompromisslosen Modernisierungskurs, mit dem er die junge türkische Republik führte: Als Weg zur Modernisierung proklamierte er eine radikale Laizisierung und Europäisierung des Staates. wurde Taut mit der Gestaltung dessen Katafalks beauftragt.
Als bis dahin einziger Ausländer und Nicht-Muslim wurde Taut auf dem Ehrenfriedhof des türkischen Staates, in Edirnekapı, Istanbul, bestattet.
In seinen Briefen an japanische Kollegen und Freunde wird Tauts Sehnsucht nach seiner ersten Exilstätte Japan spürbar, mit der er sich auch in Istanbul weiterhin verbunden fühlte. Die Briefe schweifen von persönlichen Auskünften und Erkundigungen, über die verbindenden Überlegungen zum Neuen Bauen und professionelle Erfolge bis hin zu Schilderungen über die Stadt- und Naturszenerie in Istanbul.
Der originale Brief ist auf sogenanntem „Shoji-Papier“ geschrieben, das eigentlich für die Bespannung von japanischen Schiebewände verwendet wird. Die Dreiteilung wurde von Mihara vorgenommen.
Fußnoten
1Siehe dazu: Burcu Dogramaci (2016): Kollegen und Konkurrenten: Deutschsprachige Architekten und Künstler an der Akademie der schönen Künste in Istanbul. In: Kubaseck, Christopher; Seufert, Günter (Hrsg.): Deutsche Wissenschaftler im türkischen Exil : die Wissenschaftsmigration in die Türkei 1933-1945. Istanbuler Texte und Studien, Bd. 12. Würzburg: Ergon. S. 135-156.
2Mustafa Kemal Atatürk (1881-1938) begründete die nach dem Ersten Weltkrieg aus dem zerfallenen Osmanischen Reich hervorgehende Republik Türkei und war von 1923 bis 1938 ihr erster Präsident. Bis heute wird er als Symbolfigur türkischer nationaler Selbstbehauptung mit einem starken und meist unkritischen Personenkult verehrt. Bekannt ist er vor allem für seinen kompromisslosen Modernisierungskurs, mit dem er die junge türkische Republik führte: Als Weg zur Modernisierung proklamierte er eine radikale Laizisierung und Europäisierung des Staates.
Akademie der Künste, Berlin, Bruno-Taut-Sammlung, Nr. 145