Französisch oder Spanisch?

Raymonde, Marceline und Bonifacia Sanchez erzählen von der Rolle von Spanisch und Französisch in ihrem Leben, von ihrer (Ver)Mittlerposition ihren Eltern gegenüber und von der Verantwortung, die sie als Kinder übernehmen mussten, um Frankreich für ihre vor allem Spanisch sprechenden Eltern zu navigieren.

„Nous parlions espagnol à la maison et dans le quartier qui était habité majoritairement par des Espagnols (originaires surtout d’Estrémadure et de la région de Zamora). Les commerçants français apprenaient l’espagnol pour pouvoir satisfaire leurs clients. Il y avait aussi quelques commerçants espagnols comme la Teofila et la Tuerta.  Notre mère parlait mal le français mais elle nous comprenait quand nous le parlions. Notre père parlait et comprenait mieux. Nous l’aidions à lire et à écrire en français et en espagnol, notamment des brochures sur la guerre civile. Nous avons appris le français à l’école sans nous en rendre compte. Nous avions des amies françaises à l’école et au 10 rue du Landy. Entre nous nous parlions en français à l’école et en colonies de vacances. Nous parlons toujours français entre nous. Vers l’âge de 8-9 ans, nous allions suivre des cours, les mercredis soirs à Aubervilliers, pour apprendre à lire et à écrire en Espagnol. Il y avait une bibliothèque et nous empruntions des livres en espagnol. Cela s’est achevé en 1936 car les professeurs sont partis se battre pour la République.“

„Wir sprachen Spanisch zu Hause und im Viertel, das hauptsächlich von Spaniern (vor allem aus Extremadura und der Region Zamora) bewohnt war. Die französischen Händler lernten Spanisch, um ihre Kunden zufriedenstellen zu können. Es gab auch einige spanische Händler wie Teofila und Tuerta. Unsere Mutter sprach schlecht Französisch, aber sie verstand uns, wenn wir Französisch sprachen. Unser Vater sprach und verstand besser. Wir halfen ihm, auf Französisch und Spanisch zu lesen und zu schreiben, insbesondere Hefte über den Bürgerkrieg. Wir haben in der Schule Französisch gelernt, ohne uns dessen bewusst zu sein. Wir hatten französische Freundinnen in der Schule und in der Rue du Landy 10. Untereinander sprachen wir Französisch in der Schule und in den Sommerlagern. Wir sprechen immer noch Französisch untereinander. Als wir etwa 8-9 Jahre alt waren, gingen wir mittwochabends in Aubervilliers in den Unterricht, um auf Spanisch lesen und schreiben zu lernen. Es gab eine Bibliothek, und wir liehen Bücher auf Spanisch aus. Dies endete 1936, weil die Lehrer weggingen, um für die Republik zu kämpfen.“

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert entstand das sogenannte „Kleine Spanien“ im Pariser Vorort La Plaine Saint-Denis. 1931 machten Spanier*innen mit 4,5 Prozent der Gesamtbevölkerung in La Plaine Saint-Denis die größte Einwanderergemeinschaft aus.

Verschiedene spanische Migrant*innen hatten sich in Saint-Denis, Saint-Ouen und Aubervilliers nach drei zu unterscheidenden Migrationsbewegungen angesiedelt. Sogenannte Wirtschaftsmigrant*innen prägten das Jahrzehnt der 1920er. Nach der Zerschlagung des Aufstands in Asturien Ende 1934 fingen vor allem politische Geflüchtete an, in die Pariser Vororte einzutreffen und ihre Zahl stieg bis 1950 circa 1,5 Millionen nach der Niederlage des republikanischen Lagers im Spanischen Bürgerkrieg 1939. Zwischen 1955 und 1970 folgte eine weitere Generation von spanischen Wirtschaftsmigrant*innen. 11« La petite Espagne de la Plaine-Sainte-Denis », https://www.tourisme93.com/la-petite-espagne-de-la-plaine-saint-denis.html [Zugriff am 28. Juli 2020].

Die Verbindung nach Spanien blieb für viele auch nach der Migration bestehen. Als der Bürgerkrieg (1936-1939) in Spanien wütete, machten sich beispielsweise einige ethnisch-spanische Männer im Alter von 18 bis 46 aus der Plaine Saint-Denis auf den Weg zurück nach Spanien, um im republikanischen Lager zu kämpfen. Diejenigen, die in „Klein Spanien“ blieben, organisierten Unterstützungsnetzwerke für Kommunist*innen oder Anarchist*innen.

Die Aufnahmeerfahrungen unterschieden sich für spanische Migrant*innen in Abhängigkeit vom jeweiligen französischen Migrationsregime. Dieses wiederum veränderte sich mit der wirtschaftlichen und politischen Lage Frankreichs, doch Ausgrenzung und Diskriminierung beherrschte das leben vieler egal wann sie ankamen. Als Anfang 1939 beispielsweise spanisch-republikanische Bürgerkriegs-Geflüchtete einen buchstäblichen Exodus Richtung Frankreich antraten, von denen es viele auch nach Paris und Umgebung schlug, wurde es nur allzu augenscheinlich, dass sich Frankreich vom Land der Geflüchteten zum Land des erzwungenen Transits gewandelt hatte. Denn obwohl die französischen Autoritäten Ende der 1930er inzwischen sehr gut darauf vorbereitet gewesen wären, spanische Bürgerkriegs-Geflüchtete „human“ aufzunehmen, sprachen die innen- und außenpolitischen sowie wirtschaftlichen Entwicklungen offensichtlich dagegen: Einwanderung sollte unter der rechtsgerichteten Regierung Édouard Daladiers stark eingegrenzt werden und Geflüchteten so erschwert werden, in Frankreich zu bleiben. 22Soo, Scott, 2013: The routes to exile: France and the Spanish Civil War refugees, 1939-2009. New York : Manchester University Press.  S. 1–3.

    Fußnoten

  • 1« La petite Espagne de la Plaine-Sainte-Denis », https://www.tourisme93.com/la-petite-espagne-de-la-plaine-saint-denis.html [Zugriff am 28. Juli 2020].
  • 2Soo, Scott, 2013: The routes to exile: France and the Spanish Civil War refugees, 1939-2009. New York : Manchester University Press.  S. 1–3.

Ausschnitt aus dem Interview mit Raymonde, Marceline und Bonifacia Sanchez, geführt von Natacha Lillo, Dozentin für spanische Zivilisation an der Universität Paris-Diderot (Paris 7), am 1. April 1997; 15. Juni 1998; 14. April 1999; und am 20. September 2000 in Saint-Denis .

Natacha Lillo, La Petite Espagne de la Plaine Saint-Denis (Paris: Autrement, 2004).

Übersetzung ins Deutsche © Minor Kontor.