Fred Grubel fühlt sich als Amerikaner in New York

Fred (Fritz) Grubel (in Deutschland ehemals Grübel) wurde 1908 in Leipzig geboren. Er studierte in Leipzig,Frankfurt und promovierte in Rechtswissenschaften. Er arbeitete in der Verwaltung der Jüdischen Gemeinde in Leipzig.Zu seinem Aufgabengebiet gehörte die Organisation der Auswanderung deutscher Juden. Er überlebte eine zweimonatige Haft im KZ Buchenwald und flüchtete im Jahr 1939 mit seiner Familie zuerst nach England und im Jahr 1940 in die Vereinigten Staaten. Seit 1966 war er als Leiter von Leo-Baeck- Institut in New York tätig.

Fred Grubel beschreibt in diesem Gesprächsausschnitt seine Reflexionen zu den Themen: Identität, Sprache, Zuhause.

Mann liest Zeitung, 1942,
fotografiert von Fred Stein, mit
freundlicher Genehmigung von
Peter Stein © Fred Stein Archiv

Von Anfang an bin ich ins Englische reingeschmissen worden und musste schwimmen. Am Anfang war es ein bisschen komisch, die Leute haben so schnell gesprochen, ich habe nicht immer ganz verstanden, was sie wollten. Wir haben zu Hause Deutsch gesprochen, und mit den Kindern Englisch. Jetzt geht das durcheinander. Im wesentlichen sprechen wir Englisch. Meine ältere Tochter, die jetzt wieder in Europa ist, hat in Europa halbwegs anständig Deutsch gelernt, weil sie dort mit deutschen Familien verkehrt. Die jüngere Tochter spricht ein mörderisches Deutsch. Und mein Junge, den können Sie totschlagen, der Junge ist sechsundvierzig, der spricht kein Wort Deutsch. Mein Junge ist gequält worden in der Schule: Du Nazi! Als kleiner Junge. Und das hat sich ihm in die Glieder gesetzt. Er versteht Deutsch. Wenn er will, kann er’s auch reden. Aber er tut’s nicht. Nun hatte ja die Sprache der Nazis mit dem eigentlichen Deutsch nichts zu tun. Aber ich bin doch manchmal schockiert, wenn ich das Deutsch höre, das heute gesprochen wird. Wieviel Kasernenhof-, ja, Nazi-Idiom in die Sprache reingekommen ist. Oder immer noch drin ist.

Als was fühlen Sie sich heute eigentlich?

Als Amerikaner.

Was bedeutet das?

Nun, dass man zum Land gehört, dass das das Land ist, wo ich wohne, zu dem ich gehöre, wo meine Kinder sind, wo meine Enkel sind, wo man zu Hause ist, mit allem „if“ und „but“. Und ich glaube, dass ein 30. Januar hier nicht passieren kann, auch wenn es Antisemitismus gibt, aber das ist immer noch im Rahmen von Zivilisation und Menschlichkeit. Man kann die Juden genauso viel und genauso wenig leiden wie man Italiener, die Iren leiden kann, die hier Amerikaner geworden sind. Es ist nun mal ein Land, wo sich jeder identifiziert danach, wo er herkommt. Was es in Europa ja nicht gibt.

 

Fred (Fritz) Grubel (in Deutschland ehemals Grübel) wurde 1908 in eine ostjüdischen Familie in Leipzig geboren. Er war das einzige Kind. Seine Familie erhielt die deutsche Staatsbürgerschaft erst im Jahr 1928. Er studierte in Leipzig, Frankfurt und promovierte in Rechtswissenschaften. Bis zum Frühjahr 1933 war er als Referendar an einem Gericht in Leipzig tätig, aber wurde zum zweiten Staatsexamen nicht mehr zugelassen. Er arbeitete in der Verwaltung der Jüdischen Gemeinde in Leipzig, zu seinem Aufgabengebiet gehörte die Organisation der Auswanderung deutscher Juden. Er überlebte eine zweimonatige Haft im KZ Buchenwald und flüchtete im Jahr 1939 mit seiner Familie zuerst nach England und im Jahr 1940 in die Vereinigten Staaten. In den folgenden Jahren arbeitete er für verschiedene jüdische Organisationen. Seit 1966 war er als Leiter von Leo Baeck Institut in New York tätig.

Das Leo Baeck Institut ist eine Forschungsbibliothek und ein Archiv mit Schwerpunkt auf der Geschichte der deutschsprachigen Juden. Das Institut wurde 1955 von führenden deutsch-jüdischen emigrierten Intellektuellen wie Martin Buber, Max Grunewald, Hannah Arendt und Robert Weltsch gegründet, die entschlossen waren, das lebendige kulturelle Erbe des deutschsprachigen Judentums zu bewahren, das im Holocaust fast zerstört worden war. Sie benannten das Institut nach Rabbi Leo Baeck, dem letzten Leiter der Jüdischen Gemeinde Deutschlands unter dem Naziregime, und ernannten ihn zum ersten Präsidenten des Instituts.

Thomas Hartwig, Achim Roscher, 1986: Die verheissene Stadt: Deutsch-jüdische Emigranten in New York. Gespräche, Eindrücke und Bilder. Berlin: Das Arsenal. S.118-119.