The Arrival of Hannah Arendt
Dieser Film beschreibt das Ankommen von Hannah Arendt - einer jüdischen, deutsch-amerikanischen politischen Theoretikerin und Publizistin - in New York und ihre Reflektionen über Flucht und Unterstützung beim Neuanfang.
Ballade um einen Abschied
Zwischen Shanghai, Paris und dem Kap:
tausende Brüder verstreut.
Zwischen Shanghai, Paris und dem Kap:
Welten voll Einsamkeit.
Meere und Schiffe und Schienen und Züge:
Fieber in unserm Gehirn –
während in lächelnder Abschiedslüge
trostlose Tränen irrn.
Wir schwiegen aus Angst nicht und redeten viel
und gaben uns sehr oft die Hand
und bauten mit Worten den Sinn und das Ziel
in ein Land, in irgendein Land.
Welches Land? Ach, es war so egal,
hielt es die Tür uns nur offen.
Nur weiter! Die Bahnhofsluft schmeckte so schal –
und der Pfiff eines Zuges hat jedesmal
tausend ins Herz getroffen.
Und immer war wieder ein Abschied vorbei.
Die Züge, die Schiffe fuhren
und wir trabten wieder ins Einerlei.
Aber Brand frass die Zeiger der Uhren
und jede Stunde schrie’s einem zu:
Was denkst du so viel an die andern?
Kann sein: Schon morgen, schon heute wirst du
selber wandern und wandern und wandern …
Wir deckten den Blick mit der zitternden Hand
und schluckten Verzweiflung hinunter.
Nur ein Land – ganz egal – nur irgendein Land –
Und plötzlich, eh man’s noch richtig verstand,
war man selber mitten darunter.
Da türmten sich Koffer zum höhnischen Berg,
man rannte treppauf und treppab
und war nichts mehr als ein hilfloser Zwerg,
für den’s kein Zuhause mehr gab.
Die Kisten standen am vorletzten Tag
wie verlorn in der Wohnung herum.
Durch die Leere tönte nur Herzensschlag
und die Wände blieben so stumm …
Und wieder ein Abschied und diesmal fuhr
man selber ins Dunkel hinaus:
Verlassenheit – Einsamkeit – Fremde nur –
und nirgends ein schützendes Haus —
Doch seltsam: Nach erster durchweinter Nacht,
da wurd es in einem gross:
Ein Mut, der im Sturmhauch der Zukunft erwacht,
und er riss aus den Tränen sich los
und er wuchs und er wuchs und er ahnte die Bahn
und zögernd folgte der Schritt.
Und der neue, der glückliche Mut flog voran
und bereit war alles und aufgetan
und der Mut riss das Leben mit.
Hilde Marx (1911-1968) war eine deutsch-amerikanische Lyrikerin, Schriftstellerin und Journalistin. Sie gehört zu den Autor:innen, deren schriftstellerische Karriere erst ganz am Anfang stand, als die Nationalsozialisten 1933 in Deutschland an die Macht kamen, und durch sie gleich verhindert wurde. Betroffen vom Antisemitismus war sie als Jüdin jedoch bereits vorher. Sie erlebte schon am Humanistischen Gymnasium, was es hieß, Jüdin zu sein. Nach ihrem Abitur 1931 begann Hilde Marx in Berlin ihr Studium der Zeitungswissenschaften, Theater- und Kunstgeschichte. Nach fünf Semestern wurde sie jedoch zwangsexmatrikuliert, da Juden:Jüdinnen keine Universitäten mehr besuchen durften. Konnte sie erst noch für Zeitungen bei „Ullstein“, „Mosse“ und dem „Berliner Tageblatt“ veröffentlichen, war dies nach deren „Arisierung“ nicht mehr möglich. Ihr blieben nur noch jüdische Publikationen, wie „Die Monatsblätter des jüdischen Kulturbundes in Deutschland“, „Die Jüdische Revue“, „Das Jüdische Gemeindeblatt“, sowie vor allem die „C.V.-Zeitung“. 11„Central Verein-Zeitung. Blätter für Deutschtum und Judentum. Organ des Central-Vereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens e.V. Allgemeine Zeitung des Judentums.“ Die CV-Zeitung war eine der bedeutendsten jüdischen Wochenzeitungen im deutschen Sprachraum und erschien von 1922 bis zu ihrem Verbot 1938.
An Emigration dachte sie lange nicht, aber als ihr die Gestapo 1937 eine Haftstrafe im KZ androhte, floh sie nach Tschechien, und von dort aus gelang es ihr ein Jahr später, in die USA auszureisen. In dem Gedicht „Ballade um einen Abschied“ reflektiert sie über die plötzliche und ungewisse Flucht, über die Abschiede von vielen Freund:innen und Verwandten, die auf der ganzen Welt Exil und eine Schutz suchen, über Einsamkeit, aber auch über den Mut zum Neuanfang. Das Gedicht war eines der ersten, das Marx in den USA ins Englische übersetzen ließ und zu publizieren versuchte.
Im November 1938 traf Hilde Marx in New York ein. Sie arbeitete in verschiedenen Jobs: als Altenpflegerin, Verkäuferin, Kindermädchen und Gymnastiklehrerin; versuchte aber neben diesen beanspruchenden Broterwerbstätigkeiten auch, als Schriftstellerin in den USA Fuß zu fassen. Dafür bat sie ab April 1939 auch die American Guild for German Cultural Freedom um Hilfe in Form eines Arbeitsstipendiums und bei der Übersetzung und Veröffentlichung ihrer Werke.
1943 erhielt Hilde Marx die amerikanische Staatsbürgerschaft. In Amerika trat sie weiter als Vortragskünstlerin auf und zwar mit einer eigenen „One-Woman-Show“, in der sie Ernstes mit Heiterem verband, jüdische mit christlichen Traditionen. 1951 erschien ein letzter Band mit Gedichten von 1938 bis 1951 unter dem Titel „Bericht“, in die ihre Erfahrungen als Exilierte mit eingeflossen sind. Sie wurde Mitglied des Auslands-PEN und war seit den 1960er Jahren Redakteurin des „Aufbau“, 22„Aufbau“: Im Jahr 1934 erschien das erste Heft des „Aufbau. Nachrichtenblatt des German-Jewish Club, Inc., New York“. Anfangs mehr ein Vereins- und Anzeigenorgan, wurde der „Aufbau“ bald zu einem Nachrichtenblatt über den Exil-Alltag der deutschen (nicht nur jüdischen) Emigrant:innen. Das bedeutete Beratung in Rechtsfragen, Erklärung des New Yorker U-Bahn-Systems, Sprachunterricht und Stellenvermittlung, Tipps für den Umgang mit Behörden, usw. Hier schrieben Oskar Maria Graf und Nelly Sachs, Lion Feuchtwanger und Thomas Mann, Mascha Kaléko und viele andere. für den sie vornehmlich Theater- und Filmkritiken schrieb sowie Kurzbiografien jüdischer Emigrant:innen. Daneben war sie auch für andere Zeitungen tätig, wie „This Day aus St. Louis“, „Das Chicago Jewish Forum“, die Staatszeitung und „Herold aus New York“.
Hilde Marx: Ballade um einen Abschied
Original in:
Deutsche Nationalbibliothek
Deutsches Exilarchiv 1933-1945, Frankfurt am Main.