The Arrival of Hannah Arendt
Dieser Film beschreibt das Ankommen von Hannah Arendt - einer jüdischen, deutsch-amerikanischen politischen Theoretikerin und Publizistin - in New York und ihre Reflektionen über Flucht und Unterstützung beim Neuanfang.
Warum stürmen wir nicht in die Säle hinein
in London, in Genf, auf der übrigen Welt?
Die Portale sind gross – und wir sind sehr klein.
Etwas lebt, was die Tore verschlossen hält:
ein Geist aus Eisen im Panzer aus Stahl
und außerdem schwarzweiss befrackt –
ein Geist unter brennendem Feuerfanal;
er schlägt den Herzen, die zucken in Qual,
einen tausendmotorigen Takt.
Er sitzt in den Räten und lächelt diskret,
gibt Banketts und berät und ernennt
und setzt ab und berät und signiert und berät
und vertagt — und die Erde brennt.
Er reibt sich die Hände und wärmt an der Glut
sich verstohlen; sie Säle sind kalt,
weil Leichen drin sitzen mit eisigem Blut
und beträchtlichem Monatsgehalt.
Sie neigen, verbeugen sich – „Was sagten Sie?
Kanonen? Geschwader? O nein!
Das ist nichts weiter als Industrie,
die muss doch beschäftigt sein.
Wir wollen doch alle den Frieden, nicht wahr?
Also lassen Sie uns überlegen:
Ja, sehn Sie, nur Sie sind für uns die Gefahr.
Wir rüsten nur Ihretwegen.
Nur so ein bisschen – Sie werden verstehn –
Wir wollen ja Frieden, nichts weiter!
Und wenn wir uns nächstes Mal wiedersehn,
sind wir wieder schon etwas gescheiter …“
Warum stürmen wir nicht in die Säle hinein
in London, in Genf, auf der übrigen Welt,
um unsere Leiden hinauszuschrein,
dass es wie Blitzstrahl ins Dunkle grellt?
Sie hören ja nicht, wenn wir leise sind.
Sie hören auch nicht, wenn wir brüllen …
Wir: du und ich und der Greis und das Kind
und die die menschlichen Schlachthöfe füllen.
Warum stürmen wir nicht in die Säle hinein,
in die Kälte des Schweinwerferlichts:
„Wir wollen doch Menschen nur, Menschen sein!
Wir wollen nur Frieden, sonst nichts!“
Doch die Prachtportale sind riesengross
Und höhnen uns stählern und stumm.
Bricht keiner denn, keiner die Riegel los?
Wir schaun uns im Kreise um – –
da stehen wir alle, die Stirnen gesenkt:
du so wie ich und der Greis und das Kind.
Und jeder fühlt, was der andere denkt,
und der Blick ist von Tränen blind …
Hilde Marx (1911-1968) war eine deutsch-amerikanische Lyrikerin, Schriftstellerin und Journalistin. Sie gehört zu den Autor:innen, deren schriftstellerische Karriere erst ganz am Anfang stand, als die Nationalsozialisten 1933 in Deutschland an die Macht kamen, und durch sie gleich verhindert wurde. Betroffen vom Antisemitismus war sie als Jüdin jedoch bereits vorher. Sie erlebte schon am Humanistischen Gymnasium, was es hieß, Jüdin zu sein. Nach ihrem Abitur 1931 begann Hilde Marx in Berlin ihr Studium der Zeitungswissenschaften, Theater- und Kunstgeschichte. Nach fünf Semestern wurde sie jedoch zwangsexmatrikuliert, da Juden:Jüdinnen keine Universitäten mehr besuchen durften. Konnte sie erst noch für Zeitungen bei „Ullstein“, „Mosse“ und dem „Berliner Tageblatt“ veröffentlichen, war dies nach deren „Arisierung“ nicht mehr möglich. Ihr blieben nur noch jüdische Publikationen, wie „Die Monatsblätter des jüdischen Kulturbundes in Deutschland“, „Die Jüdische Revue“, „Das Jüdische Gemeindeblatt“, sowie vor allem die „C.V.-Zeitung“. 11„Central Verein-Zeitung. Blätter für Deutschtum und Judentum. Organ des Central-Vereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens e.V. Allgemeine Zeitung des Judentums.“ Die CV-Zeitung war eine der bedeutendsten jüdischen Wochenzeitungen im deutschen Sprachraum und erschien von 1922 bis zu ihrem Verbot 1938.
An Emigration dachte sie lange nicht, aber als ihr die Gestapo 1937 eine Haftstrafe im KZ androhte, floh sie nach Tschechien, und von dort aus gelang es ihr ein Jahr später, in die USA auszureisen. Im November 1938 traf sie in New York ein. Sie arbeitete in verschiedenen Jobs: als Altenpflegerin, Verkäuferin, Kindermädchen und Gymnastiklehrerin; versuchte aber neben diesen beanspruchenden Broterwerbstätigkeiten auch, als Schriftstellerin in den USA Fuß zu fassen. Dafür bat sie ab April 1939 auch die American Guild for German Cultural Freedom um Hilfe in Form eines Arbeitsstipendiums und bei der Übersetzung und Veröffentlichung ihrer Werke. Das kriegskritische Gedicht „Das Lied von den Sälen“ war das erste, das Marx in der englischen Übersetzung von Jay Williams in der amerikanischen Zeitschrift „Direction“ im Mai 1940 veröffentlichen konnte. Darin schildert sie ihre Ohnmacht gegenüber den politischen und wirtschaftlichen Entscheidungsträger:innen, die dem verheerenden Kriegsgeschehen durch Trägheit, Eigennutz und Ignoranz eher einheizen als ein Ende setzen.
1943 erhielt Hilde Marx die amerikanische Staatsbürgerschaft. In Amerika trat sie weiter als Vortragskünstlerin auf und zwar mit einer eigenen „One-Woman-Show“, in der sie Ernstes mit Heiterem verband, jüdische mit christlichen Traditionen. 1951 erschien ein letzter Band mit Gedichten von 1938 bis 1951 unter dem Titel „Bericht“, in die ihre Erfahrungen als Exilierte mit eingeflossen sind. Sie wurde Mitglied des Auslands-PEN und war seit den 1960er Jahren Redakteurin des „Aufbau“, 22„Aufbau“: Im Jahr 1934 erschien das erste Heft des „Aufbau. Nachrichtenblatt des German-Jewish Club, Inc., New York“. Anfangs mehr ein Vereins- und Anzeigenorgan, wurde der „Aufbau“ bald zu einem Nachrichtenblatt über den Exil-Alltag der deutschen (nicht nur jüdischen) Emigrant:innen. Das bedeutete Beratung in Rechtsfragen, Erklärung des New Yorker U-Bahn-Systems, Sprachunterricht und Stellenvermittlung, Tipps für den Umgang mit Behörden, usw. Hier schrieben Oskar Maria Graf und Nelly Sachs, Lion Feuchtwanger und Thomas Mann, Mascha Kaléko und viele andere. für den sie vornehmlich Theater- und Filmkritiken schrieb sowie Kurzbiografien jüdischer Emigrant:innen. Daneben war sie auch für andere Zeitungen tätig, wie „This Day aus St. Louis“, „Das Chicago Jewish Forum“, die Staatszeitung und „Herold aus New York“.
Hilde Marx: Das Lied von den Sälen
Coverbild: Cover der Zeitschrift „Direction“ vom Mai 1940 mit der Karikatur „Don Quixote“ des Zeichners Judson Briggs. In dieser Ausgabe wurde Hilde Marx‘ Gedicht „Das Lied von den Sälen“ in englischer Übersetzung veröffentlicht.
Original in:
Deutsche Nationalbibliothek
Deutsches Exilarchiv 1933-1945, Frankfurt am Main.