Fuß fassen als Schriftstellerin in den USA – Brief von Hilde Marx an die American Guild for German Cultural Freedom

Hilde Marx (1911-1986) war eine deutsch-amerikanische Lyrikerin, Schriftstellerin und Journalistin. Sie gehört zu den Autor:innen, deren schriftstellerische Karriere erst ganz am Anfang stand, als die Nationalsozialisten 1933 in Deutschland an die Macht kamen, und durch sie gleich verhindert wurde. Als ihr die Gestapo 1937 eine Haftstrafe im KZ androhte, floh sie nach Tschechien, und von dort aus gelang es ihr ein Jahr später, in die USA auszureisen. Im November 1938 traf sie in New York ein. Obwohl sie sich mit harten Jobs über die Runden bringen musste, versuchte sie, mit ihrer schriftstellerischen Tätigkeit auch in den USA Fuß zu Fassen und ihr Werk dort zu verbreiten – ein Unterfangen, bei dem ihr als Frau besonders große Steine im Weg lagen. In diesem Brief bittet sie die American Guild for German Cultural Freedom um Unterstützung.

Hilde Marx

142 West 94th St.

NCY

RI9 – 8832

 

Jan. 10, 40

 

Dear Mr. Wolf,

Many thanks for your kind letter I received today. Just at the same time I got another poem, translated by Jay Williams, which I endclude herewith, together with 2 copies. In German the title was „Das Lied von den Sälen“ and I think the original will be among those manuscripts you still have in your file and also among those we sent to the Alliance. It is very kind of you to take care of those poems. Did you get them back already?

Jay had the first 3 translations sent to „Esquire“ and they wrote him back that they scarcely ever take translations nor things by a female author. Though I really can’t see the point in this, I can’t do anything but be sorry.

This is all I know of, so far, Jay did with our work. You see, it is pretty hard for me to approach magazines and I should be very thankful for your help or hints in this field. Besides, there is that nasty handicap for both of us which I talked to Dr. Sauerlander about the other day: that our lack of money keeps us away from working so much, since we have to look around for jobs a. s. o. Jay, f. i., is out of town right now with some relatives of his, for the same reason. I expect him back about the end of the month. I told him, before he left, that I talked to Dr. Sauerlander, and he has the best intentions to work on quickly, I hope he will. It would be marvellous if either we could share that stipendium I applied for several months ago and by that way work really for at least a few weeks or, if the Guild could help us in finding chances to publish.

I do hope you will forgive me my frankness – I guess you know how much I care about this work of mine and how hard it is on the other hand to keep going and work in this field at the same time. But, since I really think Jay W. is a very good translator for my poems, I hope something must turn out allright one day.

Will you, please be kind enough to let me know whether I myself can do anything for realizing my plans and what? I’ll send you more translations right away, as soon as I get them myself.

Please, give my kindest regards to Mrs. Heinemann and Dr. Sauerlander, and Mrs. Falk – and, again, many thanks for all you do for me.

Yours sincerely,

Hilde Marx

P.S. If there would be a chance for me to recite some things somewhere – may be, this would be good for getting some audience.

Hilde Marx

142 West 94th St.

NCY

RI9 – 8832

Jan. 10, 40

Sehr geehrter Herr Wolf,

vielen Dank für Ihren freundlichen Brief, den ich heute erhalten habe. Gerade zur gleichen Zeit erhielt ich ein weiteres Gedicht, übersetzt von Jay Williams, das ich hier beifüge, zusammen mit zwei Kopien. Auf Deutsch lautete der Titel „Das Lied von den Sälen“, und ich denke, das Original wird unter den Manuskripten sein, die Sie noch in Ihrer Akte haben, und auch unter denen, die wir der Allianz geschickt haben. Es ist sehr nett von Ihnen, dass Sie sich um diese Gedichte kümmern. Haben Sie sie schon zurückbekommen?

Jay hat die ersten drei Übersetzungen an „Esquire“ geschickt, und sie haben ihm zurückgeschrieben, dass sie kaum Übersetzungen oder Dinge von einer weiblichen Autorin annehmen. Obwohl ich wirklich keinen Sinn darin sehe, kann ich nichts tun, außer es zu bedauern.

Das ist alles, wovon ich bis jetzt weiß, was Jay mit unserer Arbeit gemacht hat. Ihr seht, es ist ziemlich schwer für mich, an Zeitschriften heranzukommen, und ich wäre Ihnen sehr dankbar für Ihre Hilfe oder Hinweise auf diesem Gebiet. Außerdem gibt es für uns beide das unangenehme Handicap, über das ich neulich mit Dr. Sauerlander gesprochen habe: dass unser Geldmangel uns davon abhält, so viel zu arbeiten, da wir uns nach Jobs umsehen müssen usw. Jay, z. B., ist aus demselben Grund gerade mit einigen seiner Verwandten unterwegs. Ich erwarte ihn gegen Ende des Monats zurück. Ich habe ihm vor seiner Abreise gesagt, dass ich mit Dr. Sauerlander gesprochen habe und er die besten Absichten hat, schnell weiterzuarbeiten, was ich auch hoffe. Es wäre wunderbar, wenn wir uns entweder das Stipendium teilen könnten, um das ich mich vor einigen Monaten beworben habe, und auf diese Weise wenigstens ein paar Wochen lang wirklich arbeiten könnten, oder wenn die Guild uns helfen könnte, Möglichkeiten zur Veröffentlichung zu finden.

Ich hoffe, Sie verzeihen mir meine Offenheit – ich nehme an, Sie wissen, wie sehr mir meine Arbeit am Herzen liegt und wie schwer es andererseits ist, neben allem anderen weiterzumachen und in diesem Bereich zu arbeiten. Aber da ich Jay W. wirklich für einen sehr guten Übersetzer für meine Gedichte halte, hoffe ich, dass sich irgendwann etwas Gutes ergibt.

Seien Sie bitte so freundlich, mir mitzuteilen, ob ich selbst etwas für die Verwirklichung meiner Pläne tun kann und was? Sobald ich sie bekomme, werde ich Ihnen weitere Übersetzungen schicken.

Bitte, grüßen Sie Frau Heinemann und Herrn Dr. Sauerlander und Frau Falk von mir – und nochmals vielen Dank für alles, was Sie für mich tun.

Mit freundlichen Grüßen,

Hilde Marx

P.S. Wenn sich für mich die Möglichkeit ergeben würde, irgendwo etwas vorzutragen – vielleicht wäre das gut, um ein Publikum zu bekommen.

 

Hilde Marx (1911-1968) war eine deutsch-amerikanische Lyrikerin, Schriftstellerin und Journalistin. Sie gehört  zu den Autor:innen, deren schriftstellerische Karriere erst ganz am Anfang stand, als die Nationalsozialisten 1933 in Deutschland an die Macht kamen, und durch sie gleich verhindert wurde. Betroffen vom Antisemitismus war sie als Jüdin jedoch bereits vorher. Sie erlebte schon am Humanistischen Gymnasium, was es hieß, Jüdin zu sein. Nach ihrem Abitur 1931 begann Hilde Marx in Berlin ihr Studium der Zeitungswissenschaften, Theater- und Kunstgeschichte. Nach fünf Semestern wurde sie jedoch zwangsexmatrikuliert, da Juden:Jüdinnen keine Universitäten mehr besuchen durften. Konnte sie erst noch für Zeitungen bei „Ullstein“, „Mosse“ und dem „Berliner Tageblatt“ veröffentlichen, war dies nach deren „Arisierung“ nicht mehr möglich. Ihr blieben nur noch jüdische Publikationen, wie „Die Monatsblätter des jüdischen Kulturbundes in Deutschland“, „Die Jüdische Revue“, „Das Jüdische Gemeindeblatt“, sowie vor allem die „C.V.-Zeitung“. 11„Central Verein-Zeitung. Blätter für Deutschtum und Judentum. Organ des Central-Vereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens e.V. Allgemeine Zeitung des Judentums.“ Die CV-Zeitung war eine der bedeutendsten jüdischen Wochenzeitungen im deutschen Sprachraum und erschien von 1922 bis zu ihrem Verbot 1938.

An Emigration dachte sie lange nicht, aber als ihr die Gestapo 1937 eine Haftstrafe im KZ androhte, floh sie nach Tschechien, und von dort aus gelang es ihr ein Jahr später, in die USA auszureisen. Im November 1938 traf sie in New York ein. Sie arbeitete in verschiedenen Jobs: als Altenpflegerin, Verkäuferin, Kindermädchen und Gymnastiklehrerin; versuchte aber neben diesen beanspruchenden Broterwerbstätigkeiten auch, als Schriftstellerin in den USA Fuß zu fassen. Dafür bat sie ab April 1939 auch die American Guild for German Cultural Freedom um Hilfe in Form eines Arbeitsstipendiums und bei der Übersetzung und Veröffentlichung ihrer Werke. In einem Brief an die Guild vom Januar 1940 berichtet sie über den Stand der Übersetzungen ihrer Gedichte und ihre Versuche, diese in amerikanischen Zeitschriften zu veröffentlichen. Sie schildert auch die besonderen Hürden, denen sie dabei als Frau begegnet.  Auch wenn sie das Stipendium nicht erhielt und die Guild ihr später lediglich bei der Veröffentlichung eines ihrer Gedichte in einer amerikanischen Zeitschrift helfen konnte, schaffte Hilde Marx es, sich in den USA als Schriftstellerin und Publizistin zu etablieren.

1943 erhielt sie die amerikanische Staatsbürgerschaft. In Amerika trat sie weiter als Vortragskünstlerin auf und zwar mit einer eigenen „One-Woman-Show“, in der sie Ernstes mit Heiterem verband, jüdische mit christlichen Traditionen. 1951 erschien ein letzter Band mit Gedichten von 1938 bis 1951 unter dem Titel „Bericht“, in die ihre Erfahrungen als Exilierte mit eingeflossen sind. Sie wurde Mitglied des Auslands-PEN und war seit den 1960er Jahren Redakteurin des „Aufbau“, 22„Aufbau“: Im Jahr 1934 erschien das erste Heft des „Aufbau. Nachrichtenblatt des German-Jewish Club, Inc., New York“. Anfangs mehr ein Vereins- und Anzeigenorgan, wurde der „Aufbau“ bald zu einem Nachrichtenblatt über den Exil-Alltag der deutschen (nicht nur jüdischen) Emigrant:innen. Das bedeutete Beratung in Rechtsfragen, Erklärung des New Yorker U-Bahn-Systems, Sprachunterricht und Stellenvermittlung, Tipps für den Umgang mit Behörden, usw. Hier schrieben Oskar Maria Graf und Nelly Sachs, Lion Feuchtwanger und Thomas Mann, Mascha Kaléko und viele andere. für den sie vornehmlich Theater- und Filmkritiken schrieb sowie Kurzbiografien jüdischer Emigrant:innen. Daneben war sie auch für andere Zeitungen tätig, wie „This Day aus St. Louis“, „Das Chicago Jewish Forum“, die Staatszeitung und „Herold aus New York“.

    Fußnoten

  • 1„Central Verein-Zeitung. Blätter für Deutschtum und Judentum. Organ des Central-Vereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens e.V. Allgemeine Zeitung des Judentums.“ Die CV-Zeitung war eine der bedeutendsten jüdischen Wochenzeitungen im deutschen Sprachraum und erschien von 1922 bis zu ihrem Verbot 1938.
  • 2„Aufbau“: Im Jahr 1934 erschien das erste Heft des „Aufbau. Nachrichtenblatt des German-Jewish Club, Inc., New York“. Anfangs mehr ein Vereins- und Anzeigenorgan, wurde der „Aufbau“ bald zu einem Nachrichtenblatt über den Exil-Alltag der deutschen (nicht nur jüdischen) Emigrant:innen. Das bedeutete Beratung in Rechtsfragen, Erklärung des New Yorker U-Bahn-Systems, Sprachunterricht und Stellenvermittlung, Tipps für den Umgang mit Behörden, usw. Hier schrieben Oskar Maria Graf und Nelly Sachs, Lion Feuchtwanger und Thomas Mann, Mascha Kaléko und viele andere.

Brief von Hilde Marx an Mr. Wolf, American Guild for German Cultural Freedom, 10. Januar 1940

Original in:

Deutsche Nationalbibliothek

Deutsches Exilarchiv 1933-1945, Frankfurt am Main

 

Übersetzung aus dem Englischen ins Deutsche: Minor Kontor / We Refugees Archiv.