Hilde Marx‘ Erkundigungen um Unterstützung der American Guild for Cultural Freedom

Hilde Marx (1911-1986) war eine deutsch-amerikanische Lyrikerin, Schriftstellerin und Journalistin. Sie gehört zu den Autor:innen, deren schriftstellerische Karriere erst ganz am Anfang stand, als die Nationalsozialisten 1933 in Deutschland an die Macht kamen, und durch sie gleich verhindert wurde. Als ihr die Gestapo 1937 eine Haftstrafe im KZ androhte, floh sie nach Tschechien, und von dort aus gelang es ihr ein Jahr später, in die USA auszureisen. Im November 1938 traf sie in New York ein. Obwohl sie sich mit harten Jobs über die Runden bringen musste, versuchte sie mit ihrer schriftstellerischen Tätigkeit auch in den USA Fuß zu fassen und ihr Werk dort zu verbreiten. Dafür bat sie die American Guild for German Cultural Freedom um Unterstützung.

Hilde Marx

365 West End Ave.; Apt. 2B

New York City

 

July 26, 1939

Sehr geehrter Herr Doktor Zuehlsdorff, 11Volkmar von Zuehlsdorff, 1911-2006, Jurist, Diplomat und Publizist, enger Freund und Weggefährte von Prinz Löwenstein, im amerikanischen Exil Geschäftsführer der Deutschen Akademie der Künste und Wissenschaften im Exil, die mit der American Guild for Cultural Freedom eng verbunden war.

ich weiss nicht mehr genau, von wann Ihre letzte Nachricht an mich war. Ich weiss nur, dass Sie mir den Eingang des liebenswürdigen Befürwortungsschreibens von Erika Mann 22Erika Mann, 1905-1969, Schauspielerin, Schriftstellerin, Lektorin, im amerikanischen Exil gegen den Nationalsozialismus engagiert, auch für die American Guild for Cultural Freedom. bestätigten und bin nun sehr neugierig, ob inzwischen auch das von Dr. Max Brod 33Max Brod, 1884-19687, deutschsprachiger Schriftsteller und Kritiker. an Sie gelangte. Ich schrieb ihm nach Palästina und bin sicher, dass er es gern tun wird, da er selbst sich sehr für diese Sachen, um die es sich hauptsächlich handelt, eingesetzt hat; nur die politische Situation in der Tschechoslowakei verhinderte dann das Erscheinen meines letzten Bandes „Die andere Marschmusik“.

Bitte verzeihen Sie, wenn ich Sie also heute schon wieder behellige. Aber ich muss Ihnen bestimmt nicht versichern, wie wichtig mir die Sache ist und wie glücklich ich wäre, wenn die nächste Sitzung für mich einen günstigen Bescheid brächte. Umsomehr, da ich meinen momentanen besonders schweren Job unter keinen Umständen mehr lange halten kann, auf keinen Fall länger als bis September. Mein Verantwortungsgefühl verbietet mir trotzdem, mich bei Ihnen für die emergency-Liste [Notfallliste] anzumelden – es geht mir insofern doch besser als leider vielen andern, da ich immer noch ehrliche Hoffnung in mir trage. Aber was immer Sie in der Linie von Beihilfe und Veröffentlichung, evtl. Übersetzung, für mich tun können, wird mich zu grossem Dank verpflichten.

Ich grüsse Sie mit vorzüglicher Hochachtung und besten Sommerwünschen.

Ihre

Hilde Marx

PS: Bis September gilt die oben ausgegebene Adresse.

[handschriftlich]: Der Brief war schon zu, als ich von Dr. Brod die Nachricht erhielt, sein Gutachten sei mit gleicher Post an die Guild abgegangen. Hoffentlich ist es allright!

    Fußnoten

  • 1Volkmar von Zuehlsdorff, 1911-2006, Jurist, Diplomat und Publizist, enger Freund und Weggefährte von Prinz Löwenstein, im amerikanischen Exil Geschäftsführer der Deutschen Akademie der Künste und Wissenschaften im Exil, die mit der American Guild for Cultural Freedom eng verbunden war.
  • 2Erika Mann, 1905-1969, Schauspielerin, Schriftstellerin, Lektorin, im amerikanischen Exil gegen den Nationalsozialismus engagiert, auch für die American Guild for Cultural Freedom.
  • 3Max Brod, 1884-19687, deutschsprachiger Schriftsteller und Kritiker.

Hilde Marx (1911-1968) war eine deutsch-amerikanische Lyrikerin, Schriftstellerin und Journalistin. Sie gehört  zu den Autor:innen, deren schriftstellerische Karriere erst ganz am Anfang stand, als die Nationalsozialisten 1933 in Deutschland an die Macht kamen, und durch sie gleich verhindert wurde. Betroffen vom Antisemitismus war sie als Jüdin jedoch bereits vorher. Sie erlebte schon am Humanistischen Gymnasium, was es hieß, Jüdin zu sein. Nach ihrem Abitur 1931 begann Hilde Marx in Berlin ihr Studium der Zeitungswissenschaften, Theater- und Kunstgeschichte. Nach fünf Semestern wurde sie jedoch zwangsexmatrikuliert, da Juden:Jüdinnen keine Universitäten mehr besuchen durften. Konnte sie erst noch für Zeitungen bei „Ullstein“, „Mosse“ und dem „Berliner Tageblatt“ veröffentlichen, war dies nach deren „Arisierung“ nicht mehr möglich. Ihr blieben nur noch jüdische Publikationen, wie „Die Monatsblätter des jüdischen Kulturbundes in Deutschland“, „Die Jüdische Revue“, „Das Jüdische Gemeindeblatt“, sowie vor allem die „C.V.-Zeitung“. 11„Central Verein-Zeitung. Blätter für Deutschtum und Judentum. Organ des Central-Vereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens e.V. Allgemeine Zeitung des Judentums.“ Die CV-Zeitung war eine der bedeutendsten jüdischen Wochenzeitungen im deutschen Sprachraum und erschien von 1922 bis zu ihrem Verbot 1938.

Fragebogen von Hilde Marx für die American Guild for Cultural Freedom, 1939.  Deutsche Nationalbibliothek, Deutsches Exilarchiv 1933-1945 , Frankfurt am Main.

An Emigration dachte sie lange nicht, aber als ihr die Gestapo 1937 eine Haftstrafe im KZ androhte, floh sie nach Tschechien, und von dort aus gelang es ihr ein Jahr später, in die USA auszureisen. Im November 1938 traf sie in New York ein. Sie arbeitete in verschiedenen Jobs: als Altenpflegerin, Verkäuferin, Kindermädchen und Gymnastiklehrerin; versuchte aber neben diesen beanspruchenden Broterwerbstätigkeiten auch, als Schriftstellerin in den USA Fuß zu fassen. Dafür bat sie ab April 1939 auch die American Guild for German Cultural Freedom um Hilfe in Form eines Arbeitsstipendiums und bei der Übersetzung und Veröffentlichung ihrer Werke. Da sie unter den nazikritischen deutschsprachigen Intellektuellen noch nicht sehr bekannt war, fiel es ihr schwerer als anderen, die Empfehlungsschreiben zu erhalten, die Voraussetzung für eine Erteilung des Arbeitsstipendiums durch die American Guild waren. Diese wurden durch Mitglieder des sogenannten „Europäischen Rates“ der mit der American Guild verbundenen Deutschen Akademie der Künste und Wissenschaften im Exil ausgestellt. In ihrem Brief an deren Geschäftsführer, den selbst exilierten Juristen und Publizisten Volkmar von Zuehlsdorff (1911-2006), erkundigt sich Hilde Marx nach dem Stand ihrer Empfehlungsschreiben und ihrer Bewerbung um ein Stipendium. Zu diesem Zeitpunkt arbeitete sie zwölf Stunden am Tag als Pflegerin eines alten und kranken Mannes, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Obwohl diese harte Arbeit ihr keinen Spielraum für ihre schriftstellerische Tätigkeit und Karriere ließ, bat Hilde Marx anders als viele andere Bewerber:innen nicht um eine Aufnahme in die „emergency list“ der American Guild. Auch wenn sie das Stipendium nicht erhielt und die Guild ihr lediglich bei der Veröffentlichung eines ihrer Gedichte in einer amerikanischen Zeitschrift helfen konnte, schaffte Hilde Marx es, sich in den USA als Schriftstellerin und Publizistin zu etablieren.

1943 erhielt sie die amerikanische Staatsbürgerschaft. In Amerika trat sie weiter als Vortragskünstlerin auf und zwar mit einer eigenen „One-Woman-Show“, in der sie Ernstes mit Heiterem verband, jüdische mit christlichen Traditionen. 1951 erschien ein letzter Band mit Gedichten von 1938 bis 1951 unter dem Titel „Bericht“, in die ihre Erfahrungen als Exilierte mit eingeflossen sind. Sie wurde Mitglied des Auslands-PEN und war seit den 1960er Jahren Redakteurin des „Aufbau“, 22„Aufbau“: Im Jahr 1934 erschien das erste Heft des „Aufbau. Nachrichtenblatt des German-Jewish Club, Inc., New York“. Anfangs mehr ein Vereins- und Anzeigenorgan, wurde der „Aufbau“ bald zu einem Nachrichtenblatt über den Exil-Alltag der deutschen (nicht nur jüdischen) Emigrant:innen. Das bedeutete Beratung in Rechtsfragen, Erklärung des New Yorker U-Bahn-Systems, Sprachunterricht und Stellenvermittlung, Tipps für den Umgang mit Behörden, usw. Hier schrieben Oskar Maria Graf und Nelly Sachs, Lion Feuchtwanger und Thomas Mann, Mascha Kaléko und viele andere. für den sie vornehmlich Theater- und Filmkritiken schrieb sowie Kurzbiografien jüdischer Emigrant:innen. Daneben war sie auch für andere Zeitungen tätig, wie „This Day aus St. Louis“, „Das Chicago Jewish Forum“, die Staatszeitung und „Herold aus New York“.

    Fußnoten

  • 1„Central Verein-Zeitung. Blätter für Deutschtum und Judentum. Organ des Central-Vereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens e.V. Allgemeine Zeitung des Judentums.“ Die CV-Zeitung war eine der bedeutendsten jüdischen Wochenzeitungen im deutschen Sprachraum und erschien von 1922 bis zu ihrem Verbot 1938.
  • 2„Aufbau“: Im Jahr 1934 erschien das erste Heft des „Aufbau. Nachrichtenblatt des German-Jewish Club, Inc., New York“. Anfangs mehr ein Vereins- und Anzeigenorgan, wurde der „Aufbau“ bald zu einem Nachrichtenblatt über den Exil-Alltag der deutschen (nicht nur jüdischen) Emigrant:innen. Das bedeutete Beratung in Rechtsfragen, Erklärung des New Yorker U-Bahn-Systems, Sprachunterricht und Stellenvermittlung, Tipps für den Umgang mit Behörden, usw. Hier schrieben Oskar Maria Graf und Nelly Sachs, Lion Feuchtwanger und Thomas Mann, Mascha Kaléko und viele andere.

Brief von Hilde Marx an Volkmar Zuehlsdorff, 26.07.1939

Original in:

Deutsche Nationalbibliothek

Deutsches Exilarchiv 1933-1945, Frankfurt am Main