Khatereh Rahmani beschreibt ihren Versuch, trotz Trennung von ihrer Familie und Ungewissheit über die Zukunft, ihr neues Leben und einen Alltag in Berlin optimistisch aufzubauen.
„Es ist kalt, und es regnet. Wie gewöhnlich habe ich eingekauft, trage schwere Taschen in meiner Hand und laufe nach Hause. Ich schließe die Haustür auf, betrete das Treppenhaus und schaue wie immer zuerst im Briefkasten nach Post. Es gibt nur ein paar Zeitschriften, Werbung und die Internetrechnung. Schnell steige ich die Treppen hoch in die Wohnung, ziehe meine Schuhe aus und gehe in die Küche, wo ich die Einkäufe abstelle. Dann eile ich ins Schlafzimmer, und ohne mich umzuziehen, lege ich mich aufs Bett. Was für ein gutes Gefühl, was für eine Stille und was für ein Frieden! Mein schönes Zuhause …
Aber dieser schöne Moment hält nicht lange an. Es klingelt. Ich öffne die Tür, und vor mir steht mein Nachbar, ein netter alter Mann, mit einem Glas Marmelade und einem Lächeln. Er sagt: ‚Das ist eine besondere Marmelade, welche ich selber gemacht habe‘. Ich bedanke mich und nehme das Glas entgegen. Ich gehe in die Küche, um sie einzuräumen. Dann schnell zum Telefon, weil es klingelt.
Es ist meine Mutter. Ich freue mich, mit ihr reden zu können. Sie erzählt viel über alltägliche Dinge und über ihren Kummer. Ich kann wie immer fühlen, dass sie traurig ist. Ich versuche, mich fröhlich zu zeigen und so zu tun, als ob es mir gutgehen würde. Ich mache ein paar Witze, um sie zum Lachen zu bringen. Sie hat sich selbst nach zwei Jahren noch nicht daran gewöhnt, dass ich so weit weg bin und heult immer noch, wenn sie mich auf dem Handydisplay sieht. Ich gebe mir die Schuld daran und kann mir das niemals verzeihen. Aber ich hoffe, dass ich sie irgendwann einmal wieder umarmen kann. Mit diesem Gedanken tröste ich mich. Nach einer Stunde Gespräch verabschieden wir uns mit einem Herzen voller Traurigkeit.
Ich gehe in die Küche, mache mir einen Salat und setze mich vor den Fernseher. Aufmerksam versuche ich, die Nachrichten zu verfolgen. Auch die Nachrichten über Asylbewerber und die Themen, die mit Asyl zu tun haben. Jeden Tag gibt es ein neues, strengeres Gesetz für uns Asylanten. Jeden Tag ein neues Thema, und ich weiß nicht, wann diese Themen gelöst werden. Ich mache den Fernseher aus und gehe ins Bad. Aber unter der Dusche werde ich wieder von meinen Gedanken ertränkt. Diese verdammten Gedanken lassen mich nicht los. Als ich wieder zu mir finde, drehe ich den Wasserhahn zu, verlasse die Dusche, putze die Zähne und gehe ins Schlafzimmer. Wieder lege ich mich auf das Bett und starre die Glaskugeln an, die von der Decke herabhängen. So lasse ich den ganzen Tag, von morgens bis abends, Revue passieren. Ich plane für morgen, übermorgen und für die Zukunft. Was für ein gutes Gefühl es doch ist, einfach auf dem Bett zu liegen und meine Träume zu träumen. Es war für mich nicht leicht, dieses friedsame Gefühl zu erleben. Ich erinnere mich an alle schwierigen Tage, die ich erlebte. Die fünf Monate, in denen ich von morgens bis abends ein Zuhause suchte. Ich hatte täglich drei bis vier Wohnungen besichtigt, zusammen mit vielen anderen Menschen, die mit Unterlagen in der Hand ebenfalls auf der Suche nach einer Wohnung waren. Ich hatte sogar einen Wohnberechtigungsschein, 11Ein Wohnberechtigungsschein dient in Deutschland als amtlicher Berechtigungsnachweis, in eine Wohnung zu ziehen, die mit öffentlichen Mitteln gefördert wird. Anmerkung der Redaktion. aber das war lächerlich. Manchmal war ich hoffnungslos. Manchmal habe ich auch geweint. Dann habe ich mich aber getröstet und mir gesagt, dass diese schwierigen Tage bald zu Ende sein werden und es dann auch schöne Tage geben wird.
Nach vielen Bemühungen konnte ich dann endlich eine Wohnung finden, was an ein Wunder grenzte. Ich bekam aber leider nur für zwei Jahre einen Vertrag. Nun sind es noch sieben Monate, bis der Vertrag endet. Das heißt, dass der ganze Stress mit dem Hinund Herlaufen auf der Suche nach einem neuen Zuhause von vorne beginnt. Ich dachte immer, dass ich keine Probleme mehr hätte, wenn ich eine Wohnung gefunden habe. Ich wusste nicht, dass das erst der Anfang war, denn ich muss mich noch viel bemühen, um meine Ziele erreichen zu können. Aber jetzt liege ich auf meinem Bett und danke Gott, dass ich eine Unterkunft habe, wenn auch nur vorläufig. Wie immer habe ich noch etwas mit meinem Gott geredet. Meine Augen werden schwer. Ich ziehe die Decke bis zu den Augen hoch und schlafe in der Hoffnung auf einen schöneren Morgen ein.
Mit dem Klingeln des Weckers wache ich auf. Der Wecker zeigt sieben Uhr an. Es kommt mir vor, als ob ich erst vor einer Sekunde eingeschlafen bin. Ich verlasse schnell das Bett, wasche mein Gesicht und gehe in die Küche. Dort mache ich mir einen Kaffee und öffne das Fenster, obwohl es draußen wieder kalt ist. Ich atme tief ein und fühle den Sauerstoff. Ich genieße den Ausblick auf die Bäume, mit den farbigen Blättern. Ich trinke meinen Kaffee und schlucke mit ihm meinen Kummer herunter.“
Khatere Amiri, 2018
Zuerst veröffentlicht in der kulturTÜR, dem Magazin von und für Geflüchtete und ihre Nachbarn. Die kulturTÜR ist ein Projekt der DRK Berlin Südwest gGmbH und wird gefördert mit Mitteln des bezirklichen Integrationsfonds Steglitz-Zehlendorf. Der Integrationsfond ist eine Maßnahme des Gesamtkonzepts zur Integration und Partizipation Geflüchteter des Senats von Berlin.
Fußnoten
1Ein Wohnberechtigungsschein dient in Deutschland als amtlicher Berechtigungsnachweis, in eine Wohnung zu ziehen, die mit öffentlichen Mitteln gefördert wird. Anmerkung der Redaktion.
Khatere Rahmani ist aus dem Iran nach Deutschland geflohen. Sie lebt in Berlin und schreibt für das Magazin kulturTÜR, das von und für Geflüchtete und ihre Nachbarn in Berlin gemacht wird. KulturTÜR ist ein Projekt des DRK und wird von der Stadt Berlin gefördert. Auch der Artikel „Mein Zuhause – Ein unerüllter Traum“ ist zuerst in diesem Magazin erschienen.
Khatere Rahmani beschreibt in dem Artikel, wie sie versucht, ihren Alltag in Berlin optimistisch zu leben und sich ein neues Zuhause aufzubauen. Eine eigene Wohnung und freundliche nachbarschaftliche Beziehungen helfen ihr dabei. Sie spricht aber auch über all die Sorgen, die den Alltag und das Ankommen so schwer machen: Die Trennung von ihrer Familie, die strenger werdende Asylpolitik, die Schwierigkeit, in Berlin eine Wohnung zu finden, das Wissen um den auslaufenden Mietvertrag. In einem weiteren Artikel bei kulturTür beschreibt sie die bürokratischen Hürden, die sie und andere Zugwanderte nehmen müssen, um in Deutschland beispielsweise auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen.
Zuerst veröffentlicht in der kulturTÜR, dem Magazin von und für Geflüchtete und ihre Nachbarn. Die kulturTÜR ist ein Projekt der DRK Berlin Südwest gGmbH und wird gefördert mit Mitteln des bezirklichen Integrationsfonds Steglitz-Zehlendorf. Der Integrationsfond ist eine Maßnahme des Gesamtkonzepts zur Integration und Partizipation Geflüchteter des Senats von Berlin.