„Es gibt ein Leben nach der Flucht, doch die Flucht wirkt fort, ein Leben lang.“

Ilija Trojanow, der 1971 mit seinen Eltern von Bulgarien nach Deutschland floh und dessen Leben von Migrationserfahrungen geprägt ist, verarbeitet in diesem Gedicht seine lebenslange Erfahrung, als Geflüchteter kategorisiert und objektifiziert zu werden.

Der Flüchtling ist meist Objekt

Ein Problem, das gelöst werden muss. Eine Zahl.
Ein Kostenpunkt. Ein Punkt. Nie ein Komma. Weil
er nicht mehr wegzudenken ist, muss er Ding bleiben.

Es gibt ein Leben nach der Flucht. Doch die Flucht
wirkt fort, ein Leben lang. Unabhängig von den
jeweiligen individuellen Prägungen, von Schuld,
Bewusstsein, Absicht, Sehnsucht.

Der Geflüchtete ist eine eigene Kategorie Mensch.

1971, kurz vor seiner Einschulung, flohen Ilja Trojanows (*1965) Eltern mit ihm aus Bulgarien über Jugoslawien und Italien nach Deutschland, wo sie in München politisches Asyl erhielten. Später lebte er u.a. in Kenia, Deutschland, Indien und Österreich. In seiner schriftstellerischen und übersetzenden Tätigkeit setzt sich Trojanow mit seinen Flucht- und Migrationserfahrungen auseinander: Er erzählt von Einsamkeit, das Leben zwischen den Sprachen und davon, wie die Vergangenheit dem Geflüchteten am Ort des Ankommens in den Augen der anderen abhanden kommt, wie man den Zuhausegebliebenen etwas von dem Glück vorschwindelt, das man nicht gefunden hat-

Im Mai 2017 erschient der Essay „Nach der Flucht“ (S. Fischer), in dem sich auch dieses Gedicht in die Topographie des Lebens nach der Flucht einfügt und die Objektifizierung von Geflüchteten bzw. anhaftende Kategorisierung von Menschen als „Geflüchtete“ thematisiert.

 

Trojanow, Ilija, 2017: Nach der Flucht. S. Fischer Verlag: Frankfurt am Main, p. 9.