Neues Zuhause am Bosporus: Traugott Fuchs erinnert sich an den Beginn seiner Zeit in Istanbul

Traugott Fuchs folgte seinem Lehrer Leo Spitzer aus Protest gegen dessen Entlassung durch die Nazis und aus politischen Überzeugungen ins türkische Exil, wo er bis zu seinem Lebensende blieb. Neben seinen akademischen Tätigkeiten schuf Fuchs im Laufe seines Lebens ein reiches künstlerisches und literarisches Werk, das bezeugt, wie nah er sich dem Exil fühlte, das seine Heimat wurde. 1986 schrieb er einen Abriss seines Lebens, dessen Ausschnitt über die Zeit im Istanbuler Exil hier gezeigt wird.

Traugott Fuchs, Selbst-Porträt in Istanbul © Hermann Fuchs.

Es war ganz klar: Das Intelligenzniveau unserer neuen, germano-fanatischen „akademischen“ Jugend war bis unter den Nullpunkt herabgesunken. Sie waren wie verhext. Wie hatte dieses negative, böse Wunder der Verblödung bloß passieren können? […] Sie hatten andere, eindeutig ausgesprochene Ambitionen: die militärische Eroberung der Welt unter ausschließlich germanischer Vorherrschaft. Es war ein richtiges Elend und wir wissen ja, wie traurig dieses megalomanische Fieber ausging – und man kann nicht gleichgültig bleiben, wenn man hört, was die neuen deutschen Rassisten, diese hässlichen, widerlichen Skins in Norddeutschland jetzt machen: Sie töten ihren neuen Sündenbock …. die Türken!

Spitzer 11Leo Spitzer, deutscher Romanist, Professor und Mentor Fuchs‘, der wegen seiner jüdischen Herkunft von den Nazis aus dem Dienst entlassen wurde. fand in Istanbul eine Zuflucht – „Zuflucht am Bosporus”! (Neumark). Mit vielen anderen hochbedeutenden eingewanderten Professoren half er die moderne Türkische Universität mit aufbauen. Er richtete die Abteilung für Romanische Sprachen und Literaturen ein und erzog als deren persönlicher Leiter und Professor die Studenten. […] Als ich durch einen Telephonanruf durch Professor Erich Auerbach, den Verfasser des “Mimesis” und sein Nachfolger in Marburg, und später auch in Istanbul, eingeladen wurde, in Istanbul wieder mit ihm zusammenzuarbeiten, nahm ich sofort ohne zu zögern an und folgte diesem Ruf mit grosser Begeisterung, fühlte ich doch gleich, dass dies eine wirkliche Chance der Befreiung für mich war – keine Kompromisse mit den Nazis – und ich schwör mir, niemals mehr zurückzukommen, solange Hitler siegreich war. Lieber wäre ich bis ans Ende der Welt gegangen, sagen wir nach “Südafrika” – Hier jedoch war ein Tor zur Zukunft, daheim ein Tor zum Tode, das war sicher.

Mit 2 einfachen Koffern kam ich im Februar 1934 in Istanbul an. Während der ersten Jahre erlebten wir hier in der modernen Türkei zusammen mit den “big shots” den berühmten Professoren wir  “die kleinen Würstchen”, um Hellmut Ritters humoristisches Idiom zu benutzen, damit meinte er Leute von viel geringerer Bedeutung, eine renaissancehaft freudige Wiederkehr akademischer, kultureller und gesellschaftlicher Blüte, wie sie in gewissen hochintellektuellen Kreisen in dem Deutschland der Vor-Nazizeit dagewesen war. Das Bewusstsein in einer der schönsten Städte und in einem der interessantesten faszinierendsten Länder der Welt – Anatolien – und im Süden zu sein, erfüllte uns mit dankbarem Glück. Zuerst unterrichtete ich an der Fremdsprachenschule der Istanbul Universität (Yabancı Diller Mektebi) Französisch. Bald danach Germanistik an der Philosophischen Fakultät der selben Universität- meine Spezialfächer waren Deutsche Sprachgeschichte, Romantik und Moderne Literatur (1934-1978), dazu, von 1943 bis 1971, Deutsch und Französisch am Robert College, wo ich schliesslich auch wohnte. Ich hatte ein wundervolles grosses Zimmer in Hamlin Hall. Der Hausmeister, Godfrey Godwin, gab mir die Nummer 13 – es war meine Glückszahl – und er taufte auch meinen Kater „Traugotta“, meinen lieben Freund. Ich hatte da volle Verpflegung und genoss von Fenster aus eine fabelhafte Aussicht auf das Küçük Su-Tal, lebte geborgen in der guten, brüderlichen Nähe einer wunderbaren Zeder und sozusagen persönlich geschützt durch Atatürk, 22Mustafa Kemal Atatürk (1881-1938) begründete die nach dem Ersten Weltkrieg aus dem zerfallenen Osmanischen Reich hervorgehende Republik Türkei und war von 1923 bis 1938 ihr erster Präsident. Bis heute wird er als Symbolfigur türkischer nationaler Selbstbehauptung mit einem starken und meist unkritischen Personenkult verehrt. Bekannt ist er vor allem für seinen kompromisslosen Modernisierungskurs, mit dem er die junge türkische Republik führte: Als Weg zur Modernisierung proklamierte er eine radikale Laizisierung und Europäisierung des Staates. dessen Büste direkt unter meinem von üppigen Glyzinien umgebenen mittleren Fenster stand. Das war gewiss eine der glücklichsten Zeiten meines Lebens! Und ich war verliebt in die strenge und die Seele läuternde Schönheit Anatoliens, das damals noch nicht durch den Tourismus entstellt war, es schloss zwar einige Nachteile mit ein, bot aber viel wichtigere Vorteile: In Anatolien selbst in primitiver Form zu reisen war immer ein persönliches Abenteuer und Erlebnis, und ich war immer überwältigt von der grosszügigsten Gastfreundschaft der Leute, wohin ich auch kam.

Während der Jahre 1944/45 wurde ich, obwohl ich ein echter Einwanderer war, nichtsdestoweniger 13 Monate lang in Çorum interniert, bis es das Robert College (wo ich erst 1 Jahr Zeit gehabt hatte, mich zu bewähren) fertig brachte, mich zurückzurufen (die Uni, wo ich schon 10 Jahre gearbeitet hatte, rührte sich nicht!) Aber noch vor der Internierung wurde mir und einigen anderen eingewanderten jungen Deutschen nahe gelegt nach Deutschland zurückzukehren und uns der Armee anzuschliessen. Derselbe Arzt, der mich vorher schon mehrere Male behandelt und für kriegsuntauglich erklärt hatte, bescheinigte nun unter der Kontrolle von 2 Funktionären, die rechts und links von ihm standen, dass ich für die Reserve geeignet sei. Aber als der Tag kam, wo es galt, den Zug zu nehmen, weigerte ich mich ganz entschieden, für Hitler zu kämpfen, diesen Verbrecher, den ich aus ganzer Seele hasste und dessentwegen ich hatte auswandern müssen, und, übrigens, war ich am Robert College und stand mich gut mit den Amerikanern (See: „Certainly, one of the most happy periods of my life“!) – „Gewiss, eine der glücklichsten Zeiten meines Lebens“) In diesem Falle war die Internierung schon eine gute und weise Lösung – Inönü war wahrhaftig ein kluger Staatsmann!

Als 1971 das Robert College in die Bosporus Universität umgewandelt wurde, unterrichtete ich weiter (moderne deutsche Literatur) und zog nach Rumeli Hisar in eine Privatwohnung um. In dieser Stellung blieb ich bis zu meiner Pensionierung (mit türkischer Pension) im Jahre 1983. Und so kam es, dass ich, wo ich in Deutschland, als ich jung war, so oft die Schule gehasst hatte, hier sage und schreibe 49 Jahre lang lehrte – bis ich alt wurde.

Wörtlich und noch immer schleicht er um den Campus wie eine alte Katze um ihr altes Haus, ungehasst, freundlich unterstützt und geduldet.

Und noch immer schleicht er
Wie ne alte Katz ums alte Haus, nicht weicht er,
als „Museumsstück“ sogar inmitten
einer dräuenden Moderne:
Wem zu Schaden? Keinen. Alte Freundschaft
Sie bestätigt sich und nützt noch immer gerne.

Varkisa, 9.86 
Rumelihisar, 26.3.1986 

    Fußnoten

  • 1Leo Spitzer, deutscher Romanist, Professor und Mentor Fuchs‘, der wegen seiner jüdischen Herkunft von den Nazis aus dem Dienst entlassen wurde.
  • 2Mustafa Kemal Atatürk (1881-1938) begründete die nach dem Ersten Weltkrieg aus dem zerfallenen Osmanischen Reich hervorgehende Republik Türkei und war von 1923 bis 1938 ihr erster Präsident. Bis heute wird er als Symbolfigur türkischer nationaler Selbstbehauptung mit einem starken und meist unkritischen Personenkult verehrt. Bekannt ist er vor allem für seinen kompromisslosen Modernisierungskurs, mit dem er die junge türkische Republik führte: Als Weg zur Modernisierung proklamierte er eine radikale Laizisierung und Europäisierung des Staates.

Traugott Fuchs (1906-1997) hatte unter dem Romanisten Leo Spitzer in Köln studiert. Als Spitzer nach der nationalsozialistischen Machtergreifung entlassen wurde, begann Fuchs aus politischer Überzeugung eine solidarische Protestaktion, wodurch er sich selbst zur Zielscheibe machte. 1934 folgte Fuchs seinem Lehrer ins Istanbuler Exil. Dort lehrte er unter anderem an der Fremdsprachenschule, der Philosophischen Fakultät an der Universität Istanbul und am amerikanischen Robert College (ab 1971 Boğaziçi University) Französisch, Deutsch und deutsche Sprach- und Literaturgeschichte und arbeitete für Spitzer und später für den Romanisten Erich Auerbach. Neben seinen bis 1978 andauernden akademischen Tätigkeiten war Fuchs unablässlich künstlerisch und schriftstellerisch tätig. Er schrieb Gedichte und Elegien, übersetzte türkische Literatur ins Deutsche, malte und zeichnete. 11Vgl. Dogramaci, Burcu, 2021: Traugott Fuchs. In: METROMOD Archive,  https://archive.metromod.net/viewer.p/69/2949/object/5138-10832903, last modified: 14-09-2021 (08.11.2021).

Im Gegensatz zu vielen anderen deutschen Exilierten entschied sich Fuchs dafür, bis zu seinem Tod in Istanbul zu bleiben. Auch wenn er intensive Kontakte zu einigen der exilierten Intellektuellen pflegte und in ihre Netzwerke eingebunden war, beschränkte er sich nicht auf dieses soziale Umfeld. Er suchte die Nähe zur türkischen Bevölkerung, lernte Türkisch und setzte sich intensiv mit der türkischen Geschichte, Kultur und Politik auseinander. Sein künstlerisches und literarisches Werk ist Zeugnis dieser Auseinandersetzung und des nahen und warmen Blicks, den Fuchs auf sein Exil hatte, das zu seiner Heimat wurde. In Porträts, Landschafts- und Stadtansichten, Stillleben und Alltagsszenen entfaltet sich Fuchs‘ Blick auf die Türkei über Jahrzehnte. Neben Istanbul bildete er auch andere Städte und Landschaften ab, darunter die anatolische Kleinstadt Çorum, in der er, wie viele andere deutsche Exilierte, ab 1944 für 13 Monate interniert war.

Auch über diese Zeit der Internierung, von der Deutsche in der Türkei betroffen waren, nachdem diese sich spät im Zweiten Weltkrieg auf die Seite der Alliierten gestellt hatte und somit alle Deutschen – ungeachtet ihrer politischen Widerstandshaltung gegen die Nazis – zu feindlichen Ausländern wurden, schreibt Fuchs in diesem Ausschnitt aus seinen 1986 verfassten Memoiren. Zu dieser Zeit, war die lebensrettende türkische Exilstätte schon seit Jahrzehnten seine Heimat geworden. Fuchs beschreibt die Beweggründe seiner Flucht, seine Zuneigung zum und seine Tätigkeiten in Istanbul und wie er dort zum „Museumsstück“ wurde. Außerdem stellt er die Verbindung zwischen der ihn abschreckenden Begeisterung für die nationalsozialistische Ideologie in den 1930ern und rassistischen Morden im zeitgenössischen Deutschland her.

    Fußnoten

  • 1Vgl. Dogramaci, Burcu, 2021: Traugott Fuchs. In: METROMOD Archive,  https://archive.metromod.net/viewer.p/69/2949/object/5138-10832903, last modified: 14-09-2021 (08.11.2021).

Fuchs, Traugott: 1986, Çorum and Anatolian Pictures, Boğaziçi University, Cultural Heritage Museum Publications I, p. 10-12.