Oskar Maria Graf: Ode an New York

Oskar Maria Graf war ein deutsch-amerikanischer Schriftsteller. Seine literarischen Anfänge finden sich in expressionistischer Lyrik. Er verfasste Gedichte, Romane, (autobiografische) Erzählungen, Kalendergeschichten, politische Aufrufe und kurze Prosa. Nach der Emigration in die USA erhält er Jahre später die US-amerikanische Staatsbürgerschaft. Zahlreich sind die Anekdoten über seine mangelnde Integrationsbereitschaft. In diesem Gedicht stellt der Autor seine Reflexionen über New York als letzte Etappe seiner Flucht dar.

 

Bildnis Oskar Maria Graf (1927) von Georg Schrimpf via Wikimedia Commons

New York! Gigantisches Gemeng aus Stahl, Zement und Glas,

aus Menschen, Lärm und Licht, aus Farbensonnen,

die in der Nachtluft tänzeln, wo verarmt und blaß

der Mond verschwimmt in dunstverfleckten Himmelszonen-

wie klar hab ich mein Selbst zurückgewonnen,

als ich in dir von meiner Traurigkeit genas.

 

Mir war so elend fremd, und die Verzweiflung fraß

mein Innres kahl, denn mit vertriebenen Millionen

kam ich aus Tyrannei und Schrecknisses Europas

in ungewisser Flucht dahergeweht. Nach vielen Stationen

war dies die letzte für den Emigranten ohne Pass

und Geld.- Und dumpf empfand ich nichts als das:

Auch diese neue Fremde wird dich nicht verschonen.

 

Der Autor Oskar Maria Graf wurde am 22. Juli 1894 in Berg am Starnberger See geboren. Er war ein oberbayrischer Volksschriftsteller, der sich selbst als Provinzschriftsteller und Bauerndichter bezeichnete. Seine literarischen Anfänge finden sich in expressionistischer Lyrik. Er verfasste Gedichte, Romane, (autobiografische) Erzählungen, Kalendergeschichten, politische Aufrufe und kurze Prosa. Oskar Maria Graf war einer der Autoren, die am früh erkannten, was mit der Nazibarbarei auf Deutschland zukommen würde. Deshalb flüchtete er unmittelbar nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler 1933 aus seiner bayerischen Heimat und landete – nach Zwischenstationen in Wien und Brünn – schließlich im amerikanischen Exil. Eine winzige Wohnung in einem Mietsblock in Nord-Manhattan wurde sein Domizil. Bis zu seinem Tod im Juni 1967 lebte er in New York. Zahlreich sind die Anekdoten über seine mangelnde Integrationsbereitschaft. Nicht nur, dass er einen bayerischen Stammtisch in der Gaststätte „Alt-Heidelberg“ unterhielt, er unternahm auch kaum Anstrengungen, das amerikanische Englisch zu erlernen. Allein noch beheimatet in seiner Sprache, einem bayrisch gefärbten Schriftdeutsch, schrieb er auch im Exil noch bedeutende Werke.

Thomas Hartwig, Achim Roscher, 1986: Verheißene Stadt: Deutsch-jüdische Emigranten in New York. Gespräche, Eindrücke und Bilder. Berlin: Das Arsenal. S.5.