Paul-Adolphe Löffler über die prekären Lebensumstände ausländischer Arbeiter*innen

In Tagebucheinträgen aus den Jahren 1929 und 1934 beschreibt der Schriftsteller und Journalist Paul-Adolphe Löffler (1901-1979) seine von Prekariat und Arbeitslosigkeit geprägten Lebensverhältnisse, die er auf gesellschaftliche Diskriminierung zurückführt.

Le Gaz, Paris, 1935 © Fred Stein Archive

5 mai 1916. Bien entendu, par rapport au régime horthyste, la France est un paradis… pour les Français… et un tout petit pour nous aussi, car en réalité les ouvriers étrangers en France ne sont pas plus que des Sujets de police. Pour un oui, pour un non, la police peut expulser un étranger. Naturellement, la démocratie française n’est pas faite pour les étrangers.

5 avril 1929. Demain, journée redoutable. Demain, il faut que je renouvelle ma carte d‘ identité. Tous les ans, les travailleurs étrangers doivent parcourir ce chemin de tourment, qui blesse l’âme et l’esprit. Nous sentons que les fonctionnaires (de la préfecture de police) nous considèrent comme inférieurs aux Français qui, eux, ne sont pas contraints d’avoir la carte. Ils sont « libres ». Des semaines avant ce jour fatidique, nous tremblons, l’inquiétude nous prend : vont-ils renouveler la carte ou la refuser ? Des semaines å l’avance, cette pensée nous terrorise comme un monstre. Celui qui n’obtient pas le renouvellement se sent comme marqué au fer rouge, exclu de la société humaine. Le refus de renouvellement équivaut å l’expulsion de France. Où aller ? Presque tous, nous vivons au jour le jour, nous gagnons juste ce qu’il nous faut pour le jour. S’il faut acheter des chaussures ou des vêtements, c ‚est une tragédie. Il faut se retirer le pain de la bouche pour pouvoir les acheter. Les ouvriers professionnels ont une vie supérieure. Leurs salaires sont presque toujours le double de ceux des ouvriers sans profession. Qu’on ne parle pas des journaliers. Les professionnels obtiennent facilement la carte parce que la direction de l’usine intervient en leur faveur. Mais il y a des ouvriers étrangers pour qui personne ne fait rien. C’est leur faute ou leur ignorance. Ils ne savent pas où s’adresser. Les travailleurs domicile sont souvent des parias, ils vivent en marge de la société, ils n’ont jamais de carte. Les patrons refusent de leur délivrer un certificat de travail (qui est nécessaire pour obtenir la carte) parce qu’ils font travailler ces ouvriers en dessous des salaires légaux. D’autre part, ils les tiennent par ce moyen. Ces ouvriers sont terrifiés si quelqu’un les accoste dans la rue : si c’est un inspecteur de police. Ils sont saisis de peur si quelqu’un frappe de bonne heure, le matin, å leur porte. Et ils vivent quand même… Les autorités françaises sont au courant de cet état de Chose, mais elles le tolèrent ; ces ouvriers, inconsciemment, sont des briseurs de salaires.

[…]

21 février 1934. — Toujours sans travail. Nous nous nourrissons très insuffisamment. Depuis quelques jours, je suis fatigué, faible. Il faut que je lutte contre le découragement… et contre le mépris des Français, qui nait en moi, provoqué par leur xénophobie. Il est difficile de nager contre le courant.

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19 novembre 1938. En vertu d’un nouveau décret, les étrangers indésirables ou sans travail, s’ils ne peuvent quitter la France, en cas de guerre, seront internés. C’est un décret fasciste… et de main-d’œuvre gratuite.

5. Mai 1926. […] Selbstverständlich, im Vergleich zum Horthy-Regime ist Frankreich ein Paradies… für die Franzosen… und ein ganz kleines bisschen auch für uns, weil in Wirklichkeit sind die ausländischen Arbeiter in Frankreich nicht mehr als Untertanen der Polizei. Wegen jeder Kleinigkeit kann die Polizei einen Ausländer ausweisen. Natürlich, die französische Demokratie ist nicht für Ausländer geschaffen.

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5. April 1929. Morgen ist ein schrecklicher Tag. Morgen muss ich meinen Personalausweis erneuern. Jedes Jahr müssen ausländische Arbeiter diesen Weg der Qualen gehen, der die Seele und den Geist schmerzt. Wir sind der Meinung, dass die Beamten (der Polizeipräfektur) uns als den Franzosen unterlegen betrachten, die ihrerseits nicht verpflichtet sind, die Karte zu besitzen. Sie sind „frei“. Wochen vor diesem schicksalhaften Tag zittern wir, machen uns Sorgen: Werden sie die Karte erneuern oder verweigern sie sie? Schon Wochen vorher terrorisiert uns dieser Gedanke wie ein Monster. Wer die Erneuerung nicht bekommt, fühlt sich wie mit einem Brandeisen gebrandmarkt, von der menschlichen Gesellschaft ausgeschlossen. Die Verweigerung der Verlängerung ist gleichbedeutend mit einer Ausweisung aus Frankreich. Wohin gehen? Wohin gehen? Fast alle von uns, wir leben von einem Tag auf den anderen, wir verdienen gerade genug für den Tag. Wenn wir Schuhe oder Kleidung kaufen müssen, ist das eine Tragödie. Wir müssen uns das Brot aus dem Mund nehmen, um es kaufen zu können. Berufstätige haben ein höheres Leben. Ihre Löhne sind fast immer doppelt so hoch wie die von unprofessionellen Arbeitern. Lassen Sie uns nicht über Tagelöhner sprechen. Fachleute erhalten die Karte leicht, weil die Fabrikleitung zu ihren Gunsten interveniert. Aber es gibt ausländische Arbeitnehmer, für die niemand etwas tut. Es ist ihre Schuld oder ihre Ignoranz. Sie wissen nicht, an wen sie sich wenden sollen. Hausangestellte sind oft Ausgestoßene, sie leben am Rande der Gesellschaft, sie haben nie eine Karte. Die Bosse weigern sich, ihnen eine Arbeitsbescheinigung auszustellen (die notwendig ist, um die Karte zu erhalten), weil sie diese Arbeiterinnen und Arbeiter für weniger als den gesetzlichen Lohn arbeiten lassen. Auf der anderen Seite halten sie sie auf diese Weise fest. Diese Arbeiterinnen und Arbeiter haben Angst, wenn jemand sie auf der Straße anspricht: wenn es ein Polizeiinspektor ist. Sie haben Angst, wenn jemand früh morgens an ihre Tür klopft. Und sie leben immer noch… Die französischen Behörden sind sich dieses Zustands bewusst, aber sie tolerieren ihn; diese Arbeiterinnen und Arbeiter sind unbewusst Lohnzerstörer.

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21. Februar 1934. Immer noch ohne Arbeit. Wir ernähren uns sehr unzureichend. Seit einigen Tagen bin ich müde, schwach. Ich muss gegen die Entmutigung kämpfen… und gegen die Verachtung der Franzosen, die in mir erwächst, ausgelöst durch ihre Xenophobie. Es ist schwierig, gegen den Strom zu schwimmen.

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19. November 1938. Aufgrund eines neuen Dekrets werden die unerwünschten oder arbeitslosen Ausländer verhaftet, wenn sie Frankreich im Kriegsfall nicht verlassen können. Es ist ein faschistisches Dekret… und das einer kostenlosen Arbeitskraft.

Der Schriftsteller und Journalist Paul-Adolphe Löffler (1901-1979) floh 1924 vor dem faschistischen Regime in Ungarn nach Paris. Löffler hatte sich 1918 der kommunistischen Jugend angeschlossen. Nach dem Sturz der Regierung von Béla Kun lebte er kurze Zeit in der Unsicherheit einer Denunziation an die Polizei Horthys in Budapest. Seine Frau Ilonka und seinen Sohn Michel hatte Paul-Adolphe Löffler bei der überstürzten Flucht – ein Nachbar hatte ihn aufgrund seiner Nähe zu kommunistischen Kreisen denunziert – in Budapest zurücklassen müssen; sie zogen kurze Zeit später zu ihm in die französische Hauptstadt. Mit gering bezahlten, oftmals Gelegenheitsjobs in den verschiedensten Branchen schlugen sie sich in Paris durch, das von den Ungewissheiten der Zwischenkriegszeit und den politisch-ökonomischen Auswirkungen der Wirtschaftskrise geprägt war.

In seinem Tagebuch Journal de Paris d’un exilé (Pariser Tagebuch eines Geflohenen) schildert Paul-Adolphe Löffler die alltäglichen Entbehrungen und Sorgen, die immer wiederkehrenden hoffnungslosen Phasen der Arbeitslosigkeit, wachsende Xenophobie und Antisemitismus und die politische und gesellschaftliche Ausgrenzung der vielen Tausend ausländischen Arbeiter*innen in Frankreich. Ebenso präsent ist auch seine Mitgliedschaft in diversen Organisationen und Schriftstellerzirkeln. 1934 wurde er Mitglied der französischen Kommunistischen Partei und war in verschiedenen Ämtern für die ungarisch-diasporische Bewegung „Mouvement du 1er septembre“ (später „Mouvement pour la Paix et la Liberté“) tätig. Zwischen 1930 und 1935 ist sein Leben von langen Phasen der Arbeitslosigkeit und damit verbundener Misere und Depressionen geprägt.

In dem Tagebucheintrag aus dem Jahr 1929 schreibt er von den prekären Arbeitsverhältnissen für ausländische Arbeiter*innen und von der rechtlichen Diskriminierung, die diese im Vergleich zu französischen Staatsbürger*innen und höherstehenden Berufstätigen. 1934 schreibt er, dass er noch immer arbeitslos ist und sich von der französischen Gesellschaft diskriminiert fühlt. 1938 verweist er auf das „faschistische Dekret“ der französischen Regierung, Ausländer zu verhaften, wenn sie Frankreich im Kriegsfall nicht verlassen können.

1935 findet Löffler längerfristig eine Arbeit als Zeichner in Paris, die er bis zu seiner Rente ausführt. 1973 publizierte Löffler sein Tagebuch, das vermutlich auf ungarischen und französischen Fragmenten aus der Zeit zwischen 1924 und 1939 sowie später hinzugefügten Erinnerungen basiert und vor der Veröffentlichung bearbeitet wurde. Das Tagebuch endet mit dem Jahr 1939, in dem Löffler sich der Résistance gegen die deutsche Besatzung Frankreichs anschließt und dort u.a. die Untergrundpresse verteilt und geheime Treffen in der Region Seine-et-Marne organisiert. Paris als „Stadt des Lichts“ und der Aufklärung erscheint in Löfflers Tagebuch als schillernder Sehnsuchtsort, der ihn allerdings regelmäßig enttäuscht. Als Geflüchteter mit einem gefälschten Pass kommt er mit dem Zug am Pariser Ostbahnhof an, wo die Stadt ihn unmittelbar seiner Illusionen beraubt: Sie erscheint ihm weniger schön und sonnig als erwartet, doch er hofft, dass der nächste Tag besser werde.

Löffler, Paul-Adolphe, 1974: Journal de Paris d’un exilé (1924-1939), S. 3ff.

Foto veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung von Peter Stein © Fred Stein Archiv

Übersetzung von Minor Kontor