Paul-Adolphe Löfflers Ankunft in Paris

Der Schriftsteller und Journalist Paul-Adolphe Löffler (1901-1979) schreibt in seinem Tagebuch über seine Flucht aus Budapest nach Paris und die unmittelbare Enttäuschung nach seiner Ankunft am Pariser Gare de L’Est.

Flussbiegung, Paris 1937 © Fred Stein Archive

Premier avril. Je suis devant la gare de l’Est, sous la grande horloge. Quelque chose serre ma gorge d’où le sanglot cherche à fuir. Poisson d’Avril ? C’est ça Paris ? Sous une pluie fine, la grande Place parait sale, les murs des maisons sont noirâtres, sordides. Et la femme de pierre, là-haut, dans son fauteuil de pierre, regarde avec ses yeux de pierre ce paysage. Comment une femme de pierre peut être sensible å mon désenchantement ? Ou peut-être elle est déjà habituée à ce spectacle ? J’attendais de Paris du soleil, de la lumière, des couleurs somptueuses. On m’a trompé ! Qui ? Je suis venu au rendez-vous avec la femme désirée et elle n’est pas à l’endroit convenu. A travers la tristesse qui s’agrippe dans mes yeux, je regarde les longs tramways verts qui roulent en cahotant, faisant un bruit de ferraille sur le boulevard qui court en face de la gare. Je retiens avec angoisse mes illusions pour qu’elles ne s’évanouissent pas… demain sera autrement, demain il y aura du soleil et ils vont apparaitre les palais fabuleux et les fées. Maintenant, je suis fatigué du long voyage.

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[ohne Datum] Dans le train qui roulait vers Vienne, j’avais fait la connaissance d’un homme qui s’était appelé Loffler… comme moi. Il transportait en contrebande je ne sais quoi. Cela ne m’intéressait pas. Mais ce qui m’intéressait, que la police du train ne vienne pas dans notre compartiment car je me transportais moi-même en contrebande avec un faux passeport. Je fuyais la police fasciste de Horthy. Loffler – l’autre – me disait que son jeune frère était à Paris. C’est à lui que je me suis adressé en quittant la gare de l’Est.

Erster April. Ich bin vor dem Ostbahnhof, unter der großen Uhr. Etwas schnürt meinen Hals ein, aus dem ein Schluchzen zu entweichen versucht. Aprilscherz? Ist das Paris? Unter einem feinen Regen erscheint der große Platz schmutzig, die Wände der Häuser sind schwärzlich, heruntergekommen. Und die Frau aus Stein, da oben, in ihrem Steinsessel, betrachtet mit ihren Steinaugen diese Landschaft. Wie kann eine Frau aus Stein mit meiner Ernüchterung mitfühlen? Oder vielleicht ist sie schon an dieses Spektakel gewähnt? Ich habe von Paris Sonne erwartet, Licht, prächtige Farben. Man hat mich betrogen! Wer? Ich bin zu einem Rendez-Vous mit der begehrten Frau gekommen und sie ist nicht am vereinbarten Ort. Durch die Traurigkeit, die sich in meinen Augen festsetzt betrachte ich die langen grünen Straßenbahnen, die holpernd vorbeirollen, einen metallenen Lärm auf dem Boulevard machen, der gegenüber dem Bahnhof entlangführt. Ich halte mit Angst meine Illusionen fest, damit sie nicht verpuffen… morgen wird anders, morgen wird es Sonne geben und sie werden erscheinen, die märchenhaften Paläste und Feen. Nun bin ich müde von der langen Reise.

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[Ohne Datum] Im Zug, der nach Wien rollte, lernte ich einen Mann kennen, der Löffler hieß … wie ich. Er schmuggelte irgendetwas. Das interessierte mich nicht. Aber was mich interessierte war, dass die Polizei des Zugs nicht in unser Abteil kam, denn ich schmuggelte mich selbst mit einem falschen Pass. Ich floh vor der faschistischen Polizei Horthys. Löffler – der andere – sagte mir, dass sein jüngerer Bruder in Paris sei. An ihn habe ich mich gewandt, als ich den Ostbahnhof verließ.

Der Schriftsteller und Journalist Paul-Adolphe Löffler (1901-1979) floh 1924 vor dem faschistischen Regime in Ungarn nach Paris. Löffler hatte sich 1918 der kommunistischen Jugend angeschlossen. Nach dem Sturz der Regierung von Béla Kun lebte er kurze Zeit in der Unsicherheit einer Denunziation an die Polizei Horthys in Budapest. Seine Frau Ilonka und seinen Sohn Michel hatte Paul-Adolphe Löffler bei der überstürzten Flucht – ein Nachbar hatte ihn aufgrund seiner Nähe zu kommunistischen Kreisen denunziert – in Budapest zurücklassen müssen; sie zogen kurze Zeit später zu ihm in die französische Hauptstadt. Mit gering bezahlten, oftmals Gelegenheitsjobs in den verschiedensten Branchen schlugen sie sich in Paris durch, das von den Ungewissheiten der Zwischenkriegszeit und den politisch-ökonomischen Auswirkungen der Wirtschaftskrise geprägt war.

In seinem Tagebuch Journal de Paris d’un exilé (Pariser Tagebuch eines Geflohenen) schildert Paul-Adolphe Löffler die alltäglichen Entbehrungen und Sorgen, die immer wiederkehrenden hoffnungslosen Phasen der Arbeitslosigkeit, wachsende Xenophobie und Antisemitismus und die politische und gesellschaftliche Ausgrenzung der vielen Tausend ausländischen Arbeiter*innen in Frankreich. Ebenso präsent ist auch seine Mitgliedschaft in diversen Organisationen und Schriftstellerzirkeln. 1934 wurde er Mitglied der französischen Kommunistischen Partei und war in verschiedenen Ämtern für die ungarisch-diasporische Bewegung „Mouvement du 1er septembre“ (später „Mouvement pour la Paix et la Liberté“) tätig. Zwischen 1930 und 1935 ist sein Leben von langen Phasen der Arbeitslosigkeit und damit verbundener Misere und Depressionen geprägt. 1935 findet er längerfristig eine Arbeit als Zeichner in Paris, die er bis zu seiner Rente ausführt.

1973 publizierte Löffler sein Tagebuch, das vermutlich auf ungarischen und französischen Fragmenten aus der Zeit zwischen 1924 und 1939 sowie später hinzugefügten Erinnerungen basiert und vor der Veröffentlichung bearbeitet wurde. Das Tagebuch endet mit dem Jahr 1939, in dem Löffler sich der Résistance gegen die deutsche Besatzung Frankreichs anschließt und dort u.a. die Untergrundpresse verteilt und geheime Treffen in der Region Seine-et-Marne organisiert. Paris als „Stadt des Lichts“ und der Aufklärung erscheint in Löfflers Tagebuch als schillernder Sehnsuchtsort, der ihn allerdings regelmäßig enttäuscht. Als Geflüchteter mit einem gefälschten Pass kommt er mit dem Zug am Pariser Ostbahnhof an, wo die Stadt ihn unmittelbar seiner Illusionen beraubt: Sie erscheint ihm weniger schön und sonnig als erwartet, doch er hofft, dass der nächste Tag besser werde.

Löffler, Paul-Adolphe, 1974: Journal de Paris d’un exilé (1924-1939), p. 1.

Foto veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung von Peter Stein © Fred Stein Archiv

Übersetzung von Minor Kontor