Joseph Roths Zukunftsängste

Der österreichische Schriftsteller Joseph Roth (1894–1939) wartete nicht lang und verließ Berlin kurze Zeit nach Hitlers Machtergreifung. Schon im Februar 1933 befand er sich in Paris – einer Stadt, der er sich seit den 1920er Jahren verbunden fühlte. Er floh quasi nach Hause. Schon früh zeichnete sich jedoch ab, wie schwierig es sein würde, in dieser Welt als Exilliterat leben zu können. Zukunftsvisionen waren überlagert von Ängsten.

An Stefan Zweig

Hotel Foyot

Paris

17. März 1933

Sehr verehrter lieber Freund,

ich weiß, daß Sie verstehen, weshalb ich Ihnen so lange nicht geschrieben habe und daß Sie mir darum nicht böse sein können. Ich weiß auch garnicht, was man sagen oder schreiben soll. Es ist längst nicht mehr so, daß der Vernünftige irre wird an der Welt, wie noch vor einem Jahre, sondern daß die Welt buchstäblich irre geworden ist und daß es sinnlos ist, noch Vernunft zu bewahren.

Was das Praktische betrifft:

unter uns: mein Verlag ist in Auflösung begriffen. Verkauft mich. An wen, weiß ich nicht. Wovon man leben wird, ist mir völlig unklar. Ein Emigrantenlos möchte ich nicht erleiden müssen.

Was gedenken Sie zu tun?

Es ist keine Rede davon, daß man noch in Deutschland erscheinen kann! Begreifen Sie, daß ich ahnungsvoll immer traurig war und bin?

Sehr herzlich Ihr alter

Joseph Roth

Joseph Roth gilt als einer der bekanntesten Journalisten der 1920er Jahre, als präziser Chronist, erfolgreicher Romanautor und engagierter Gegner des Nationalsozialismus. Sein literarisches und journalistisches Werk besteht aus Zeitungsartikeln, Glossen, Reiseberichten, Feuilletons, Romanen und Erzählungen.

Roth wuchs im ostgalizischen Brody auf, studierte in Lemberg und Wien, war Soldat im Ersten Weltkrieg und erlebte den Zusammenbruch Österreich-Ungarn – seiner Heimat. Nostalgie nach diesem multiethnischen Reich begleitete ihn den Rest seines Lebens und viele seiner Romane widmen sich dem Verlust von Heimat und der Erfahrung von Entwurzelung. Ab 1919 arbeitete er als Journalist für verschiedene Wiener, Berliner und Prager Zeitungen und Zeitschriften sowie für die Frankfurter Zeitung.

Ab 1933 durfte Roth als Jude dort nicht mehr publizieren. Er verließ Deutschland endgültig und führte sein Engagement gegen die nationalsozialistische Diktatur im Pariser Exil fort. Er engagierte sich für die Geflüchtetenhilfe, zum Beispiel für Entre‘ Aide Autrichienne und pflegte intensive Verbindungen zu geflüchteten Schicksalgenoss*innen, unter ihnen Stefan Zweig (1881–1942), an den auch der zitierte Brief adressiert war, Ernst Toller (1893–1939), Egon Erwin Kisch (1885–1948), Soma Morgenstern (1890–1976) und Irmgard Keun (1905–1982). Die meiste Zeit lebte er in Paris in Hotels. Das Café Le Tournon wurde für Roth zum Hauptaufenthaltsort, an dem er seine „Entourage“ um sich versammelte. Schwer alkoholkrank waren seine letzten Jahre deutlich geprägt von den politischen Verhältnissen und den Erfahrungen des Geflüchtetendaseins. Den Zweiten Weltkrieg erlebte er nicht mehr; er starb am 27. Mai 1939 im Pariser Armenhospital Hôpital Necker. 11https://kuenste-im-exil.de/KIE/Content/DE/Personen/roth-joseph.html

In seinem Brief an den Freund Stefan Zweig vom März 1933 zeichnen sich bereits die starken Zukunfts- und Existenzängste Roths ab, insbesondere die Sorge darum, sich als Exilliterat in politischen Krisenzeiten ökonomisch über Wasser halten zu  können.

    Fußnoten

  • 1https://kuenste-im-exil.de/KIE/Content/DE/Personen/roth-joseph.html

Roth, Joseph, 1970: Briefe 1911–1939. hrsg. von Hermann Kesten. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 1970. S. 255.