Fatima D. kommt aus Gambia und ist im Mai 2017 in Palermo angekommen. Sie gehörte zu den vielen minderjährigen Geflüchteten, die ohne Begleitung ihrer erwachsenen Familienangehörigen auf der Flucht sind. Für Fatima ist Bildung die wichtigste Grundlage für die Zukunft, von der sie träumt.
My name is Fatima. I am from Gambia. I am 19 years old. I have been here in Italy for two and half years. I arrived in Italy in 2016 May 7th. Since I arrived in Italy, I have gone to school to get my diploma. I don’t know how things work, so if I learn something, it will be better for me. I don’t have any parents here, I don’t have anyone to help. But there are people who rescue me and are really helpful in my life because they take me to school. It’s up to me to go to school. I know what I want in life and I also know what I want to be in the future. So I agreed with them to go to school. I am taking my diploma, terza media.
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For girls like me, I know it’s difficult. We don’t have time to do some stuff. Some people are in a hurry to make money but my friend says, “You can empty your pocket to find knowledge, and afterwards, your knowledge will fill your pocket.” I think it’s an important proverb, right?
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Especially girls – none of my friends go to school, none of them. People go, but few. The only boy I see going to school is the one I talked about. He is going to school with me. Girls are not going to school because most of my friends say they are not here to go to school. They are here to follow their dreams. But you can’t follow your dreams without learning. Without knowing anything. If you don’t know anything, who will give you a job? It’s not possible.
One of my friends doesn’t have documents. They rejected her because she doesn’t go to school. She always sleeps, makes calls, does stuff. And when she goes to commission, she doesn’t have anything to say about what she was doing in her free time since she arrived in Italy. She has nothing to say and they just give her a negative. And my friends are blaming this and that.
I always advise my girls, “You can still have free time and do something good with it. We cannot just be outside fooling ourselves. This will not help. Because one day, we all want to become something. It makes no sense.”
One day, I was going to terza media and in the afternoon doing something, I was meeting friends, going around, entering places, I was just sitting down. I said to myself, “Does this make sense? What am I doing? No, I cannot continue like this.“
That is how I focused on my school. Otherwise, I would sleep or look at my phone. And this doesn’t make sense to me. I punished myself. I don’t have time. I don’t stay home. But this is not for now, we are doing it for afterwards, afterwards you will have your independence. I don’t say you don’t need someone. But it has a limit. I hate it when – we cannot know everything, we help each other – but I hate when I have to ask for everything, every little thing. Like to write my name: How should I write my name? And everything is in front of you, but you still have to ask. If you don’t learn, this will happen to you. I experience this every time when I go out: simple things, simple instructions that people like me cannot do. They just don’t want to know it. Also, to learn the language is important. You still want to work. If you don’t want to go to school to learn the language, there are other options like having Italian friends. We don’t know where we are going to and we all want to end up in good hands. If we don’t organize ourselves now, it will just become worse. Where I work now they help migrants like me to find a job and also make a curriculum. They also asked me if some of my friends want to make the curriculum or do a tirocinio (internship), so we could do the currciculum together. Sometimes I translate. I am not good in Italian but I try. So I just translate. Some of them are here for three years, one is here for eleven years, and they don’t speak Italian. He doesn’t want to speak it, it doesn’t make sense.“
Interview with Fatima D. am 12 Juni, 2019 in Palermo
Ich heiße Fatima. Ich komme aus Gambia. Ich bin 19 Jahre alt. Ich bin seit zweieinhalb Jahren in Italien. Ich bin am 7. Mai in Italien angekommen. Seit ich in Italien bin, gehe ich zur Schule, um meinen Abschluss zu bekommen. Ich weiß nicht, wie die Dinge laufen, also wenn ich etwas lerne, wird es für mich besser werden. Ich habe keine Eltern hier, ich habe niemanden, der mir hilft. Aber es gibt Menschen, die mir zur Hilfe gekommen und in meinem Leben eine große Stütze sind, weil sie mich in die Schule gebracht haben. Es ist meine Entscheidung, ob ich zur Schule gehe oder nicht. Ich weiß, was ich im Leben will, und ich weiß auch, was ich in Zukunft sein will. Also bin ich mit ihnen übereingekommen, zur Schule zu gehen. Ich mache meinen Abschluss, die terza media. 11Terza media ist vergleichbar mit dem Mittleren Schulabschluss.
Für Mädchen wie mich ist es schwierig. Wir haben keine Zeit für alles Mögliche. Viele Leute sind unter Druck, Geld zu machen. Aber mein Freund sagt: „Du kannst deine Taschen leeren, um Wissen zu finden, und danach wird dein Wissen deine Taschen füllen.” Ich denke, es ist ein wichtiges Sprichwort, oder?
Insbesondere Mädchen – keine meiner Freundinnen geht zur Schule, keine. Leute gehen, aber wenige. Der einzige Junge, den ich zur Schule gehen sehe, ist der, über den ich gesprochen habe. Er geht mit mir zur Schule. Mädchen gehen nicht zur Schule, weil die meisten meiner Freundinnen sagen, sie seien nicht hier, um zur Schule zu gehen. Sie seien hier, um ihre Träume zu erfüllen. Aber wie kannst du deine Träume erfüllen, ohne etwas zu lernen? Ohne irgendwas zu wissen. Wenn du nichts weißt, wer wird dir eine Arbeit geben? Es ist unmöglich.
Eine meiner Freundinnen hat keine Papiere. Sie haben sie abgelehnt, weil sie nicht zur Schule geht. Sie schläft immer, telefoniert, macht Kram. Und wenn sie zu der Kommission geht, hat sie nichts darüber zu sagen, was sie in ihrer Freizeit gemacht hat, seit sie in Italien angekommen ist. Sie hatte nichts vorzuweisen, also haben sie ihr halt einen Negativbescheid gegeben. Und meine Freunde geben diesem und jenem die Schuld.
Ich rate meinen Mädels immer: „Ihr könnt immer noch Freizeit haben und etwas Gutes damit anfangen. Wir können einfach nicht draußen rumhängen und uns selbst etwas vormachen. Das wird uns nicht helfen. Denn eines Tages wollen wir alle etwas sein. Es ergibt keinen Sinn.”
Früher ging ich zu terza media und am Nachmittag machte ich irgendwas, ich traf Freund*innen, lief herum, ging in irgendwelche Orte, ich saß einfach rum. Ich sagte zu mir selbst: „Macht das Sinn? Was tue ich? Nein, ich kann so nicht weitermachen!”
So kam es, dass ich mich voll auf die Schule konzentrierte. Ansonsten hätte ich einfach geschlafen oder auf mein Handy geschaut. Und das ergibt für mich keinen Sinn. Ich habe mich bestraft. Ich habe keine Zeit. Ich bleibe nie zu Hause. Aber das passiert nicht für jetzt, wir machen das für später, später wirst du Unabhängigkeit haben. Ich sage nicht, dass du niemanden brauchst. Aber das hat Grenzen. Ich hasse es, wenn – wir können nicht alles wissen, wir helfen einander – aber ich hasse es, wenn ich nach allem fragen muss, nach jeder Kleinigkeit. Wie meinen Namen schreiben: Wie soll ich meinen Namen schreiben? Und es ist alles vor deiner Nase, aber trotzdem musst du fragen. Wenn du nicht lernst, wird dir das passieren. Ich erlebe das jedes Mal, wenn ich rausgehe: einfache Dinge, einfache Anweisungen, die Menschen wie ich nicht umsetzen können. Sie wollen es einfach nicht wissen. Auch die Sprache zu lernen, ist wichtig. Du willst ja schließlich arbeiten. Und wenn du nicht zur Schule gehen willst, um die Sprache zu lernen, kannst du ja italienische Freunde treffen oder so. Wir wissen nicht, wohin wir kommen, und wir alle wollen in guten Händen enden. Wenn wir uns nicht jetzt organisieren, wird es nur schlimmer. Dort, wo ich jetzt arbeite, helfen sie Migrant*innen wie mir einen Job zu finden oder ihren Lebenslauf zu schreiben. Sie haben mich auch gefragt, ob ich Freund*innen habe, die ihren Lebenslauf schreiben wollen oder ein Praktikum machen wollen, sodass wir zusammen unseren Lebenslauf schreiben können. Manchmal übersetze ich. Ich bin nicht gut in Italienisch, aber ich gebe mein Bestes. Also manchmal übersetze ich einfach. Manche von ihnen sind seit drei Jahren hier, einer sogar seit elf Jahren, und sie sprechen kein Italienisch. Er will es nicht sprechen. Es ergibt keinen Sinn.
Interview mit Fatima D. am 12. Juni 2019 in Palermo
Fußnoten
1Terza media ist vergleichbar mit dem Mittleren Schulabschluss.
Fatima D. kommt aus Gambia und ist im Mai 2017 in Palermo angekommen. Sie gehörte zu den vielen minderjährigen Geflüchteten, die ohne Begleitung ihrer erwachsenen Familienangehörigen auf der Flucht sind. Im Jahr 2018 waren es nach Angabe von Unicef 12.700 Kinder, die unbegleitet nach Europa kamen. 11Unicef: Latest Statistics and Graphics on Refugee and Migrant Children, in: Unicef, 2019, https://www.unicef.org/eca/emergencies/latest-statistics-and-graphics-refugee-and-migrant-children (09.09.2019).
Jeden Tag telefoniert Fatima mit ihrer Mutter, die weiterhin ihre wichtigste Bezugsperson ist. Sie geht zur Schule und mittlerweile auch aufs Konservatorium, um sich ihre Zukunftsträume zu erfüllen. Fatima spielt Djembé und träumt davon, Sängerin zu werden.
Fußnoten
1Unicef: Latest Statistics and Graphics on Refugee and Migrant Children, in: Unicef, 2019, https://www.unicef.org/eca/emergencies/latest-statistics-and-graphics-refugee-and-migrant-children (09.09.2019).
Wie entstanden die Selbstzeugnisse, Filme und Filmfragmente in Palermo?
Diawara B. und Diallo S. von Giocherenda gestalteten mit den Teilnehmenden Glory M., Fatima D., Ismail A., Kadijatu J., Marrie S. und Mustapha F. einen dreitägigen Workshop, indem es um ihre eigenen Erfahrungen in Palermo ging. Mit verschiedenen Ansätzen und Spielen konnten in der Gruppe persönliche Erfahrungen ausgetauscht und vor der Kamera des We Refugees Archiv Filmteam in der Black Box erzählt werden. Fatima D., Ismail A. und Mustapha F. erklärten sich bereit, außerhalb des Workshops von Giocherenda mit dem We Refugees Archiv Filmteam Kurzfilme über ihr Leben und ihre Themen in der Stadt zu drehen.
Giocherenda ist eine professionelle Organisation von und mit jungen Geflüchteten in Palermo, die Spiele zum Storytelling anbietet. Es geht im Ansatz nicht darum Geflüchteten zu helfen und zu unterstützen, sondern ausdrücklich um den umgekehrten Ansatz: Geflüchtete helfen Europäer*innen im gemeinsamen Zusammensein und Erfahrungsaustausch.
Giocherenda kommt aus der afrikanischen Sprache Pular und bedeutet Solidarität, aber auch Interdependenz and Stärke, die aus der Zusammenkunft der Menschen entsteht. Es ähnelt dem italienischen Wort „Giocare“ (Spielen), das das Kollektiv dazu inspirierte, Spiele zu entwickeln, die Erzählungen erzeugen und persönliche Erinnerungen teilen können.
Perspektive der Geflüchteten
Es wurde bewusst auf ein Drehbuch oder standardisierte Fragen in den filmischen Interviews verzichtet. Es ging allein um die Perspektive der Geflüchteten und die Themen, über die sie sprechen wollten. Einzige Vorgabe des Workshops war ein grober inhaltlicher Rahmen zu ihren Lebenserfahrungen in Palermo und ihren Visionen in naher Zukunft. Entsprechend konnten die Teilnehmenden frei entscheiden, was sie thematisieren und über welche Eindrücke, Probleme und Perspektiven sie sprechen wollten. Dass einige von ihnen dennoch über ihre Fluchterfahrungen nach Europa sprachen, beruhte also nicht auf einer Workshopvorgabe, sondern allein auf ihrer eigenen Entscheidung.