Paul-Adolphe Löffler über Paris und Antisemitismus
In undatierten Tagebucheinträgen schreibt der Schriftsteller und Journalist Paul-Adolphe Löffler (1901-1979) über seine Lieblingsorte in Paris – vorwiegend Schauplätze der Französischen Revolution und Arbeiterviertel –, Schwierigkeiten mit der französischen Sprache und Antisemitismus innerhalb der französischen Gesellschaft.
[non-daté] Aujourd’hui, je suis allé au Louvre. Les statues grecques et romaines, même la Vénus de Milo, ne m’ont pas impressionné. Peut-être parce que dans les salles longues et étroites elles ont l’air d’être en prison. […] Mon « état d’âme » m’empêche d’être pris par tous ces tableaux, Jésus et Marie. En Hongrie, on tue tous les jours des ouvriers et des Juifs au nom du Christ. Après avoir quitté le Louvre, en traversant les Tuileries, je pense å la Grande Révolution. Ici, je me sens å l’aise, c’est ici un des théâtres de la Révolution. Au bout du jardin, c’est Concorde, Place où ils ont décapité la royauté.
Quand j ‚ai du temps libre, je me promène autour de la Bastille, de préférence. Là, je suis chez moi. Pas seulement parce qu’elle symbolise la fin de la féodalité, mais ici je croise des hommes simples, des travailleurs sympathiques. Et c’est là que commence le faubourg Saint-Antoine, quartier de l’artisanat du meuble, où de nombreux ébénistes hongrois gagnent leur pain quotidien. J’aime aussi les berges de la Seine, j’aime me balader au fil de son cours. Elle me rappelle le Danube, et je regrette qu’elle soit moins large que le Danube. Je fréquente avec ferveur les bouquinistes. Je m’arrête devant leurs caisses et je glane dans les revues. Je ne comprends pas tout, je devine plutôt ce qu’elles disent. […] C’est ainsi que j ‚apprends les mots que je n ‚apprendrais pas ailleurs. J’essaie de déchiffrer les affiches qui sont nombreuses sur les murs de Paris. Il y en a une partout, quelquefois en plusieurs exemplaires å la fois Elle est de petit format, il n’est même pas nécessaire de lire le texte, il ne le mérite même pas. C’est une tête, non, une gueule avec une barbe en broussaille, entre ses dents un grand couteau de cuisine. Je ne la prends même pas en considération, elle n’a pas d’importance. L’important est que le gouvernement français a reconnu l’Union Soviétique. Il y a une autre petite affiche significative. Elle n’est pas inquiétante ; elle est plutôt désagréable å voir en France. Je n’aurais jamais pensé que parmi les Français il y avait des antisémites ; Signe de stupidité. L’affaire Dreyfus appartient au passé oublié. Encore une autre affiche, assez grande, qui fait oublier les deux autres. Je la regarde avec émotion : le nom d’Anatole France est en bas. Il appelle la jeunesse soutenir le Parti communiste. Cette affiche a longtemps réchauffé mon cœur.
Je regarde les affiches des théâtres aussi, mais je n’ose pas aller au théâtre, je crains que le peu de mots que j’ai appris dans les journaux ne suffisent pas pour comprendre une pièce. Mais I ‚affiche du Théâtre de I’Œuvre me hante avec le nom de Bernard Shaw. Mon auteur préféré. Je suis allé voir « Sainte Jeanne »… Je n’ai rien compris aux paroles, mais j ‚ai saisi le sens de la pièce. Pitoéff et sa femme ont été merveilleux.
En général, je suis toujours dans la rue. J’observe les gens, leur comportement, leurs habitudes. J’entends un ou plusieurs mot dont je n’entends jamais plus que « nez ». Mais je vois qu’il ne s’agit pas du nez. C’est seulement après de longues observations que j’ai deviné qu’il s’agissait de : ve-nez, pre-nez, te-nez. Au commencement, j’étais surpris de voir, au bord des trottoirs, de petites voitures derrière lesquelles des femmes corpulentes criaient leurs marchandises. […] Ces petites voitures et les étalages sur le trottoir donnent un aspect oriental la rue. Je ne comprends pas que cela puisse exister å Paris. L’Extrême-Orient et I ‚extrême Occident qui se rencontrent.
[undatiert] Heute bin ich in den Louvre gegangen. Die griechischen und römischen Statuen, selbst Milos Venus, haben mich nicht beeindruckt. Vielleicht weil sie in den langen und engen Räumen so scheinen, als seien sie im Gefängnis […]. Mein „Seelenzustand“ hindert mich daran, von all diesen Gemälde ergriffen zu werden, Jesus und Maria. In Ungarn töten sie jeden Tag Arbeiter und Juden im Namen von Christus. Nachdem ich den Louvre verlassen habe, während ich durch die Tuilerien gehe, denke ich an die Große Revolution. Hier fühle ich mich wohl, hier ist einer der Schauplätze der Revolution. Am Ende des Gartens ist Concorde, der Ort, wo sie das Königtum geköpft haben.
Wenn ich freie Zeit habe, gehe ich am liebsten um die Bastille herum spazieren. Dort bin ich zu Hause. Nicht nur, weil sie das Ende der Feudalität symbolisiert, sondern hier treffe ich einfache Leute, sympathische Arbeiter. Und hier beginnt auch die Vorstadt Saint-Antoine, Viertel der Möbelschreiner, wo zahlreiche ungarische Schreiner ihr tägliches Brot verdienen. Ich mag auch die Ufer der Seine, ich mag es, an ihrem Lauf zu spazieren. Sie erinnert mich an die Donau und ich bedauere, dass sie weniger breit ist als die Donau. Ich besuche häufig die Buchhändler. [… ] Es gibt ein anderes kleines bedeutsames Plakat. Es ist nicht beunruhigend; es ist eher unerfreulich, es in Frankreich zu sehen. Ich hätte nie geglaubt, dass es Antisemiten unter den Franzosen gibt; Zeichen der Dummheit. Die Dreyfus-Affäre gehört der vergessenen Vergangenheit an. Noch ein anderes Plakat, ziemlich groß, das die anderen vergessen lässt. Ich sehe es mit Ergriffenheit an: der Name von Anatol France steht unten. Er ruft die Jugend auf, die kommunistische Partei zu unterstützen. Dieses Plakat hat lange mein Herz erwärmt.
Ich schaue mir auch Theaterplakate an, aber ich traue mich nicht, ins Theater zu gehen, weil ich fürchte, dass die wenigen Worte, die ich in den Zeitungen gelernt habe, nicht ausreichen, um ein Stück zu verstehen. Aber das Plakat des Theaters der Arbeit verfolgt mich mit dem Namen Bernard Shaw… Mein Lieblingsautor. Ich war bei der Heiligen Johanna… Ich konnte die Worte nicht verstehen, aber ich habe den Sinn des Stücks verstanden. Pitoéff und seine Frau waren wunderbar.
Im Allgemeinen, bin ich immer auf der Straße. Ich beobachte die Leute, ihr Verhalten, ihre Gewohnheiten. Ich höre ein oder mehrere Wörter, von denen ich niemals mehr als „nez“ („Nase“) verstehe. Aber ich erkenne, dass es sich nicht um die Nase handelt. Erst nach langen Beobachtungen habe ich erraten, dass es sich handelt um: ve-nez, pre-nez, te-nez („kommen Sie, nehmen Sie, halten Sie“). Zu Beginn war ich überrascht am Straßenrand kleine Autos zu sehen, hinter denen korpulente Frauen ihre Handelswaren anpriesen. […] Diese kleinen Autos und die Auslagen auf dem Bürgersteig geben der Straße ein orientalisches Aussehen. Ich verstehe nicht, wie das in Paris existieren kann. Der Ferne Osten und der Ferne Westen treffen sich.
Der Schriftsteller und Journalist Paul-Adolphe Löffler (1901-1979) floh 1924 vor dem faschistischen Regime in Ungarn nach Paris. Löffler hatte sich 1918 der kommunistischen Jugend angeschlossen. Nach dem Sturz der Regierung von Béla Kun lebte er kurze Zeit in der Unsicherheit einer Denunziation an die Polizei Horthys in Budapest. Seine Frau Ilonka und seinen Sohn Michel hatte Paul-Adolphe Löffler bei der überstürzten Flucht – ein Nachbar hatte ihn aufgrund seiner Nähe zu kommunistischen Kreisen denunziert – in Budapest zurücklassen müssen; sie zogen kurze Zeit später zu ihm in die französische Hauptstadt. Mit gering bezahlten, oftmals Gelegenheitsjobs in den verschiedensten Branchen schlugen sie sich in Paris durch, das von den Ungewissheiten der Zwischenkriegszeit und den politisch-ökonomischen Auswirkungen der Wirtschaftskrise geprägt war.
In seinem Tagebuch Journal de Paris d’un exilé (Pariser Tagebuch eines Geflohenen) schildert Paul-Adolphe Löffler die alltäglichen Entbehrungen und Sorgen, die immer wiederkehrenden hoffnungslosen Phasen der Arbeitslosigkeit, wachsende Xenophobie und Antisemitismus und die politische und gesellschaftliche Ausgrenzung der vielen Tausend ausländischen Arbeiter*innen in Frankreich. Ebenso präsent ist auch seine Mitgliedschaft in diversen Organisationen und Schriftstellerzirkeln. 1934 wurde er Mitglied der französischen Kommunistischen Partei und war in verschiedenen Ämtern für die ungarisch-diasporische Bewegung „Mouvement du 1er septembre“ (später „Mouvement pour la Paix et la Liberté“) tätig. Zwischen 1930 und 1935 ist sein Leben von langen Phasen der Arbeitslosigkeit und damit verbundener Misere und Depressionen geprägt.
In den undatierten Tagebucheinträgen beschreibt er seine Lieblingsorte von Paris: als überzeugten Kommunisten begeistern ihn vor allem die Orte der Französischen Revolution und die Pariser Arbeiterviertel. Zudem schreibt er über seine Schwierigkeiten mit der französischen Sprache. Als er auf der Straße in Paris an einem antisemitischen Plakat vorbeikommt, notiert er, der selbst nicht jüdisch ist, dass er der französischen Gesellschaft niemals Antisemitismus zugetraut hätte – „Zeichen der Dummheit.“
1935 findet Löffler längerfristig eine Arbeit als Zeichner in Paris, die er bis zu seiner Rente ausführt. 1973 publizierte Löffler sein Tagebuch, das vermutlich auf ungarischen und französischen Fragmenten aus der Zeit zwischen 1924 und 1939 sowie später hinzugefügten Erinnerungen basiert und vor der Veröffentlichung bearbeitet wurde. Das Tagebuch endet mit dem Jahr 1939, in dem Löffler sich der Résistance gegen die deutsche Besatzung Frankreichs anschließt und dort u.a. die Untergrundpresse verteilt und geheime Treffen in der Region Seine-et-Marne organisiert. Paris als „Stadt des Lichts“ und der Aufklärung erscheint in Löfflers Tagebuch als schillernder Sehnsuchtsort, der ihn allerdings regelmäßig enttäuscht. Als Geflüchteter mit einem gefälschten Pass kommt er mit dem Zug am Pariser Ostbahnhof an, wo die Stadt ihn unmittelbar seiner Illusionen beraubt: Sie erscheint ihm weniger schön und sonnig als erwartet, doch er hofft, dass der nächste Tag besser werde.
Löffler, Paul-Adolphe, 1974: Journal de Paris d’un exilé (1924-1939).