„Um es kurzzufassen: Ich bin der typische Nachkriegs-Berliner mit Stationen in allen vier Sektoren in Berlin. Geboren 1948 im Jüdischen Krankenhaus im französischen Sektor. Meine Eltern brauchen eine Ausfuhrbescheinigung für mich, weir wir im russischen Sektor, in Pankow, damals Teil von Ost-Berlin, lebten. Dort bin ich zur Schule gegangen und groß geworden und habe bis 1987 dort gelebt. Dann kam mein Wechsel nach West-Berlin, dort hatte ich meine Wohnung in Mariendorf, im amerikanischen Sektor, und arbeitete schließlich als Grundschullehrer in Charlottenburg, im britischen Sektor. […]
Bis zum Mauerbau fuhr ich wöchentlich […] zum Religionsunterricht am Jüdischen Krankenhaus nach West-Berlin. Noch einen Monat vor der Grenzschließung feierte ich, am 15. Juli, meine Bar Mitzwah in der Synagoge im Jüdischen Altersheim im Wedding. Als der Weg nach West-Berlin versperrt war, besuchten wir die Ost-Berliner Synagoge, dort wurden jeden Freitag und Samstag Gottesdienste gehalten. […]
Welches Lebensereignis hat Sie sehr geprägt?
„Zum einen mein Neu-Anfang in West-Berlin mit 39 Jahren. Ich durfte zur Beerdigung meiner Tante ausreisen und entschied mich, nicht mehr zurückzukehren.
Ich hatte nur einen Koffer dabei. Meine vollmöblierte Wohnung und meinen Laden für An- und Verkauf ließ ich zurück. Dass mein Besitz vom Staat einkassiert würde, nahm ich in Kauf. Im Nachhinein ärgerte ich mich, dass ich es nicht besser vorbereitet hatte und bestimmte Dinge zur Seite geschafft hatte, beispielsweise meine Fotoalben. Die nicht mehr zu haben, machte mich schon betrübt. Umso mehr freue ich mich heute, wenn alte Erinnerungen wieder auftauchen. […]
Zurück konnte ich bis zum Mauerfall allerdings nicht mehr. Die ersten Wochen wohnte ich bei meiner Tante, dann fand ich eine kleine Wohnung, machte das Zweite Staatsexamen fürs Lehramt nach und begann als Lehrer zu arbeiten, was mir in der DDR verwehrt worden war.
Mein Vater starb ein paar Wochen nach dem Mauerfall, zu seinem Begräbnis durfte ich dann wieder rüber.“
Als Kind eines jüdischen Vaters, der die Shoah im Untergrund überlebt hatte – unter anderem versteckt bei seiner späteren Frau, die nach dem Krieg zum Judentum konvertierte – wurde Benno Simoni 1948 in Berlin geboren und beschreibt sich als „typischen Nachkriegs-Berliner mit Stationen in allen vier Sektoren“. In diesem Interviewausschnitt beschreibt er, wie er (jüdisches) Leben in der „Viersektorenstadt“ und in der DDR erlebte. 1987 verließ er den seit dem Mauerbau 1961 verriegelten Osten der Stadt, um in ihrem Westen ein neues Leben zu beginnen. Damit zeugt seine Geschichte auch von der langen Teilungsgeschichte der Stadt Berlin, während der Menschen aus einem Teil der Stadt flohen und in dem anderen Zuflucht suchten.
Noch heute lebt Benno Simoni in Berlin. Nachdem er als Lehrer gearbeitet und 2008 pensioniert worden war, war er Mitbegründer zweier progressiver jüdischer Gemeinden. In der Synagogengemeinde „Bet Haskala“ ist er seit 2014 Vorstandsvorsitzender.
Benno Simoni wurde im Rahmen des Projekts „Mutige Entdecker Bleiben“ interviewt. Das Buch, in dem jüdische und muslimische Migrant*innen der Generation nach 1945 zu ihren Erfahrungen des Ankommens in Deutschland befragt werden, entstand im Rahmen des Projekts „Schalom Aleikum. Jüdisch Muslimischer Dialog“ vom Zentralrat der Juden in Deutschland.
Dieser Ausschnitt aus dem Interview mit Benno Simonie wird im We Refugees Archiv mit freundlicher Genehmigung vom Zentralrat der Juden in Deutschland wiedergegeben.
Zuerst erschienen in:
Zentralrat der Juden in Deutschland (Hrg.), 2019: Mutige Entdecker bleiben. Jüdische und Muslimische Senioren im Gespräch. Schalom Aleikum Buchreihe 1. Berlin/Leipzig: Hentrich & Hentrich. S. 41-42.