Exilierte Intellektuelle porträtiert von Fred Stein

Fred Stein (1909-1967) begann nach seiner Flucht aus dem nationalsozialistischen Deutschland nach Paris im Jahr 1933, die Fotografie zum Beruf zu machen. Neben der Straßenfotografie wurde das Porträt zu seinem wichtigsten Sujet. Dabei fotografierte er auch viele deutsche Intellektuelle, die wie er aus dem nationalsozialistischen Deutschland ins Exil geflohen waren und dort ein solidarisches und produktives Netzwerk aufbauten.

Alfred Kantorowicz, 1935, fotografiert von Fred Stein, mit freundlicher Genehmigung von Peter Stein © Fred Stein Archiv

Hannah Arendt, 1944, fotografiert von Fred Stein, mit freundlicher Genehmigung von Peter Stein © Fred Stein Archiv

Bertolt Brecht, 1935, fotografiert von Fred Stein, mit freundlicher Genehmigung von Peter Stein © Fred Stein Archiv

Albert Einstein, 1946, fotografiert von Fred Stein, mit freundlicher Genehmigung von Peter Stein © Fred Stein Archiv

Fred Stein, Selbstporträt, 1941, mit freundlicher Genehmigung von Peter Stein © Fred Stein Archiv

Thomas Mann, 1943 fotografiert von Fred Stein, mit freundlicher Genehmigung von Peter Stein © Fred Stein Archiv

Fred Stein (1909­­­-1967) wurde als Sohn eines Rabbiners in Dresden geboren und schlug dort zunächst eine juristische Karriere ein. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten und dem Erlass, durch den diese bereits im Juni 1933 Jüdinnen*Juden ihre Anwaltszulassung entzogen, wurde die Laufbahn des Rechtsreferendars jedoch abgebrochen. Das politische, antifaschistische und sozialistische Engagement Fred Steins und das Wissen, dass die Gestapo Erkundigungen über ihn einholte, zwangen ihn bereits im Oktober 1933 zur Flucht. Gemeinsam mit seiner Frau Lieselotte (geb. Salzburg, genannt Lilo), die er noch im selben Jahr geheiratet hatte, begab er sich auf eine vorgetäuschte Hochzeitsreise nach Frankreich, von der sie nicht zurückkehrten.

Wie viele andere Geflüchtete versuchte das junge Paar, sich in Paris ein zwischenzeitliches Leben aufzubauen. Fred Stein machte sein vorheriges Hobby, die Fotografie, zum Beruf. Mit der Leica, die sich Lilo und er gegenseitig zur Hochzeit geschenkt hatten, zog er durch Paris. Dabei entwickelte er zwei Hauptsujets: die „Soziologie der Straße“ und „die Psychologie des Porträts“. Fred Stein nahm u.a. das jüdische Viertel Marais, den Glanz und die Armut auf den Pariser Straßen, die Arbeiter*innen, Bettler*innen, Verkäufer*innen und Kinder, die er dort antraf, das Caféleben der Emigrant*innen auf. Zudem fotografierte er Kinder, die vor dem Spanischen Bürgerkrieg nach Frankreich geflohen waren. 1935 porträtierte er Teilnehmende am Internationalen Schriftstellerkongress zur Verteidigung der Kultur in Paris. Auch Hannah Arendt (1906-1975), mit der ihn eine lange Freundschaft verband, porträtierte er über 30 Jahre hinweg.

Neben ihrem Porträt und einem Selbstbildnis Steins enthält diese Auswahl auch Porträts anderer deutscher Intellektueller, die das nationalsozialistische Deutschland verlassen und ins Exil gehen mussten. Einige von ihnen, wie Stein und Arendt, befanden sich (vorerst) in Paris: Alfred Kantorowicz (1899-1979), der sich journalistisch gegen die Nationalsozialisten engagiert hatte, musste wie die Steins und Arendt bereits 1933 Deutschland verlassen und gründete in Paris die „Deutsche Freiheitsbibliothek“, in der alle von den Nationalsozialisten verbotenen und verbrannten Schriften gesammelt werden sollten. Heinrich Mann (1871-1950) wurde Präsident der „Freiheitsbibliothek“. Sein Bruder Thomas Mann (1875-1955), den Fred Stein vermutlich zum ersten Mal in den USA traf, machte Paris zu einer der zentralen Schauplätze in seinem 1939 erschienenen Emigrantenroman Der Vulkan. Albert Einstein (1877-1955), dessen Schriften teilweise auch von den Nationalsozialisten verbrannt worden waren und der ebenfalls sehr früh in die USA emigrierte, half vielen anderen bedrohten Künstlern und Wissenschaftlern, Europa in die Vereinigten Staaten zu verlassen. Bertolt Brecht (1998-1956), der zu den bekannten, von den Nationalsozialisten verfolgten Schriftstellern gehört, kam erst 1941 in die Vereinigten Staaten. Paris war eines seiner früheren Exilziele.

Die solidarische und produktive Vernetzung der im Exil lebenden Intellektuellen fand auch in der Wohnung von Fred und Lilo Stein in Montmartre statt, die zum Treffpunkt vieler Flüchtlinge und gleichzeitig zum „Studio Stein“ mit dem Bad als Dunkelkammer wurde. Lilo arbeitete durch Retuschierungs- und Laborarbeiten und eigene Fotografien mit. Steins Fotografien wurden unter anderem in der für das Pariser Exilleben zentralen Buchhandlung und Galerie de la Pléiade gezeigt. Außerdem veröffentlichte er sie in illustrierten, insbesondere linken Magazinen wie dem „Regards“, in denen Sozialreportagen zu einem wesentlichen Element geworden waren.

Nicht nur durch seine sozialdokumentatorische fotografische Tätigkeit blieb Stein auch in Paris politisch aktiv: Er engagierte sich in der Antifaschistischen Journalistenvereinigung und schrieb unter dem Pseudonym Fritz Berg Artikel für die sozialistische Arbeiterpartei. Ab September 1939 kam Fred Stein wegen seiner deutschen Herkunft in verschiedene Internierungslager. Im Lager Villerbon verwaltete er eine kleine Lagerbibliothek und organisierte mit anderen Inhaftierten gegenseitige Unterrichtskurse, die sie scherzhaft als „la Sorbonne“ betitelten. In den Unruhen nach dem deutschen Einmarsch in Frankreich entkam Fred Stein dem Internierungslager, und es gelang ihm, Lilo und die gemeinsame, 1938 geborene Tochter Marion in Toulouse wiederzufinden. 1941 gelang der Familie Stein mithilfe des von Varian Fry geleiteten Emergency Rescue Committee die Weiterflucht nach New York, wo sie sich dauerhaft niederließen und Fred Stein seine fotografische Tätigkeit fortsetzte. 11Vgl. Stein, Fred / Freer, Dawn (ed.), 2013: Fred Stein. Paris, New York, Berlin: Kehrer.

    Fußnoten

  • 1Vgl. Stein, Fred / Freer, Dawn (ed.), 2013: Fred Stein. Paris, New York, Berlin: Kehrer.

Alle Fotografien von Fred Stein wurden dem We Refugees Archiv mit freundlicher Genehmigung von Peter Stein zur Verfügung gestellt.

© Fred Stein Archive