Nazeeha Saeed über ihren journalistischen Aktivismus und wie sich dieser in Europa veränderte

Nazeeha Saeed, Journalistin aus Bahrain, die seit 2016 in Paris und Berlin im Exil lebt, spricht über ihre journalistische Arbeit und Bahrain und wie sie begann, diese Arbeit in Europa anders fortzusetzen. Insbesondere erzählt sie von ihrem Aktivismus für freien Journalismus in Bahrain, wo Presse- und Meinungsfreiheit stark unterdrückt und kritische Journalist*innen staatlich verfolgt werden.

Nazeeha Saeed © privates Foto

When I left, I was – psychologically – not able to work for a few months. I was looking for a place to stay and food and things like this, you know, I just tried to live. But then, because I have a large network in Europe of media that I worked for for very long years, they started to write me mails, like: Can you write this article for us? So I said to myself: Maybe I should just go back to work instead of just sitting upset. So I started working again doing more analytic, deep articles about the region where I come from, Bahrain, but also subjects that apply to all the Gulf. When you are outside you start to have that distanced overviewing point of view. This is where I came to. When I was inside, I was doing very intensive journalistic work, like breaking news, reports … all of this. I was the correspondent for French radio and TV channels, but I also wrote for different newspapers in the Arab world and international.

Here, I also noticed that people don’t really know a lot about Bahrain and the Gulf. So I thought maybe it’s my turn to let them know more about it. So I started to write for French platforms in English and they were translating it. So sometimes I write about country-specific subjects but sometimes also about general topics of the Gulf, like the situation of migrant workers, women … I care about politics and human rights, especially gender and women rights.

I also started being an activist for freedom of press. This I started in 2011 when I was arrested. During the arrestment [sic], the interrogations and even the torture I realized that all the anger that they have and the punishment that I get is for my voice, for the opportunity that I have in my hand by being a journalist. The minute I left, I was like: I will not be silent! These people want to silence me and that will not happen. I started to be aware of my voice and the opportunity that I have: my pen, my computer … to voice what’s going on. And also to defend my colleagues because I see the fear getting into them because what happened to me or what happened to them. Like: „No, I not gonna write about this, because I am scared.“ So I say: „No! Don’t let them do this to you!“ Or I would go attacking the authorities because they were attacking and silencing my colleagues. […] If somebody got arrested from my colleagues I would leave the house, go to the police, ask where he is, writing tweets about it, reporting about it. I made a lot of trouble and sometimes it worked and they just let somebody out, but sometimes of course not. We have journalists who are still in prisons since 2011, 2012 and we are still talking about them, but you know, the world is so crazy that these got forgotten sometimes. Not for me! They are in my heart and I will always work for them to become free.

Als ich das Land verließ, war ich – psychologisch – für ein paar Monate nicht fähig zu arbeiten. Ich suchte nach einer Bleibe und Essen und diesen Dingen, du weißt, ich habe einfach versucht zu leben. Aber dann, weil ich ein großes europäisches Netzwerk von Medien habe, mit denen ich gearbeitet habe, fingen sie an, mir Mails zu schreibe, wie: „Kannst du diesen Artikel für uns schreiben?“ Also sagte ich mir: Vielleicht sollte ich einfach wieder arbeiten, statt hier traurig rumzusitzen. Also fing ich wieder an zu arbeiten und schrieb analytischere und tiefgehendere Artikel über die Region, aus der ich komme, Bahrain, und auch über Themen, die die gesamte Golfregion betreffen. Wenn du außerhalb bist, fängst du an, die Sachen aus einer distanzierten, überblickenden Perspektive zu betrachten. Dahin bin ich gekommen. Als ich drinnen war, habe ich intensive journalistische Arbeit betrieben, Reportagen, Eilmeldungen usw. Ich war Korrespondentin für französische Radio- und Fernsehsender, aber ich schrieb auch für verschiedene Zeitungen in der arabischen Welt und international.

Hier habe ich auch mitbekommen, dass Menschen nicht sehr viel über Bahrain und den Golf wissen. Also dachte ich, dass es vielleicht an mir ist, sie mehr darüber wissen zu lassen. So habe ich angefangen, für französische Plattformen auf Englisch zu schreiben und sie haben es übersetzt. Manchmal schreibe ich über länderspezifische Themen, manchmal auch über generelle Themen der Golfregion, wie die Situation von Gastarbeiter*innen, Frauen … Mir sind Politik und Menschenrechte wichtig, insbesondere Gender- und Frauenrechte.

Ich fing auch mit Aktivismus für Pressefreiheit an. Das begann schon 2011, als ich festgenommen wurde. Während der Festnahme, der Verhöre und sogar der Folter habe ich verstanden, dass all die Wut, die sie haben und die Strafe, die ich bekomme, meiner Stimme gilt, für die Möglichkeiten, die ich als Journalistin habe. In dem Moment, in dem ich rauskam, war mir klar: Ich werde nicht still sein! Diese Menschen wollen mich mundtot machen und das wird nicht passieren. Ich begann, mir meiner Stimme bewusst zu werden und der Möglichkeiten, die mir zu Verfügung standen: Mein Stift, mein Computer … um dem, was geschah, eine Stimme zu verleihen. Und auch, um meine Kolleg*innen zu verteidigen, weil ich sah, wie die Angst sie ergriff wegen der Dinge, die mir geschehen waren und die auch ihnen geschehen waren. Zum Beispiel: „Nein, ich werde darüber nicht schreiben, weil ich Angst habe.“ Also sagte ich: „Nein! Lass sie das nicht mit dir machen!“ Oder ich ging und stellte die Behörden, weil sie meine Kolleg*innen attackierten und mundtot machten. […] Wenn jemand von meinen Kolleg*innen festgenommen wurde, ging ich aus dem Haus und hin zur Polizei und fragte, wo er ist, schrieb Tweets darüber, berichtete davon. Ich habe viel Stress gemacht und manchmal hat es geholfen und sie haben jemanden einfach entlassen, aber manchmal natürlich nicht. Wir haben Journalist*innen, die immer noch im Gefängnis sind seit 2011, 2012. Und wir sprechen immer noch über sie, aber du weißt, die Welt spielt so verrückt, dass sie manchmal vergessen werden. Aber nicht von mir! Sie sind in meinem Herzen und ich werde immer dafür arbeiten, dass sie freikommen.

Nazeeha Saeed arbeitete über 20 Jahre als Journalistin in Bahrain für internationale und lokale Medien. Ab 2011 war sie wegen ihrer journalistischen Arbeit, vor allem zu menschenrechtlichen Themen, staatlichen Repressionen ausgesetzt. Wegen ihrer kritischen Berichterstattungen über die Demokratieprotestbewegung, die in Bahrain im Zuge des „Arabischen Frühlings“ entstand, wurde sie festgenommen und gefoltert. Trotzdem blieb sie noch bis 2016 im Land und engagierte sich für Meinungs- und Pressefreiheit. 2016 wurde ihr die journalistische Lizenz entzogen und ein Reiseverbot auferlegt. Weil sie angeblich trotz entzogener Lizenz weiterhin journalistisch arbeitete, wurde sie verklagt. Sobald das Reiseverbot kurzfristig aufgehoben wurde, verließ Nazeeha Saeed das Land aus Angst vor einer weiteren Festnahme. Sie kam zunächst nach Paris, um dort mit ihren vorherigen Auftraggebern weiterzuarbeiten. Internationale Organisationen für freie Pressearbeit unterstützten sie beim Neuanfang in Europa und es gelang ihr, auch ohne Asylverfahren ein Aufenthaltsrecht zu erhalten. Seit Herbst 2019 lebt sie in Berlin.

In Europa setzt Nazeeha ihre journalistische Arbeit fort. Sie schreibt weiterhin über die Situation in Bahrain und der Golfregion, vor allem über menschenrechtliche Themen wie die Lage von Gastarbeiter*innen, Frauen und LSBTIQ*-Personen. Zudem veröffentlicht sie Artikel über die Situation in Europa, vor allem über das Exilleben in Paris und Berlin. Nazeeha Saeed setzt sich für freien Journalismus ein und gibt unter anderem Empowerment- und Strategieworkshops für Journalist*innen, die in politischen Konfliktgebieten arbeiten. So ist sie zum Gesicht für die Presse- und Meinungsfreiheitsverletzungen in Bahrain geworden, das im Pressefreiheitsindex von Reporter ohne Grenzen auf Platz 169 von 180 rangiert.

In dem Interview, das Nazeeha dem We Refugees Archiv im Juli 2020 gab, spricht sie unter anderem darüber, wie sich ihre journalistische Tätigkeit in Europa veränderte. Sie macht auch immer wieder auf die staatliche Verfolgung kritischer Journalist*innen in Bahrain aufmerksam, für deren Freilassung sie sich weiterhin einsetzt.

Interview des We Refugees Archivs mit Nazeeha Saeed, 15. Juli 2020.

Übersetzung vom Englischen ins Deutsche © We Refugees Archiv.