Hilde Marx: Bänkellied einer Nurse

Hilde Marx (1911-1986) war eine deutsch-amerikanische Lyrikerin, Schriftstellerin und Journalistin. Sie gehört zu den Autor:innen, deren schriftstellerische Karriere erst ganz am Anfang stand, als die Nationalsozialisten 1933 in Deutschland an die Macht kamen, und durch sie gleich verhindert wurde. Als ihr die Gestapo 1937 eine Haftstrafe im KZ androhte, floh sie nach Tschechien, und von dort aus gelang es ihr ein Jahr später, in die USA auszureisen. Im November 1938 traf sie in New York ein. In ihrem Gedicht „Bänkellied einer Nurse“ schildert sie, wie schwer es ist, neben der kraftsaugenden Arbeit zur Sicherung des Lebensunterhalts ein sinnstiftendes und in ihrem Fall literarisch produktives Leben zu führen.

Bänkellied einer Nurse

Ich kaufe meine Freiheit ein

bei einem alten Mann.

Ich habe täglich da zu sein

von 9 – 9. Und dann

geh ich nach Hause und bin frei.

Kann machen, was ich will –

Da sind die Beine schwer wie Blei.

Gedanken schweigen still.

Ich bin so müd. Im Portemonnaie

sind ein paar Dollars mehr.

Was nützt mir das? Wohin ich geh,

geh ich nur ungefähr.

In langen Stunden schleicht der Tag.

Ich grüble viel zu viel.

Mit jedem neuen Glockenschlag

rückt ferner Sinn und Ziel.

Die Freiheit, die ein Dollar schafft,

ist teuer und nicht gut.

Des Tages Stumpfsinn saugt die Kraft

mir aus dem heissen Blut.

Weich sind die Nächte, süss und kühl.

Ich lieg in dumpfem Traum.

Ganz sacht verschwimmt ein Glücksgefühl

von Freiheit weit im Raum.

Der Morgen treibt mich hastig auf.

Der Bus ist übervoll.

Der Alte wartet schon darauf,

dass ich ihn pflegen soll.

Ich wende meine Blicke ab

und stecke Dollars ein.

Wofür ich meine Tage gab:

Soll das die Freiheit sein?

Oft denke ich: Ich fasse Mut

und werfe alles hin.

Der Wiesen Duft ist stark und gut,

auch wenn ich hungrig bin –

Doch ich bin feig und nehm das Geld

bei einem alten Mann

–        Sehr weit, sehr weit von meiner Welt –

und lächle ihn noch an.

Hilde Marx (1911-1968) war eine deutsch-amerikanische Lyrikerin, Schriftstellerin und Journalistin. Sie gehört  zu den Autor:innen, deren schriftstellerische Karriere erst ganz am Anfang stand, als die Nationalsozialisten 1933 in Deutschland an die Macht kamen, und durch sie gleich verhindert wurde. Betroffen vom Antisemitismus war sie als Jüdin jedoch bereits vorher. Sie erlebte schon am Humanistischen Gymnasium, was es hieß, Jüdin zu sein. Nach ihrem Abitur 1931 begann Hilde Marx in Berlin ihr Studium der Zeitungswissenschaften, Theater- und Kunstgeschichte. Nach fünf Semestern wurde sie jedoch zwangsexmatrikuliert, da Juden:Jüdinnen keine Universitäten mehr besuchen durften. Konnte sie erst noch für Zeitungen bei „Ullstein“, „Mosse“ und dem „Berliner Tageblatt“ veröffentlichen, war dies nach deren „Arisierung“ nicht mehr möglich. Ihr blieben nur noch jüdische Publikationen, wie „Die Monatsblätter des jüdischen Kulturbundes in Deutschland“, „Die Jüdische Revue“, „Das Jüdische Gemeindeblatt“, sowie vor allem die „C.V.-Zeitung“. 11„Central Verein-Zeitung. Blätter für Deutschtum und Judentum. Organ des Central-Vereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens e.V. Allgemeine Zeitung des Judentums.“ Die CV-Zeitung war eine der bedeutendsten jüdischen Wochenzeitungen im deutschen Sprachraum und erschien von 1922 bis zu ihrem Verbot 1938.

Visitenkarte von Hilde Marx für privaten Gymnastikunterricht. Eine der Beschäftigungen, mit denen sie versuchte, sich in New York eine wirtschaftliche Grundlage zu schaffen, solange sie als Schriftstellerin kein Geld verdienen konnte. 1939. Original in: Deutsche Nationalbibliothek. Deutsches Exilarchiv 1939-1945, Frankfurt am Main.

An Emigration dachte sie lange nicht, aber als ihr die Gestapo 1937 eine Haftstrafe im KZ androhte, floh sie nach Tschechien, und von dort aus gelang es ihr ein Jahr später, in die USA auszureisen. Im November 1938 traf sie in New York ein. Sie arbeitete in verschiedenen Jobs, um über die Runden zu kommen: als Altenpflegerin, Verkäuferin, Kindermädchen und Gymnastiklehrerin; versuchte aber neben diesen beanspruchenden Broterwerbstätigkeiten auch, als Schriftstellerin in den USA Fuß zu fassen. Dafür bat sie ab April 1939 auch die American Guild for German Cultural Freedom um Hilfe in Form eines Arbeitsstipendiums und bei der Übersetzung und Veröffentlichung ihrer Werke. In dem Gedicht „Bänkellied einer Nurse“ aus der Zeit, in der sie einen Mann zwölf Stunden am Tag pflegte, schildert sie, wie schwer es ist, neben der kraftsaugenden Arbeit zur Sicherung des Lebensunterhalts ein sinnstiftendes und in ihrem Fall literarisch produktives Leben zu führen.

1943 erhielt Hilde Marx die amerikanische Staatsbürgerschaft. In Amerika trat sie weiter als Vortragskünstlerin auf und zwar mit einer eigenen „One-Woman-Show“, in der sie Ernstes mit Heiterem verband, jüdische mit christlichen Traditionen. 1951 erschien ein letzter Band mit Gedichten von 1938 bis 1951 unter dem Titel „Bericht“, in die ihre Erfahrungen als Exilierte mit eingeflossen sind. Sie wurde Mitglied des Auslands-PEN und war seit den 1960er Jahren Redakteurin des „Aufbau“, 22„Aufbau“: Im Jahr 1934 erschien das erste Heft des „Aufbau. Nachrichtenblatt des German-Jewish Club, Inc., New York“. Anfangs mehr ein Vereins- und Anzeigenorgan, wurde der „Aufbau“ bald zu einem Nachrichtenblatt über den Exil-Alltag der deutschen (nicht nur jüdischen) Emigrant:innen. Das bedeutete Beratung in Rechtsfragen, Erklärung des New Yorker U-Bahn-Systems, Sprachunterricht und Stellenvermittlung, Tipps für den Umgang mit Behörden, usw. Hier schrieben Oskar Maria Graf und Nelly Sachs, Lion Feuchtwanger und Thomas Mann, Mascha Kaléko und viele andere. für den sie vornehmlich Theater- und Filmkritiken schrieb sowie Kurzbiografien jüdischer Emigrant:innen. Daneben war sie auch für andere Zeitungen tätig, wie „This Day aus St. Louis“, „Das Chicago Jewish Forum“, die Staatszeitung und „Herold aus New York“.

    Fußnoten

  • 1„Central Verein-Zeitung. Blätter für Deutschtum und Judentum. Organ des Central-Vereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens e.V. Allgemeine Zeitung des Judentums.“ Die CV-Zeitung war eine der bedeutendsten jüdischen Wochenzeitungen im deutschen Sprachraum und erschien von 1922 bis zu ihrem Verbot 1938.
  • 2„Aufbau“: Im Jahr 1934 erschien das erste Heft des „Aufbau. Nachrichtenblatt des German-Jewish Club, Inc., New York“. Anfangs mehr ein Vereins- und Anzeigenorgan, wurde der „Aufbau“ bald zu einem Nachrichtenblatt über den Exil-Alltag der deutschen (nicht nur jüdischen) Emigrant:innen. Das bedeutete Beratung in Rechtsfragen, Erklärung des New Yorker U-Bahn-Systems, Sprachunterricht und Stellenvermittlung, Tipps für den Umgang mit Behörden, usw. Hier schrieben Oskar Maria Graf und Nelly Sachs, Lion Feuchtwanger und Thomas Mann, Mascha Kaléko und viele andere.

Hilde Marx: Bänkellied einer Nurse (ca. 1939)

Original in:

Deutsche Nationalbiblitohek

Deutsches Exilarchiv 1939-1945, Frankfurt am Main.