Hanna Fuchs: Knigge für Flüchtlinge

Hanna Fuchs Gedicht Knigge für Flüchtlinge, das sie 1945 unter dem Pseudonym Hansi Fuchs in der Schweiz schrieb, setzt sich mit wichtigen Fragen ihrer Identität und Fremdwahrnehmung als Geflüchtete auseinander.

Die einen mustern uns erstaunt,
weil wir nicht immer weinen.
Ein armer Flüchtling – gut gelaunt –
muss ihnen hohl erscheinen.

Die andern aber sind empört,
weil wir nicht immer strahlen,
Uns wurde doch Asyl gewährt,
mit stetem Dank zu zahlen.

Macht Unglück heilig, wünschelos?
Wenn ärgster Druck geschwunden,
ein Schicksal, wär‘ es noch so groß
zeigt man’s zu allen Stunden?

Wir bleiben Menschen, so wie ihr,
die Hunger, Durst empfinden,
Nur müde und verschreckt sind wir,
bevor wir neu uns finden.

Wir können nicht, kläng‘ es auch schön
nur Dankgebete singen,
nicht stets in Sack und Asche gehen
den Alltag zu bezwingen,

da müssen wir alltäglich sein
und das auf Lagerweise.
Mögt ihr uns also auch verzeihen,
wenn wir – zu laut – zu leise –

verkünden was uns noch bewegt,
vergessen wird es nie.
Wo jeder solch ein Schicksal trägt,
fehlt’s oft an Harmonie.

Hanna Fuchs (1907-1991), die dieses Gedicht unter dem Pseudonym Hansi Fuchs verfasste, wurde als Tochter jüdischer Eltern in Mährisch-Ostrau, dem heutigen Ostrava, geboren. Im Jahr 1933, kurz nach der nationalsozialistischen Machtübernahme, floh sie nach Paris. Dort studierte sie Literatur und veröffentlichte 1938 den Gedichtband Chimären: Gedichte in der Deutschen Exilpresse. Nach der deutschen Besetzung Frankreichs im Jahr 1940 gelang ihr die Flucht in die Schweiz, wo sie in verschiedenen Lagern für Geflüchtete interniert war. Im Jahr 1950 emigrierte sie nach Australien, wo sie bis zu ihrem Tod lebte.

Fuchs‘ Gedicht Knigge für Flüchtlinge, das sie 1945 in der Schweiz schrieb, setzt sich mit wichtigen Fragen ihrer Identität und Fremdwahrnehmung als Geflüchtete auseinander. Sie drückt ihren Unmut darüber aus, dass von Geflüchteten stets Dankbarkeit und Demut erwartet werde, obwohl niemand auf seinen Status als Geflüchtete*r reduziert werden könne: „Wir bleiben Menschen, so wie ihr, / die Hunger, Durst empfinden“. Ihre folgenden Zeilen „Mögt ihr uns also auch verzeihen, / wenn wir – zu laut – zu leise – / verkünden was uns noch bewegt, / vergessen wird es nie“ sind ein Ausdruck der Selbstermächtigung, über das Erlebte zu sprechen.

Fuchs, Hansi, 1945: Knigge für Flüchtlinge, in: Über die Grenzen, Februar 1945, Bd. 4, S. 10, veröffentlicht im Deutschen Exilarchiv 1933-1945 der Deutschen Nationalbibliothek, https://portal.dnb.de/bookviewer/view/1026557879#page/1/ (27.02.2020).