Mahdis Flucht nach Berlin

Mit 14 Jahren beschloss Mahdi A., den Iran zu verlassen und nach Europa zu fliehen. Er erzählt, warum er sich entschied zu fliehen, von der Flucht selbst und der Ankunft in Griechenland.

Es gab sehr viele Gründe, warum ich nach Deutschland gekommen bin. Das Wichtigste war, dass Rassismus in Iran oder allgemein gegen einen anderen Menschen aus anderen Nationen im Iran gilt. Das war sehr schwer für uns. Ich als Kind konnte nicht zur Schule gehen – Ich konnte nach Afghanistan abgeschoben werden, obwohl ich im Iran geboren war. […]

Als ich die Entscheidung getroffen habe, war ich glaube ich 12. Seitdem konnte ich nicht mehr zur Schule gehen. Ich sollte irgendwie arbeiten. Wenn ich nicht arbeiten gegangen wäre, hätte ich auch kein Geld verdienen können. Weil wir als Afghanen im Iran für alles bezahlen sollten, für alles – sogar für Personalausweis, und das Essen – alles war doppelt so teuer für uns. Und das war sehr schwierig. Und deswegen habe ich mich entschieden, aus dem Iran rauszukommen, alleine. Ich wollte mit Freunden weggehen, aber die waren schon raus. Meine Eltern wussten schon davon, aber ich habe keine Hilfe von meinem Vater bekommen, weil er sagte, dass es mein Leben ist. Ich könne das selber entscheiden.

Mahdi © privat
Mahdi © privat

Die Flucht

Ich war 14 Jahre alt. Das war Anfang 2016. Der Weg war … damals, als ich rausgegangen bin, hatte ich Mut dazu. Weil ich wusste, dass schon viele Leute rausgegangen sind. Viele andere Menschen haben die gleichen Schwierigkeiten wie ich, deswegen flüchten sie.

Als ich unterwegs war, habe ich viele Menschen gesehen, die in Gruppen gegangen sind. Es gab viele, an den Grenzen zum Beispiel. Nicht nur in Gruppen. Das war wie ein Karneval oder so. Es waren einfach Tausende Menschen unterwegs. Ich bin einfach mit der Gruppe mitgelaufen. Ich hatte keine Kontakte oder so, da konnte man nur zwei Sachen entscheiden: entweder das Leben oder sterben, also irgendwohin abgeschoben werden. […]

Ich bin erst mal mit dem Auto bis an die Grenzen vom Iran und der Türkei gefahren. Und von da bin ich sechs Stunden über die Berge geklettert. Mit einer Gruppe von 20 Leuten. Es gab Berge, deswegen war es gefährlich. Man musste Schmugglern Geld bezahlen, um über die Berge zu kommen. Und dann von der Türkei bis zur Grenze von Griechenland sind wir nochmal mit dem Auto gefahren, mit Schmugglern. Und dann sind wir eine Stunde mit dem Boot von der Türkei nach Griechenland gefahren. Ein Boot, dessen maximale Kapazität 10 Leute ist, mit 50 Leuten. Das war sehr gefährlich, und viele konnten nicht schwimmen. Ich auch nicht damals. Das war sehr gefährlich. Und man musste die Entscheidung treffen: Entweder leben, also weitergehen, oder umkehren und wieder das Scheißleben haben. Und dadurch sind auch viele Leute gestorben. Aber ich habe ein bisschen Glück gehabt.

Mahdi © privat
Mahdi © privat

Ankunft in Griechenland

In Griechenland war ich in einem Heim für Jugendliche. Also ich habe Hilfe bekommen, weil ich schon damals auch Englisch sprechen konnte. Das habe ich extra im Iran gelernt, weil ich wusste, dass ich irgendwann aus dem Iran rauskomme, und dass ich eine neue Sprache lernen muss. Und dann habe ich Englisch gelernt und mit den Leuten aus UNICEF Organisationen gesprochen. Die waren sehr erschrocken, und haben mich gefragt, was ich als Kind hier allein auf der Insel mache.

Dann war ich eine Woche in einem Heim. Das war irgendwie wie ein Knast, aber für uns hieß es, beschützt zu werden vor allen Gefahren. Nach einer Woche durfte ich aus dem Heim raus. Ich wurde vom Arzt durchgecheckt, ob ich irgendwelche Krankheiten habe. Und dann nach sechs Tagen habe ich schon ein Papier bekommen, auch von der Polizei. Da habe ich meinen Namen und Geburtsdatum und so eingetragen, und dann durfte ich schon weiterreisen. Und dann bin ich mit zwei Betreuern auch von UNICEF von dieser Insel bis nach Athen gefahren. Dann war ich alleine. Sie haben gesagt, ich kann in Griechenland bleiben und mich auf einen Aufenthaltsstatus bewerben, aber das habe ich nicht gemacht. Ich wollte einfach nur weiterkommen. Mein Ziel war Schweden. Ich weiß nicht, warum, aber auch, weil ich da viele Freunde und Cousins hatte. Deswegen wollte ich auch dahingehen. Aber es hat nicht geklappt.

In dem Heim auf der Insel waren wir 10 Jugendliche. Dann sind wir alle zusammen rausgekommen und die haben uns in einem Heim in Athen gelassen, gesagt, wir können uns anmelden. Aber das haben wir nicht gemacht, sondern sind weiter nach Mazedonien gegangen. Die einzige Person, die so ein bisschen kommunizieren konnte, war ich. Die anderen Jugendlichen konnten kein Englisch. Sie kamen auch aus dem Iran und aus Afghanistan. Aber ich habe gesagt, dass sie bei mir bleiben können, dass wir eine Gruppe bilden und uns gegenseitig beschützen können.

Mit dem ganzen Papierkram, den wir in Griechenland gemacht haben, kamen wir richtig gut durch. Weil wir schon Dokumente hatten, dass wir gesund und dass wir unter 18 sind. Deswegen haben wir immer Unterstützung bekommen. Dann ging es nach Mazedonien, Kroatien, dann Österreich, ich glaube auch Bosnien – also vier, fünf Länder, durch die wir gefahren sind. Bis nach Deutschland.

Als wir unterwegs waren, haben die Polizisten in jedem Land gesagt, dass wir nicht weiter als Deutschland fahren dürfen. Und ich meinte, das ist okay, Hauptsache, nicht zurück in den Iran. Dann sind wir bis nach Deutschland gekommen, nach München. Ich sollte eigentlich in München bleiben, es war Winter, der Februar 2016. Damals waren viele Leute unterwegs. Ich habe nach der Adresse von einem Heim gesucht, aber eine Person meinte, dass ich das nicht brauche – dass ich nach Berlin gehen soll. Berlin sei besser, Hauptstadt und so … […] Er hat mit mir auf Persisch geredet und mir erzählt, dass er in Berlin wohnt und dass Berlin besser sei. Dann bin ich mit ihm nach Berlin gekommen. Zwei Freunde von mir sind mitgekommen nach Berlin. Mit einem von ihnen habe ich noch Kontakt, wir treffen uns manchmal. Der andere wohnt inzwischen in einer anderen Stadt.

Interview mit Mahdi A. am 15.07.2020 in Berlin

Mahdi A. wurde im Dezember 2001 in Iran geboren, in der Hauptstadt Teheran. Seine Eltern kamen aus Afghanistan, waren aufgrund des Krieges in Afghanistan aber bereits vierzig Jahre zuvor in den Iran geflohen. Mahdis Mutter starb, als er noch ein Kind war. Mahdis Vater befindet sich noch immer in Iran, wo er sich aufgrund der schlechten Wirtschaftslage in einer ständigen Notsituation befindet. Mahdi hat noch zwei kleine Geschwister, die auch in Iran leben.

Seit Ende der 1970er Jahre fliehen viele Afghan*innen aus dem kriegsgeplagten Land ins Nachbarland Iran. Ihre Zahl wird auf mehr als drei Millionen geschätzt, von denen mehr als die Hälft undokumentiert sind. Damit ist Iran nach Pakistan das Land, in dem die meisten afganhischen Geflüchteten Leben. Ihre Lage ist sehr prekär: Sie arbeiten im informellen Sektor, haben keinen fairen Zugang zu einem Asylverfahren und sind immer wieder von willkürlichen Abschiebewellen bedroht. 11Zur Situation afghanischer Geflüchteter in Iran siehe Grawert, Elke: Rückkehr afghanischer Flüchtlinge aus Iran, in: bpb, 2018, https://www.bpb.de/gesellschaft/migration/laenderprofile/277617/rueckkehr-afghanischer-fluechtlinge (26.10.2020). Und: Human Rights Watch: Iran: Afghan Refugees and Migrants Face Abuse, in: Human Rights Watch, 2013, https://www.hrw.org/news/2013/11/20/iran-afghan-refugees-and-migrants-face-abuse (26.10.2020).

Mit zwölf Jahren entschloss sich Mahdi aufgrund der schwierigen politischen Lage im Iran und dem dort präsenten Rassismus gegen Afghan*innen zur Flucht nach Europa. Mit vierzehn Jahren machte er sich auf den Weg dorthin, mit dem Auto und zu Fuß in die Türkei, von dort nach Griechenland und quer durch Europa bis nach Berlin.

Nach seiner Ankunft in Berlin lebte Mahdi über ein Jahr lang in verschiedenen Unterkünften für Geflüchtete, bis er in eine Wohngemeinschaft zog. Mahdi hat den Mittleren Schulabschluss erworben und macht nun sein Fachabitur an einer Schule für Modedesign. Seit 2018 hat er einen Aufenthaltstitel in Deutschland, der noch bis 2021 gültig ist. Dann muss er einen Antrag auf Verlängerung um weitere drei Jahre stellen. Seine Hoffnung ist, bis dahin in Deutschland zu studieren oder eine Ausbildung zu machen, sodass er eine weitere Verlängerung des Aufenthaltstitels und irgendwann eine unbegrenzte Aufenthaltserlaubnis bekommen kann.

In dem Interviewausschnitt erzählt Mahdi, warum er den Iran mit vierzen Jahren verließ. Er berichtet von seiner gefährlichen Flucht und der Ankunft in Griechenland und dem weiteren Weg durch Europa, bis er in Berlin ankam.

    Fußnoten

  • 1Zur Situation afghanischer Geflüchteter in Iran siehe Grawert, Elke: Rückkehr afghanischer Flüchtlinge aus Iran, in: bpb, 2018, https://www.bpb.de/gesellschaft/migration/laenderprofile/277617/rueckkehr-afghanischer-fluechtlinge (26.10.2020). Und: Human Rights Watch: Iran: Afghan Refugees and Migrants Face Abuse, in: Human Rights Watch, 2013, https://www.hrw.org/news/2013/11/20/iran-afghan-refugees-and-migrants-face-abuse (26.10.2020).

Das Interview mit Mahdi A. wurde am 15.07.2020 vom We Refugees Archive in Berlin durchgeführt.