Das Wasser
Gedicht über das Meer als Fluchtort von Jehan Bseiso.
Author: A migratory girl
In a camp with 14,000 refugees coming from different places of earth living under inhuman conditions one piled upon the other, the authorities can do very little to protect us. In fact, the miserable conditions they force us to live in, the inhuman laws and rules they subject us to create a small world of violence – a form of systematic violence against all of us.
If you live this violence day by day, you become part of it. In the end we humans, who are currently refugees in your Europe, must defend ourselves, our tents and our families against a generalised violence from above, but also from all sides. This violence can come from any side now.
If you live under conditions not worth for animals, violent conditions, then you can become violent any time yourself even if you share the same pain.
I feel powerless against this violence. I feel it crawling in our veins. I don’t want to become a part of this. I feel shame, when I see anger growing between people who suffer the same pain and shame when I feel anger rising inside me.
Instead of establishing friendly relations between each other as oppressed people that face the same discrimination, we become part of the reasons of fear. We escaped war, but it seems we are in war again. There is no way out. This is the war to survive the jungle called Europe.
It is so painful to witness women and children unable to sleep, afraid of violence. Their men must stay awake to guard in front of the tents, to protect their families all night. A piece of nylon, a zipper separates them from any intruder.
Today when, more than ever before, we need each other, we are afraid of each other. We don’t know from which side we could be attacked. We don’t know who is a friend. We have lost trust in life and people because there is no system to protect us and to make us feel like humans among humans.
Today instead of curing our wounds hand in hand, we put salt on each other’s wounds. We are trapped in a desert where no one will help us and no one will ask about our whereabouts.
I am responsible of myself. Within this violence, I have to do the first step to not become part of this. I have to criticise me first and start the change from inside myself, as no help will ever come from outside. We have to start from ourselves, from our families, our communities, to stop the violence and to raise up against this system.
I don’t want to brake. I don’t want to feel shame for my actions. I will stand firm against you violence and answer it with raised head and open fists. We crossed thousands of kilometres to find a life in safety, but it seems that there is no security here for us.
I stopped believing that we will find a place in peace. We have to find peace inside us and withstand the war going on outside. When violence erupts in Moria, when the police beat us, when people riot or even fight, we cannot count for protection by anyone. We have to find the solution to beat the monster.
Can you imagine yourself living in these conditions, having survived war, facing daily violence… Could you control yourself, stay calm and start peace if after all your fate was unclear for months and years while trapped in Moria?
Living under such anxiety and insecurity, we people are under permanent shock; we experience panic and trauma daily. We inflict injuries to ourselves and others. There are even kids hurting themselves and trying to commit suicide.
Clubs, tear-gas, wooden sticks, stones and knives… Fists and kicks….
Our shields of protection are naked hands and our dignity. All our wealth is our blankets and our few warm clothes. Fear of losing even these keeps us near our tent 24 hours a day. But even if we decided to move away, where could we go? During the day, the knowledge that darkness is always near and fear of violence shakes our body.
Wolves hunt in the darkness of night and the shepherds look after their flock. But here the wolves are the shepards, the shepards are the sheep and sheep turn into wolves.
No sleep. No dreams.
How long are we going to search for safety by holding guns in our hands? These hands, which long for a pen not a gun!
Parwana
Autorin: Ein junge Migrantin
In einem Camp mit 14.000 Geflüchteten aus verschiedenen Orten der Erde, die dicht gedrängt unter unmenschlichen Bedingungen leben, können die Behörden wenig tun, um uns zu schützen. Tatsächlich ist es so, dass die furchtbaren Bedingungen, unter denen sie uns zwingen zu leben, die unmenschlichen Gesetze und Regeln, denen sie uns unterwerfen, eine kleine Welt der Gewalt schaffen – eine Form der systematischen Gewalt gegen jede*n von uns.
Wenn du diese Gewalt Tag für Tag erlebst, wirst du Teil von ihr. Am Ende müssen wir Menschen, die derzeit Geflüchtete in Europa sind, uns, unsere Zelte und unsere Familien gegen die verallgemeinernde Gewalt von oben, aber auch von allen Seiten, verteidigen. Diese Gewalt kann jetzt von überall herkommen.
Wenn du unter Bedingungen lebst, die nicht einmal für Tiere würdig sind, gewaltvollen Bedingungen, dann kannst du jederzeit selbst gewalttätig werden, selbst wenn du denselben Schmerz teilst.
Ich fühle mich machtlos gegen diese Gewalt. Ich fühle sie in unseren Venen pochen. Ich möchte kein Teil davon werden. Ich schäme mich, wenn ich Wut zwischen Menschen wachsen sehe, die denselben Schmerz leiden, und ich fühle Scham, wenn ich Wut in mir selbst wachsen spüre.
Anstatt freundliche Beziehungen zwischen uns als unterdrückte Menschen zu schaffen, die dieselbe Diskriminierung erfahren, werden wir Teil der Gründe sich zu fürchten. Wir sind Krieg entkommen, aber es scheint, dass wir wieder im Krieg sind. Es gibt keinen Ausweg. Das ist der Krieg, um den Dschungel namens Europa zu überleben.
Es schmerzt so sehr, Frauen und Kinder zu erleben, die nicht schlafen können aus Angst vor Gewalt. Ihre Männer müssen vor den Zelten wachen, um ihre Familien die ganze Nacht über zu beschützen. Ein Stück Nylon, ein Reißverschluss trennen sie von einem Eindringling.
Heute, da wir uns mehr denn je brauchen, haben wir Angst voreinander. Wir wissen nicht, von welcher Seite wir angegriffen werden könnten. Wir wissen nicht, wer ein Freund ist. Wir haben unser Vertrauen in das Leben und die Menschen verloren, weil es kein System gibt, das uns beschützt und uns das Gefühl gibt, Menschen unter Menschen zu sein.
Heute, anstatt unsere Wunden Hand in Hand zu heilen, streuen wir einander Salz auf die Wunden. Wir sind gefangen in einer Wüste, in der niemand uns helfen wird und niemand nach unserem Aufenthaltsort fragen wird.
Ich bin verantwortlich für mich selbst. Innerhalb dieser Gewalt muss ich den ersten Schritt tun, um nicht Teil von ihr zu werden. Ich muss zuerst mich kritisieren und den Wandel von in mir heraus beginnen, da keine Hilfe je von außen kommen wird. Wir müssen bei uns anfangen, unseren Familien, unseren Gemeinschaften, um die Gewalt anzuhalten und uns gegen das System zu erheben.
Ich möchte nicht zerbrechen. Ich möchte mich nicht für meine Taten schämen. Ich werde fest gegen eure Gewalt stehen und sie mit erhobenem Kopf und geöffneten Fäusten beantworten. Wir haben tausende von Kilometern zurückgelegt, um ein Leben in Sicherheit zu finden, aber es sieht so aus, als gäbe es hier keine Sicherheit für uns.
Ich habe aufgehört zu glauben, dass wir einen friedlichen Ort finden werden. Wir müssen Frieden in uns finden und dem Krieg da draußen standhalten. Wenn Gewalt in Moria ausbricht, wenn die Polizei uns schlägt, wenn Menschen randalieren oder sogar kämpfen, können wir nicht auf Schutz von irgendwem zählen. Wir müssen die Lösung finden, um das Monster zu schlagen.
Kannst du dir vorstellen, unter solchen Bedingungen zu leben, Krieg überlebt zu haben, tägliche Gewalt zu erleben … Könntest du dich selbst kontrollieren, ruhig bleiben und Frieden beginnen, wenn dein Schicksal doch für Monate und Jahre unklar ist, während du in Moria gefangen bist?
Unter solcher Angst und Unsicherheit lebend, sind wir Menschen unter permanentem Schock, wir erleben täglich Panik und Trauma. Wir fügen uns selbst und anderen Verletzungen zu. Es gibt sogar Kinder, die sich selbst verletzen und versuchen, Selbstmord zu begehen.
Knüppel, Tränengas, Holzschläger, Steine und Messer … Fäuste und Tritte …
Unsere Schutzschilder sind bloße Hände und unsere Würde. All unser Hab und Gute sind unsere Decken und ein paar warme Sachen. Die Angst, selbst diese zu verlieren, hält uns 24 Stunden am Tag in der Nähe unserer Zelte. Aber selbst wenn wir entscheiden würden wegzugehen, wohin sollten wir gehen? Am Tag lässt das Wissen, das Dunkelheit immer nah ist, und die Angst vor Gewalt uns zittern.
Wölfe jagen bei Nacht und Schäfer bewachen ihre Herde. Aber hier sind die Wölfe die Schäfer, die Schäfer sind die Schafe und die Schafe verwandeln sich in Wolfe.
Kein Schlaf. Keine Träume.
Wie lange werden wir nach Sicherheit suchen, indem wir eine Waffe in Händen halten? Diese Hände, die sich nach einem Stift sehnen, nicht nach einer Waffe!
Parwana
Parwana Amiri kam im September 2019 nach ihrer Flucht aus Afghanistan 16-jährig in Griechenland an und saß mit ihrer Familie monatelang im Camp Moria auf der griechischen Insel Lesbos fest.
Das Camp Moria auf der griechischen Insel Lesbos wurde zum Sinnbild für die verzweifelte Lage vieler Geflüchteter, die auf den griechischen Inseln und an den Grenzen Europas festsitzen. Auf Lesbos kommen viele Geflüchtete an, die von der Türkei aus über das Mittelmeer die EU erreichen. Seit 2015 sollte das Lager als kurzfristiges Registrierungs- und Aufnahmezentrum dienen. Seit dem EU-Türkei-Abkommen 2016 11Für Hintergründe zum EU-Türkei-Abkommen siehe Pro Asyl: EU-Türkei-Abkommen, in: Pro Asyl, https://www.proasyl.de/thema/eu-tuerkei-deal/hintergrund/(02.07.2020). jedoch sitzen viele der Geflüchteten in Moria über Monate und Jahre fest, da das Abkommen festlegt, dass alle, die nach dem 20. März 2016 auf einer griechischen Insel ankommen, nur von der Türkei zurückgenommen werden, wenn sie vorher nicht aufs griechische Festland gebracht wurden. In dem ursprünglich für 3.000 Menschen angelegten Lager lebten im Februar mehr als 18.000 Menschen. 22Zur Überfüllung der Lager auf den griechischen Insel siehe UNHCR: Entschlossenes Handeln nötig, um alarmierende Bedingungen auf den Ägäis-Inseln zu beenden, in: UNHCR Deutschland, 07.02.2020, https://www.unhcr.org/dach/de/39239-griechenland-entschlossenes-handeln-noetig-um-alarmierende-bedingungen-auf-den-aegaeis-inseln-zu-beenden.html (02.07.2020). Seit das Camp Moria im Sommer 2020 durch einen Großbrand zerstört wurde, ist keine langfristige Lösung gefunden worden, um seine Bewohner*innen menschenwürdig unterzubringen und sie durch ein faires Asylverfahren aus der Sackgasse des Lagerlebens zu befreien. Griechenlands Asylsystem ist durch seine europäischen Außengrenzen und die Nähe seiner Inseln zum türkischen Festland durch die Dublin-Regelung völlig überlastet und es fehlt an gesamteuropäischen Lösungen für eine gerechte Verteilung der Geflüchteten, um ihnen menschenwürdige Bedingungen und ein gerechtes Asylverfahren zu gewähren. Statt einen sicheren Ort zu finden und sich ein neues Leben aufbauen zu können, wie sie es sich bei ihrer Flucht erhofft hatten, sitzen sie monate- oder jahrelang ohne Aussicht auf Verbesserung unter den menschenunwürdigen und gefährlichen Bedingungen des Lagers fest: Es fehlt an Bildung, medizinischer Unterstützung, sicherer Unterbringung, Müllentsorgung, Platz und allem, was nötig wäre, um sich von den Traumata in den Herkunftsländern und auf der Flucht zu erholen und sich etwas neues aufzubauen. Camps wie Moria werden somit zu Sackgassen und beinahe Zwischenorten, in denen die Entrechtung geflüchteter Menschen besonders stark ist. Parwana Amiri schreibt dazu: „Wir sind Krieg entkommen, aber es scheint, dass wir wieder im Krieg sind. Es gibt keinen Ausweg. Das ist der Krieg, um den Dschungel namens Europa zu überleben.“
Schockiert von den unmenschlichen Bedingungen in dem Camp begann Parwana Amiri bereits zwei Wochen nach ihrer Ankunft, ihre Briefe aus Moria an die Welt zu schreiben. In den Briefen schildert sie ihren eigenen Alltag im Camp, die Furcht, die Gewalt, den Mangel an allem, die Enge; erzählt von ihrer Flucht und berichtet auch über die Schicksale von Bekannten und Freund*innen. Insbesondere wird durch sie die besonders prekäre Situation von Frauen und sexuellen und geschlechtlichen Minderheiten im Camp sichtbar. Sie appelliert an die europäische Außenwelt, diesen unmenschlichen Bedingungen durch eine offenere Asylpolitik ein Ende zu setzen. Ihre Texte verfasste sie zunächst auf Persisch, bis ihr angeboten wurde, die Briefe auf der Informationswebseite für Geflüchtete und Migrant*innen Infomobile von der NGO Welcome to Europe zu veröffentlichen und auf Englisch zu übersetzen. Im Jahr 2021 erschienen ihre Texte auch als Buch. 33Vgl. Dumont, Julia: Afghan teen writes: ‚Letter to the World from Moria‘, in Infomigrants, 31.01.2020, https://www.infomigrants.net/en/post/22415/afghan-teen-writes-letter-to-the-world-from-moria (02.07.2020). Amiri, Parwana: Meine Worte brechen eure Grenzen Briefe an die Welt aus Moria. Zürich: Essais agités.
Im zehnten Brief aus Moria an die Welt beschreibt Parwana Amiri sehr eindrücklich, wie sich die Angst, der Druck und die Gewalt, die durch die Bedingungen des Lagers und eine abweisende europäische Asylpolitik entstehen, unweigerlich unter den davon betroffenen Menschen fortsetzen, und wie sie versucht, dennoch dagegen anzukommen.
Amiri, Parwana: Letter to the World from Moria (No. 10), in: Infomobile, 10.12.2019, http://infomobile.w2eu.net/2019/12/10/letter-to-the-world-from-moria-10/ (02.07.2020).
Übersetzung ins Deutsche © Minor Kontor.