„Warum sind die Leute so daran interessiert, woher man kommt?“
Nazeeha Saeed, Journalistin aus Bahrain, die seit 2019 in Berlin lebt, spricht darüber, welche Möglichkeiten das neue Zuhause gibt, wie man aus eigener Blase rauskommen kann. Dass die Neuankömmlingen ihre Kultur zeigen und nicht nur Stereotypen, sei auch ihre eigene Aufgabe.
Arrival means actually to start living in the past. Because you get the chance to reflect on what you left. Only in the safe place all the memories start coming back, you can connect the dots. Maybe you realize why you really left. The trauma comes out. Before creating a plan for the future, you need to reflect and find yourself. The new home gives you new chances, new opportunities to meet new people, new job, new everything. […]
Friends in the new country normalize your exile life. Having friends from all over the world is enriching, you get to know new dishes, new customs and stories. This helps you to get out of your bubble. You create your new friends and family in the new home, you keep in touch with the ones at home, but you need to move on with your life, to have the sense of the new place, also to feel home, and to be more stable.[…]
Exile teaches you things that you were not expecting or knowing, it put you in situations you never thought about before. After the experience of exile, the lonely nights, the hopeless cries and the heavy cold of Europe you become someone else, stronger sometimes, more fragile some other times, you learn to fight, and to take responsibility of yourself.[…]
The media should educate about the countries people flee from. They often only show one side (e.g. as a war zone) and reproduce stereotypes. Instead they should show the county’s culture, music, civilizations etc. It’s also somehow our task, to show where we came from, who we are and what culture we brought with us. [I experienced] a shaming of identity. People judged me for speaking my language at home with my children. But it’s their mother tongue![…]
Do we have the choice of coming back? Can we go back? Is it safe to go back? We left without a choice and we don’t have the choice to come back now. After years in exile, if things change, maybe the exiled person wants to go back but it will not be easy. Sometimes refugees find themselves in a camp together with those people they fled from in the first place. They experience the exact same threats that they fled from. Refugees are lumped together instead of looking at their individual reasons why they fled. […]
I faced racism in the integration course so in a way it was really an insight into the German society and what to expect. There were many stereotypes on the teacher’s side. [….]
After “What’s your name?” the second question is always: “Where are you from?”. It’s irritating: why are people so interested in where you’re coming from? The question can open a dialogue but very often it aims at putting someone in a box. People are more comfortable to categorize others, instead of seeing them as individual human beings. What I do could be much more relevant to who I am than where I’m from – because that’s not a choice. People expect you to have a plan right away. But you have just arrived in a new place, you’re safe and you have no plan (for the future). Sometimes the goal is just to be safe. Arrival can also mean having no plan.
Ankommen bedeutet eigentlich, dass man anfängt, in der Vergangenheit zu leben. Weil man die Chance bekommt, über das nachzudenken, was man verlassen hat. Nur an einem sicheren Ort kommen alle Erinnerungen zurück, man beginnt zu verstehen. Vielleicht erkennt man erst, warum man wirklich gegangen sind. Das Trauma kommt zum Vorschein. Bevor man einen Plan für die Zukunft erstellt, muss man reflektieren und sich selbst finden. Das neue Zuhause gibt dir neue Chancen, neue Möglichkeiten, Menschen kennenzulernen, einen neuen Job, alles ist neu. […]
Freunde im neuen Land normalisieren das Leben im Exil. Freunde aus der ganzen Welt zu haben, ist bereichernd, man lernt neue Gerichte, neue Bräuche und Geschichten kennen. Das hilft einem, aus der eigenen Blase herauszukommen. Man schafft sich in der neuen Heimat neue Freunde und eine neue Familie, man bleibt in Kontakt mit jenen zu Hause, aber man muss mit seinem Leben weitermachen, um dem neuen Ort Sinn zu geben, auch um sich zu Hause zu fühlen, und Stabilität zu haben. […]
Das Exil lehrt dich Dinge, die du nicht erwartet oder gewusst hast, es bringt dich in Situationen, über die du vorher nie nachgedacht hast. Nach der Erfahrung des Exils, den einsamen Nächten, den hoffnungslosen Tränen und der harten Kälte Europas wirst du jemand anderes, manchmal stärker, ein anderes Mal zerbrechlicher, du lernst zu kämpfen und Verantwortung für dich selbst zu übernehmen.[…]
Die Medien sollten über die Länder, aus denen Menschen fliehen, informieren. Sie zeigen oft nur eine Seite (z.B. als Kriegsgebiet) und reproduzieren Stereotypen. Stattdessen sollten sie die Kultur des Landes, die Musik, die Zivilisationen usw. zeigen. Es ist aber auch unsere Aufgabe, zu zeigen, woher wir kommen, wer wir sind und welche Kultur wir mitgebracht haben. Ich erlebte, dass ich mich für meine Identität schämen sollte. Man verurteilte mich dafür, dass ich mit meinen Kindern in meiner Sprache redete. Aber es ist doch ihre Muttersprache! […]
Haben wir überhaupt die Möglichkeit, zurückzukehren? Können wir zurückgehen? Ist es sicher, zurückzugehen? Wir sind gegangen, ohne eine Wahl zu haben, und wir haben jetzt nicht die Wahl zurückzugehen. Nach Jahren im Exil, wenn sich die Dinge ändern, möchte die/der Exilierte vielleicht zurückkehren, aber es wird nicht einfach sein. Manchmal finden sich Flüchtlinge in einem Lager wieder, zusammen mit genau den Menschen, vor denen sie ursprünglich geflohen sind. Sie erleben genau die gleichen Bedrohungen, vor denen sie geflohen sind. Flüchtlinge werden in einen Topf geworfen, anstatt ihre individuellen Fluchtgründe zu betrachten.[…]
Ich erlebte Rassismus im Integrationskurs, also war es in gewisser Weise wirklich ein Einblick in die deutsche Gesellschaft und was mich erwartet. Es gab viele Stereotypen von Seiten der Lehrer*innen. […]
Nach „Wie heißt du?“ ist die zweite Frage immer: „Woher kommst du?“. Das ist irritierend: Warum sind die Leute so daran interessiert, woher man kommt? Die Frage kann einen Dialog eröffnen, aber sehr oft zielt sie darauf ab, jemanden in eine Schublade zu stecken. Es ist bequemer, andere zu kategorisieren, anstatt sie als individuelle Menschen zu sehen. Was ich tue, könnte viel mehr damit zu tun haben, wer ich bin, als woher ich komme – denn das kann man sich nicht aussuchen. Die Leute erwarten von Ihnen [Geflüchteten], dass Sie sofort einen Plan haben. Aber Sie sind gerade an einem neuen Ort angekommen, Sie sind in Sicherheit und haben keinen Plan (für die Zukunft). Manchmal ist das Ziel einfach, sicher zu sein. Ankommen kann auch bedeuten, keinen Plan zu haben.
Nazeeha Saeed arbeitete über 20 Jahre als Journalistin in Bahrain für internationale und lokale Medien. Ab 2011 war sie wegen ihrer journalistischen Arbeit, vor allem zu menschenrechtlichen Themen, staatlichen Repressionen ausgesetzt. Wegen ihrer kritischen Berichterstattungen über die Demokratieprotestbewegung, die in Bahrain im Zuge des „Arabischen Frühlings“ entstand, wurde sie festgenommen und gefoltert. Trotzdem blieb sie noch bis 2016 im Land und engagierte sich für Meinungs- und Pressefreiheit. 2016 wurde ihr die journalistische Lizenz entzogen und ein Reiseverbot auferlegt. Weil sie angeblich trotz entzogener Lizenz weiterhin journalistisch arbeitete, wurde sie angeklagt. Sobald das Reiseverbot kurzfristig aufgehoben wurde, verließ Nazeeha Saeed das Land aus Angst vor einer weiteren Festnahme. Sie kam zunächst nach Paris, um dort mit ihren vorherigen Auftraggebern weiterzuarbeiten. Internationale Organisationen für freie Pressearbeit unterstützten sie beim Neuanfang in Europa und es gelang ihr, auch ohne Asylverfahren ein Aufenthaltsrecht zu erhalten. Seit Herbst 2019 lebt sie in Berlin.
In Europa setzt Nazeeha ihre journalistische Arbeit fort. Sie schreibt weiterhin über die Situation in Bahrain und der Golfregion, vor allem über menschenrechtliche Themen wie die Lage von Gastarbeiter*innen, Frauen und LSBTIQ*-Personen. Zudem veröffentlicht sie Artikel über die Situation in Europa, vor allem über das Exilleben in Paris und Berlin. Nazeeha Saeed setzt sich für freien Journalismus ein und gibt unter anderem Empowerment- und Strategieworkshops für Journalist*innen, die in politischen Konfliktgebieten arbeiten. So ist sie zum Gesicht für die Presse- und Meinungsfreiheitsverletzungen in Bahrain geworden, das im Pressefreiheitsindex von Reporter ohne Grenzen auf Platz 169 von 180 rangiert.
In einem Online-Workshop, den die Stiftung Exilmuseum und das We Refugees Archiv im Januar 2021 organisierten, sprachen Menschen mit Fluchterfahrungen über ihre Erfahrungen im Exil in Berlin und entwickelten gemeinsam ein ABC des Ankommens.