Die lokale Ebene wird immer stärker als neuer Lösungsraum für politische Sackgassen der Nationalstaaten erschlossen. Letztendlich sind es die Kommunen und Städte, auf denen die Verantwortung für die Umsetzung von migrationspolitischen Entscheidungen lastet, die weitestgehend auf nationalstaatlicher und internationaler Ebene getroffen werden. Den Vertreter*innen des local turn aus Wissenschaft, Politik, NGOs und Zivilgesellschaft geht es darum, Städten und Kommunen mehr Spielraum und Kompetenzen im Bereich migrationspolitischer Entscheidungen zu verleihen. Dadurch soll sich das vor Ort vorhandene Netzwerk aus kommunalpolitischen Institutionen, NGOs, Zivilgesellschaft, Geflüchteten und auch wirtschaftlichen und kulturellen Akteur*innen voll entfalten können.
Die Idee, die städtische Ebene zu stärken, ist bereits seit über 15 Jahren Gegenstand von Forschung und europäischer Politik. Viele Städte haben bereits ein starkes Selbstverständnis als Städte der Zuflucht und Aufnahme, werden aber durch die nationalstaatliche Politik sowie strukturelle und finanzielle Lösungen in der Umsetzung ihrer Politik der Aufnahme eingeschränkt. Der local turn erörtert Wege, um bisher klassisch nationale Kompetenzen auf der städtischen und kommunalen Ebene so einzunehmen, dass mehr Partizipation im Sinne einer urban citizenship möglich ist.
„Cities are not only the level at which national policies are concretely worked out, but they show a considerable capacity of elaborating their own original policy approaches even on matters, such as undocumented access to legal status, naturalisation and political participation, which are traditionally of a national competence.“
Das betrifft auch die Frage der Verteilung von Geflüchteten. Statt wie jetzt eine Politik der Zuweisung von oben zu betreiben, auf die weder schutzsuchende Personen noch Aufnahmestädte Einfluss haben, wird nach Wegen gesucht, auf denen Städte und Menschen je nach Interessen und Fähigkeiten zueinanderfinden. Damit soll zum einen das Recht auf Selbstbestimmung und Freizügigkeit der Einzelnen gewährt werden und ihnen größtmögliche Handlungsspielräume am Ankunftsort verleihen, zum anderen aber auch den Kommunen die Chance auf optimale Vorbereitung auf und Einbindung von Migration in die kommunale Entwicklungsplanung gewährt werden:
„At the core of the recommendations is a mechanism which considers both those seeking protection and the receiving municipalities and their preferences, and which involves local support groups. Such a matching process which takes into account the needs and integration requirements of persons seeking protection as well as the receiving municipalities combines long-term integration prospects with regional development strategies. The systematic involvement of support groups would not only enhance the prospects of successful integration and increase the social capital of the refugees, but also strengthen the acceptance of their reception and social cohesion locally.“
Die Kompetenzerweiterung der Kommunen soll aber auch mit mehr finanzieller Unterstützung und weniger bürokratischen Hürden durch die Nationalstaaten und die EU einhergehen. All dies soll dazu führen, Migration und Aufnahme als Prozess der Teilhabe und Chancen und nicht als ‚von oben übergestülpte‘ Last neu zu denken und umzusetzen:
“All of these developments suggest that particularly larger European cities consider themselves less and less to be merely the national governments‘ implementing agencies for integration. Instead they increasingly appear as independently acting participants in migration policy with a comprehensive agenda which also concerns the conditions for entry.“