Nazeeha Saeed über ihr Einleben in Paris und Berlin

Nazeeha Saeed, Journalistin aus Bahrain, die seit 2016 im Pariser und Berliner Exil lebt, spricht darüber, wie sie sich in beiden Städten einlebte und wie sie die Unterschiede zwischen ihnen wahrnimmt.

Nazeeha Saeed © privates Foto

When I was in Paris I was learning the language and of course, through the language you also learn about the culture and literature and so on. I was a very active visitor of all museums and exhibitions in Paris, sometimes even on a daily basis. I was observing all the culture of the country that I’m living in. Because also the plan to move here came later. Because I was trying to fit, I mean, not trying to fit because there also, it is even worse to fit… You know, the French are – I don’t want to generalize because I have really lovely French friends and they are the most adorable, inclusive and respectful people – but of course the society and the police system there is very discriminative. So I was trying to educating myself about the country. And this is also what I’m doing here. This is the advantage of not being in the place where you are born. Because you are trying to learn, even about the small traditions, like bringing bread and salt to the new house. […]

I knew Berlin before I came here. I visited it very often. So it was not totally new for me. Each city has its own vibes. Like Paris with its classic, artistic, fashion, love, romance … in it. And Berlin with all its craziness and hippie-style and late-night dancing. It’s different. […] People continue until 8 in the morning here. So this was for me like: Wow, this city has a different level of energy. […]

The unfortunate is that when I came here, Corona came and I didn’t have a lot of chances to be a normal Berliner. I was busy finding a place to stay and then Corona came and now I’m starting again to discover places. I so far love it here and I have a lot of people here whom I know. That’s nice. And I would say that the Arabic speaking community is active here, not more than Paris. But the Parisian people who came from the MENA region, so Middle East and Nord Africa, they melted into the French culture. So they would do an event for Palestine or Tunisia or Algeria but they would speak in French the whole time. They are totally francophone. That’s also part of the colonial background. Here, they insist on keeping it in Arabic. Maybe because they are new and they are still the first generation. I’m enjoying this. I was participating in this events a lot. […] Here there is this Arabic small thing inside Berlin. This is one thing what makes it special and interesting here for me and I’m looking forward for this to start again so I can join again. […] They are all interesting persons, like artists, activists, musicians, writers … […]

I’m not starting from zero. I have friends here and also connections to ROG, 11The NGO Reporter ohne Grenzen, English: Reporters without Borders Deutsche Welle 22Deutsche Welle is a German public international broadcaster. and to some of these organizations, so if I need something I would give them a call. […] So I know a few people who are now bringing me into their networks. So this is how any new person would do it. […] I always believe that new doors will open somewhere. […]

    Fußnoten

  • 1The NGO Reporter ohne Grenzen, English: Reporters without Borders
  • 2Deutsche Welle is a German public international broadcaster.

Als ich in Paris war, lernte ich die Sprache, und natürlich lernt man durch die Sprache auch etwas über die Kultur und Literatur und so weiter. Ich war eine sehr aktive Besucherin aller Museen und Ausstellungen in Paris, manchmal sogar täglich. Ich beobachtete die gesamte Kultur des Landes, in dem ich lebe. Denn der Plan, hierher zu ziehen, kam auch erst später. Weil ich versucht habe, mich anzupassen, ich meine, ich habe es nicht wirklich versucht, denn dort ist es noch schwieriger mit der Anpassung … Wie du weißt, die Französ*innen sind – ich will nicht verallgemeinern, denn ich habe wirklich tolle französische Freunde, und sie sind die liebenswertesten, integrativsten und respektvollsten Menschen – aber natürlich ist die Gesellschaft und das Polizeisystem dort sehr diskriminierend. Also habe ich versucht, mich über das Land zu informieren. Und genau das tue ich auch hier. Das ist der Vorteil, nicht an dem Ort zu sein, an dem man geboren wurde. Denn man versucht zu lernen, auch über die kleinen Traditionen, wie Brot und Salz in ein neues Haus zu bringen. […]

Ich kannte Berlin, bevor ich hierher kam. Ich habe es sehr oft besucht. Es war also nicht ganz neu für mich. Jede Stadt hat ihre eigenen Vibes. Wie Paris mit seiner Klassik, Kunst, Mode, Liebe, Romantik … Und Berlin mit all seiner Verrücktheit und dem Hippie-Stil und dem Late-Night-Dancing. Es ist anders. […] Hier wird bis 8 Uhr morgens getanzt. Das war also für mich wie: Wow, diese Stadt hat ein anderes Energielevel. […]

Das Pech ist, dass, als ich hierher kam, Corona kam und ich nicht viele Chancen hatte, eine normale Berlinerin zu sein. Ich war damit beschäftigt, eine Unterkunft zu finden, und dann kam Corona, und jetzt fange ich wieder an, Orte zu entdecken. Bis jetzt liebe ich es hier, und ich habe viele Leute hier, die ich kenne. Das ist schön. Und ich würde sagen, dass die arabisch-sprachige Gemeinschaft hier aktiv ist, nicht mehr als in Paris. Aber die Pariser*innen, die aus der MENA-Region, also dem Nahen Osten und Nordafrika, kamen, sind mit der französischen Kultur verschmolzen. Sie machen also schon Veranstaltungen für Palästina oder Tunesien oder Algerien durchführen, aber sie würden die ganze Zeit Französisch sprechen. Sie sind völlig frankophon. Das ist auch Teil des kolonialen Hintergrunds. Hier bestehen sie darauf, es auf Arabisch zu halten. Vielleicht, weil sie neu sind und noch die erste Generation. Das macht mir Spaß. Ich habe sehr viel an diesen Veranstaltungen teilgenommen. […] Hier gibt es diese kleine arabische Welt in Berlin. Das ist eine Sache, die es hier für mich besonders und interessant macht, und ich freue mich darauf, wenn es wieder anfängt, damit ich wieder dabei sein kann. […] Es sind alles interessante Personen, wie Künstler*innen, Aktivist*innen, Musiker*innen, Schriftsteller*innen … […]

Ich fange nicht bei Null an. Ich habe hier Freunde und auch Verbindungen zu ROG, 11Die NGO Reporter ohne Grenzen. Deutsche Welle 22Die Deutsche Welle ist eine deutsche öffentlich-rechtliche internationale Rundfunkanstalt. und zu einigen dieser Organisationen. Wenn ich also etwas brauche, würde ich sie anrufen. […] Ich kenne also ein paar Leute, die mich jetzt in ihre Netzwerke aufnehmen. So würde es jede neue Person machen. […] Ich glaube immer, dass sich irgendwo neue Türen öffnen werden. […]

    Fußnoten

  • 1Die NGO Reporter ohne Grenzen.
  • 2Die Deutsche Welle ist eine deutsche öffentlich-rechtliche internationale Rundfunkanstalt.

Nazeeha Saeed arbeitete über 20 Jahre als Journalistin in Bahrain für internationale und lokale Medien. Ab 2011 war sie wegen ihrer journalistischen Arbeit, vor allem zu menschenrechtlichen Themen, staatlichen Repressionen ausgesetzt. Wegen ihrer kritischen Berichterstattungen über die Demokratieprotestbewegung, die in Bahrain im Zuge des „Arabischen Frühlings“ entstand, wurde sie festgenommen und gefoltert. Trotzdem blieb sie noch bis 2016 im Land und engagierte sich für Meinungs- und Pressefreiheit. 2016 wurde ihr die journalistische Lizenz entzogen und ein Reiseverbot auferlegt. Weil sie angeblich trotz entzogener Lizenz weiterhin journalistisch arbeitete, wurde sie verklagt. Sobald das Reiseverbot kurzfristig aufgehoben wurde, verließ Nazeeha Saeed das Land aus Angst vor einer weiteren Festnahme. Sie kam zunächst nach Paris, um dort mit ihren vorherigen Auftraggebern weiterzuarbeiten. Internationale Organisationen für freie Pressearbeit unterstützten sie beim Neuanfang in Europa und es gelang ihr, auch ohne Asylverfahren ein Aufenthaltsrecht zu erhalten. Seit Herbst 2019 lebt sie in Berlin.

In Europa setzt Nazeeha ihre journalistische Arbeit fort. Sie schreibt weiterhin über die Situation in Bahrain und der Golfregion, vor allem über menschenrechtliche Themen wie die Lage von Gastarbeiter*innen, Frauen und LSBTIQ*-Personen. Zudem veröffentlicht sie Artikel über die Situation in Europa, vor allem über das Exilleben in Paris und Berlin. Nazeeha Saeed setzt sich für freien Journalismus ein und gibt unter anderem Empowerment- und Strategieworkshops für Journalist*innen, die in politischen Konfliktgebieten arbeiten. So ist sie zum Gesicht für die Presse- und Meinungsfreiheitsverletzungen in Bahrain geworden, das im Pressefreiheitsindex von Reporter ohne Grenzen auf Platz 169 von 180 rangiert.

In diesem Interview spricht sie darüber, wie sie versuchte, sich erst in Paris und jetzt in Berlin einzuleben. Während sie es einerseits als Bereicherung sieht, neue Kulturen und Sprachen kennenzulernen, spricht sie andererseits auch das Problem von Anpassungsforderungen in diskriminierenden Gesellschaftsstrukturen an. Zwischen Paris und Berlin sieht sie nur die allgemein benannten Unterschiede in den „Vibes“ der Städte, sondern auch, wie verschieden sich die intellektuellen arabischen Communities organisieren und präsentieren. Die „kleine, arabische Welt“ in Berlin war für sie neben den bereits bestehenden privaten und professionellen Kontakten eine Zugangstür beim Ankommen in Berlin. Die Corona-Pandemie hingegen erschwerte es ihr, in ihren ersten Monaten, „eine richtige Berlinerin zu sein“.

Interview des We Refugees Archivs mit Nazeeha Saeed, 15. Juli 2020.

Übersetzung vom Englischen ins Deutsche © Minor Kontor.