Nazeeha Saeed über die Zuschreibungen „Geflüchtete“, „Asyl“ und „Exil“

Nazeeha Saeed, Journalistin aus Bahrain, die seit 2016 in Paris und Berlin lebt, elaboriert, warum sie sich als „Journalistin im Exil“ bezeichnet und nicht als „Geflüchtete“ oder „Asylsuchende“. Sie kritisiert zugleich den äußeren Zwang, sich diesem Schubladendenken fügen zu müssen. Außerdem berichtet sie von ihren erfolgreichen Bemühungen, auch ohne Asylverfahren das Aufenthaltsrecht in Europa zu erlangen.

Nazeeha Saeed © privates Foto

 

I just put my stuff in the suitcase and I left, coming to Paris because I was working with the French media for 12 years or something. So it seemed logical to go to Paris and start work with them from there, but this was not the case.

So I found myself in a country I don’t know. I visited it as a tourist, as a visitor, but now I’m here. And I don’t know the language, just a few words and sentences. I don’t have a job, I don’t have an income, only some savings that I’m spending. Okay – so am I a refugee now? But the thing is that after a few months I realized that I’m in exile. Because I didn’t choose this.

Yes, I’m living here. I’m trying to find a flat, I’m trying to make my life working here, I’m doing some freelance jobs. But this is not my choice. So, this is what’s called exile.

I’m not a refugee because there is no war pushing me, there is no decision from outside, like they put me in a plane and sent me away – I don’t know. I just didn’t want to compare myself because it’s injustice to compare myself with the people who had to go in boats in the Mediterranean and had to flee. I can’t be as the same. Going to the airport without knowing anything was also scary: Are they going to arrest me there? I hate seeing the police because I had so bad experiences with them. But I cannot compare this to other refugees who live in tents and don’t have any money and left all their life back home. I mean, I could take some of my life with me and I still have family who visit me when they can – just as if I chose it.

Because now I chose it. After a year and a half I said to myself: Okay, I don’t want to go back. I think I want to stay out for I don’t know how many years until something changes back home, and then go back. That doesn’t mean that I don’t care about the country. I’m still connected very much. […] Because I thought, staying here and writing what I want is serving the purpose of being a journalist and the country that I come from. Better than being there and not being able to do anything. […]

People ask me:

– Are you on asylum?

– No, I’m not on asylum.

-Are you a refugee?

– No, I’m not a refugee.

– Are you in exile?

– I don’t know. Maybe. I want to go back, so I don’t think that this is called exile.

So there are boxes that people want you to put in. […] Like everywhere else in life. In every stage of my life I was fighting these boxes that you should fit in: You should be married, you should be the girl who is wearing dresses … So this was just another box that I was challenging: I don’t want to fit in any of these boxes.

The legal part is very challenging. For me it was a special case because I did not have to ask for asylum. For me it worked in another way. As a journalist/writing activist I could find alternatives, like residencies and visas for visitors or journalists. It’s nothing against the people who did this, I respect them and most of them don’t even have the choice – either they do this or they will be sent back home. And this is why I hate borders. I had the choice. I didn’t want to go to the camps and so on. Although all my supporters in Paris, you know, the journalist’s organizations and so on, they advised me to apply for asylum because they knew how dangerous it would be for me to go back. But I didn’t want to do this.

Also packte ich einfach all meine Sachen zusammen und verließ das Land. Ich kam nach Paris, weil ich für ungefähr 12 Jahre für französische Medien gearbeitet hatte. Also schien es sinnvoll, nach Paris zu gehen und dort mit ihnen zu arbeiten, aber das war nicht der Fall.

Also fand ich mich selbst in einem Land wieder, das ich nicht kannte. Ich war als Touristin und Besucherin hergekommen, aber jetzt bin ich hier. Und ich kenne die Sprache nicht, nur ein paar Wörter und Sätze. Ich habe keine Arbeit, kein Einkommen, nur einige Ersparnisse, die ich ausgebe. Ok, also bin ich jetzt eine Geflüchtete? Aber die Sache ist: Nach ein paar Monaten verstand ich, dass ich im Exil bin. Weil ich mir das nicht ausgesucht habe.

Ja, ich lebe hier. Ich versuche, eine Wohnung zu finden, dass mein Leben hier funktioniert, ich mache ein paar Freelancejobs. Aber das ist nicht, was ich mir ausgesucht habe. Also, das nennt man Exil.

Ich bin keine Geflüchtete, weil mich kein Krieg weggezwungen hat, keine Entscheidung von außen, dass sie mich zum Beispiel in ein Flugzeug stecken und wegschicken – ich weiß nicht. Ich wollte mich einfach nicht vergleichen, weil es nicht gerecht ist, mich mit den Menschen zu vergleichen, die in Boote im Mittelmeer steigen und fliehen mussten. Ich kann damit nicht verglichen werden. Zum Flughafen zu gehen, ohne irgendwas zu wissen, war auch beängstigend: Werden sie mich festnehmen. Ich hasse es, die Polizei zu sehen, weil ich so schlechte Erfahrungen mit denen gemacht habe. Aber ich kann das nicht mit anderen Geflüchteten vergleichen, die in Zelten leben, keinerlei Geld haben, ihr ganzes Leben zuhause zurücklassen mussten. Ich meine, ich konnte etwas von meinem Leben mit mir nehmen. Ich habe immer noch meine Familie, die mich besuchen kann, wenn es ihnen möglich ist – als ob ich es gewählt hätte.

Weil es jetzt meine Entscheidung ist. Nach anderthalb Jahren sagte ich zu mir selbst: Okay, ich will nicht zurückgehen. Ich denke, ich will im Ausland bleiben für ich weiß nicht wie viele Jahre, bis sich irgendwas zuhause verändert, und dann zurückkehren. Das heißt nicht, dass mir das Land egal ist. Ich bin immer noch sehr verbunden. […] Weil ich dachte, hier zu bleiben und zu schreiben, was ich will, erfüllt den Sinn, Journalistin zu sein, und dient dem Land, aus dem ich komme. Besser als da zu sein und nicht fähig, irgendwas zu tun. […]

Menschen fragen mich

– Bist Du im Asyl?

– Nein, ich bin nicht im Asyl.

-Bist du eine Geflüchtete?

– Nein, ich bin keine Geflüchtete.

– Bist du im Exil?

– Ich weiß nicht. Vielleicht. Ich will zurückgehen, also ich denke nicht, dass das Exil genannt wird.

Es gibt Schubladen, in die dich Menschen packen wollen. […] Wie überall sonst im Leben. An jedem Punkt meines Lebens habe ich diese Schubladen bekämpft, in die du passen sollst: Du sollst verheiratet sein, du sollst dieses Mädchen sein, das Kleider trägt … Also war das nur eine weitere Schublade, gegen die ich mich gewehrt habe: Ich will nicht in irgendeine dieser Schubladen passen.

Der legale Teil ist sehr herausfordernd. Für mich war es ein besonderer Fall, weil ich kein Asyl beantragen musste. Für mich hat es auf andere Weise funktioniert. Als Journalistin/schreibende Aktivistin konnte ich Alternativen finden, wie Aufenthaltsgenehmigungen und Visa für Journalist*innen oder Besucher*innen. Das ist nichts gegen die Menschen, die das tun. Ich respektiere sie und die meisten von ihnen haben keine Wahl: Entweder sie machen das oder sie werden zurück nach Hause geschickt. Deshalb hasse ich Grenzen. Ich hatte eine Wahl. Und ich wollte nicht in die Camps gehen und so weiter. Obwohl alle meine Unterstützer*innen in Paris, du weißt, die Journalist*innenorganisationen und so weiter, mir geraten haben, Asyl zu beantragen, weil sie wussten, wie gefährlich es für mich wäre, zurückzugehen. Aber ich wollte das nicht machen.

Nazeeha Saeed arbeitete über 20 Jahre als Journalistin in Bahrain für internationale und lokale Medien. Ab 2011 war sie wegen ihrer journalistischen Arbeit, vor allem zu menschenrechtlichen Themen, staatlichen Repressionen ausgesetzt. Wegen ihrer kritischen Berichterstattungen über die Demokratieprotestbewegung, die in Bahrain im Zuge des „Arabischen Frühlings“ entstand, wurde sie festgenommen und gefoltert. Trotzdem blieb sie noch bis 2016 im Land und engagierte sich für Meinungs- und Pressefreiheit. 2016 wurde ihr die journalistische Lizenz entzogen und ein Reiseverbot auferlegt. Weil sie angeblich trotz entzogener Lizenz weiterhin journalistisch arbeitete, wurde sie verklagt. Sobald das Reiseverbot kurzfristig aufgehoben wurde, verließ Nazeeha Saeed das Land aus Angst vor einer weiteren Festnahme. Sie kam zunächst nach Paris, um dort mit ihren vorherigen Auftraggebern weiterzuarbeiten. Internationale Organisationen für freie Pressearbeit unterstützten sie beim Neuanfang in Europa und es gelang ihr, auch ohne Asylverfahren ein Aufenthaltsrecht zu erhalten. Seit Herbst 2019 lebt sie in Berlin.

In Europa setzt Nazeeha ihre journalistische Arbeit fort. Sie schreibt weiterhin über die Situation in Bahrain und der Golfregion, vor allem über menschenrechtliche Themen wie die Lage von Gastarbeiter*innen, Frauen und LSBTIQ*-Personen. Zudem veröffentlicht sie Artikel über die Situation in Europa, vor allem über das Exilleben in Paris und Berlin. Nazeeha Saeed setzt sich für freien Journalismus ein und gibt unter anderem Empowerment- und Strategieworkshops für Journalist*innen, die in politischen Konfliktgebieten arbeiten. So ist sie zum Gesicht für die Presse- und Meinungsfreiheitsverletzungen in Bahrain geworden, das im Pressefreiheitsindex von Reporter ohne Grenzen auf Platz 169 von 180 rangiert.

Obwohl die persönliche Verfolgungsgeschichte von Nazeeha Saeed durchaus den Voraussetzungen für die Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention und das Recht auf Asyl entsprechen, definiert Nazeeha Saeed sich weder als Geflüchtete noch als im Asyl. Sie begründet das damit, dass sie ihr Schicksal nicht mit dem von Geflüchteten gleichsetzen will, die vor Krieg fliehen, auf gefährlichen Fluchtrouten nach Europa kommen und ohne jeden Besitz hier neu anfangen müssen. Zudem hat sie es geschafft, ohne ein Asylverfahren Aufenthaltsberechtigungen in Europa zu erhalten. Stattdessen beschreibt sie sich als Journalistin im Exil und kritisiert gleichzeitig die Schubladen, in die Menschen sie und andere zu stecken versuchen. Nazeeha Saeed sprach über die eigene Identität als Zwangsmigrantin in einem Interview, das sie im Juli 2020 dem We Refugees Archiv gab. Ihre Reflexionen zeigen die Komplexität der Selbst- und Fremdzuschreibungen „Flüchtling“, „Asyl“, „Exil“, „Zwangsmigrant*in“ usw. über die offiziellen Definitionen hinaus sind.

Interview des We Refugees Archivs mit Nazeeha Saeed, 15. Juli 2020.

Übersetzung vom Englischen ins Deutsche © We Refugees Archiv.