„In welche Gesellschaft soll ich mich denn integrieren?“
Kefah Ali Deeb reflektiert über ihre Ankunft, Integrationserwartungen und ihre Erfahrungen in einer Flüchtlingsunterkunft.
After a few years many people lose some emotional connection to their home country. They start to think more about the present and the future here than the past. But they are not happy. There’s the pain you feel when you cut your relation with your past.[…]
Integration shouldn’t be a one-way effort: Newcomers need to integrate into the host society but the host society also needs to integrate them. If the host society doesn’t accept the newcomers, they have no chance for integration.German people are not integrated with each other very well! How can you expect someone to integrate into the German society when there is not one German society? Which society should I integrate to? Integration projects should be changed. Refugees themselves should work in the integration projects, otherwise it’s always from the German perspective. Sometimes Germans think they know better what’s good for us then we do.[…]
Some media work with refugees to hear different side. It was an interesting experience for me to see Germans readers discuss my column in the comment sections. Media content can create curiosity about a person, a country or at least where it’s on the map. The curiosity can build bridges.[…]
My experiences in the beginning were so bad that there was a psychological barrier to learn German. People were very harsh if you didn’t know the language right away and tried to communicate in English. […]
The situation in German refugee camps was inhumane, not only the sanitary conditions but also how strangers with very different backgrounds are put together in one room. They give out 12 Euro per week which is important for the inhabitants but the way they do it is demeaning. Living in a German refugee camp drove me into a deep depression. I would rather go back to Syria than stay in the camp. In Syria I was in a prison but at least I was there for a cause. Living in the camp felt worse than prison and I was there for no reason.[…]
Integration projects should not only work with the newcomers but also with the host society. One of the main problems is that the host society doesn’t know enough about the newcomers, there is a gap of information. Not knowing the other creates fear because human beings are afraid of what they don’t know. With more information the integration process would be easier and the two sides would come together more easily.
Arriving is to start thinking about the future and less about the past. If we are stuck in our past, we can’t feel we have truly arrived. At the point of arrival, you can find your way into the future.
Nach ein paar Jahren verlieren viele Menschen einen Teil der emotionalen Verbindung zu ihrem Heimatland. Sie beginnen, mehr an die Gegenwart und die Zukunft hier zu denken als an die Vergangenheit. Aber sie sind nicht glücklich. Da ist der Schmerz, den man fühlt, wenn man die Beziehung zu seiner Vergangenheit abbricht.[…]
Integration bedeutet zunächst, das Gesetz und die Gesellschaft, in der man lebt, zu verstehen, zu akzeptieren und zu respektieren. Integration sollte keine Einbahnstraße sein: Die Neuankömmlinge müssen sich in die Aufnahmegesellschaft integrieren, aber die Aufnahmegesellschaft muss sie auch integrieren. Wenn die Aufnahmegesellschaft die Neuankömmlinge nicht akzeptiert, haben sie keine Chance auf Integration. Deutsche Menschen sind untereinander nicht sehr gut integriert! Wie kann man von jemandem erwarten, dass er sich in die deutsche Gesellschaft integriert, wenn es nicht die eine deutsche Gesellschaft gibt? In welche Gesellschaft soll ich mich denn integrieren? Die Integrationsprojekte sollten verändert werden. Es sollten Flüchtlinge selbst dort arbeiten, sonst gibt es immer nur die deutsche Perspektive. Manchmal denken die Deutschen, dass sie besser wissen, was gut für uns ist, als wir selbst.[…]
Einige Medien arbeiten mit Flüchtlingen, um eine andere Seite zu hören. Es war eine interessante Erfahrung für mich, zu sehen, wie deutsche Leser meine Kolumne in den Kommentarbereichen diskutieren. Medieninhalte können Neugierde auf eine Person, ein Land oder zumindest darauf, wo es auf der Landkarte steht, erzeugen. Die Neugierde kann Brücken bauen.[…] Meine Erfahrungen am Anfang waren so schlimm, dass es eine psychologische Sperre gab, Deutsch zu lernen. Die Leute waren sehr schroff, wenn man die Sprache nicht gleich beherrschte und versuchte, sich auf Englisch zu verständigen.[…]
Die Situation in deutschen Flüchtlingslagern war unmenschlich, nicht nur die sanitären Bedingungen, sondern auch, wie Fremde mit sehr unterschiedlichem Hintergrund in einem Raum zusammen gesteckt werden. Man gibt 12 Euro pro Woche aus, was für die Bewohner wichtig ist, aber die Art und Weise, wie sie es tun, ist erniedrigend. Das Leben in einem deutschen Flüchtlingslager hat mich in eine tiefe Depression getrieben. Ich wollte lieber zurück nach Syrien, als in dem Lager zu bleiben. In Syrien war ich in einem Gefängnis, aber wenigstens war ich dort für eine Sache. Das Leben im Lager fühlte sich schlimmer an als das Gefängnis und ich war ohne Grund dort.[…]
Integrationsprojekte sollten nicht nur mit den Neuankömmlingen arbeiten, sondern auch mit der Aufnahmegesellschaft. Eines der Hauptprobleme ist, dass die Aufnahmegesellschaft nicht genug über die Neuankömmlinge weiß, es gibt eine Informationslücke. Den anderen nicht zu kennen, erzeugt Angst, denn Menschen haben Angst vor dem, was sie nicht kennen. Mit mehr Informationen wäre der Integrationsprozess einfacher und die beiden Seiten würden leichter zueinander finden.
Ankommen heißt, an die Zukunft zu denken und weniger an die Vergangenheit. Wenn wir in unserer Vergangenheit feststecken, haben wir nicht das Gefühl, wirklich angekommen zu sein. Am Punkt der Ankunft kann man den Weg in die Zukunft finden.
Kefah Ali Deeb (*1982) ist bildende Künstlerin und Autorin von Kinderbüchern und KInderzeitschriften aus Syrien. Sie floh 2014 nach Berlin und hat über sechs Jahre in der taz-Kolumne „Nachbarn“ über ihre alte Heimat Syrien und ihr neues Zuhause Berlin geschrieben. Sie ist Redakteurin von Handbook Germany, einem Informationsportal von und für geflüchtete Menschen. Zudem publiziert sie in weiteren deutschen Zeitschriften wie Zeit online und 51 °. Als Aktivistin ist Kefah Ali Deeb u.a. Mitglied des National Coordination Committee for Democratic Change in Syrien. Über das Projekt Multaka gibt sie im Berliner Pergamon Museum Führungen.
Im Kolumnenbeitrag „Erklärt mir bitte, was Integration ist“ beschreibt Kefah Ali Deeb ihre Probleme, nach der Ankunft in Deutschland so schnell wie möglich Deutsch zu lernen und gleichzeitig zu arbeiten. Sie kritisiert zudem die gesellschaftlichen Ansprüche an die Integrationsfortschritte geflüchteter Menschen, da diese zum einen intransparent und zum anderen strenger als bei nicht geflüchteten Migrant*innen seien.
In einem Online-Workshop, den die Stiftung Exilmuseum Berlin und das We Refugees Archiv im Januar 2021 organisierten, sprachen Menschen mit Fluchterfahrungen über ihr Exil in Berlin und entwickelten gemeinsam ein ABC des Ankommens.