Fotoserie: Heimat im Wohnheim

İsa Can Artar und Daryna Axxi Degtiarova stellen in der Fotoserie „Heimat im Wohnheim“ die Gegenstände von Geflüchteten dar, die für sie eine besondere Bedeutung haben. Diese Gegenstände dienen als Träger von Erinnerungen, Traditionen und Energie für ihr Leben im Wohnheim.

Foto (1) Elefant (oder Eichhörnchen?) © İsa Can Artar & Daryna Axxi Degtiarova

 

Foto (2) Kryzhma © İsa Can Artar & Daryna Axxi Degtiarova

 

Foto (3) Wurzeln © İsa Can Artar & Daryna Axxi Degtiarova

 

Foto (4) Ring für Denis © İsa Can Artar & Daryna Axxi Degtiarova

Foto (5) Mustafa © İsa Can Artar & Daryna Axxi Degtiarova

Foto (6) Tesbih bzw. Misbaha © İsa Can Artar & Daryna Axxi Degtiarova

Foto (7) Tesbih und Kopfhörer © İsa Can Artar & Daryna Axxi Degtiarova

Foto (8) Bohdan in Wyschywanka guckt auf seine Gitarre und Ukrainische Flagge © İsa Can Artar & Daryna Axxi Degtiarova

Foto (9) Fender Stratocaster, 2006 Japan and Ovation CDX, 1992 Korea&USA © İsa Can Artar & Daryna Axxi Degtiarova

Foto (10) Ring © İsa Can Artar & Daryna Axxi Degtiarova

Foto (11) Alla und ihr Sohn Lem © İsa Can Artar & Daryna Axxi Degtiarova

Foto (12) Gemalt am Flutgraben © İsa Can Artar & Daryna Axxi Degtiarova

Foto (13) Die Jungfrau Maria aus Frankfurt © İsa Can Artar & Daryna Axxi Degtiarova

Foto (14) T-Shirt für Lems Onkel © İsa Can Artar & Daryna Axxi Degtiarova

Heimat im Wohnheim

Wohnheim – gemeinnützige vorläufige Unterkunft. Wohnheime bieten uns verschiedene
Wohnungsbedingungen an, verschiedene Mitbewohner*innen, mit denen wir den Raum
teilen sollen. Einiges gilt für alle: Unser Platz im Wohnheim ist immer vorübergehend.

Leere Räume im Wohnheim haben keine Seele, und unsere Gegenstände füllen sie mit
Leben. Diese Gegenstände dienen als Träger von Erinnerungen, Traditionen und Energie,
deren Bedeutung nur für uns, ihre Besitzer, existiert.

In diesem Projekt besuchen İsa Can Artar und Daryna Axxi Degtiarova zwei Studenten- und zwei Geflüchteten-Wohnheime und fragen ihre Mitbewohnerinnen nach der Bedeutung ihrer Gegenstände in den Wohnräumen.

Axxi, 21 – geboren in Kharkiv, Ukraine. In Berlin seit März 2022

„Als ich ankam, habe ich sofort mit der Vorbereitung auf mein Studium begonnen: 24/7
bürokratische Aufgaben zu erledigen und Deutsch zu lernen hat mir geholfen, mich zu
beruhigen. In Berlin fühle ich mich gut, manchmal sogar zu gut. Zurzeit wohne ich in einem
Studentenwohnheim. Es kommt mir vor, als ob ich nach Glück strebe, aber mich für jede
einzelne Freude schuldig fühle. Zurzeit studiere ich an der Freien Universität, arbeite in
kulturellen Projekten im ‚Cultural Workers Studio‘ und verfolge meine Musikkarriere.“

Elefant (oder Eichhörnchen?)

Foto (1): Elefant (oder Eichhörnchen?) © İsa Can Artar & Daryna Axxi Degtiarova

„Dies ist ein handgemachtes Geschenk zu meinem 21. Geburtstag von einem Freund von mir, Richard Petiffer. Richard ist aus Australien, er setzt sich aktiv für Kulturschaffende aus der Ukraine ein und gehört zu unserem Team im ‚Cultural Workers Studio‘. Wir streiten immer noch, ob das ein Elefant oder ein Eichhörnchen ist.“

Kryzhma

„Kryzhma ist ein Handtuch, auf dem Kinder in der orthodoxen Kirche getauft werden. Meine
Mutter sagte zu mir: Das ist dein Schutz. Du sollst es immer mitnehmen, wenn du umziehst.
Natürlich habe ich das nie gemacht, aber sie hat es dennoch für mich eingepackt.“

Foto (2): Kryzhma © İsa Can Artar & Daryna Axxi Degtiarova

Wurzeln

„Seit meiner Flucht kaufe ich immer wieder neue Pflanzen. Ich mag es nicht, wenn jemand mir gepflückte Blumen bringt; ich ziehe es vor, mich um ihr Leben zu kümmern, anstatt ihren Tod zu beobachten.“

Foto (3): Wurzeln © İsa Can Artar & Daryna Axxi Degtiarova

Ring für Denis

Foto (4): Ring für Denis © İsa Can Artar & Daryna Axxi Degtiarova

„Denis hat am 23. Februar Geburtstag, und da er an diesem Tag nach Isium gefahren ist, wollte er seinen Geburtstag am 25. Februar feiern. Zu diesem Anlass habe ich diesen
Ring gekauft. Am 24. Februar hat sich jedoch unser Leben für immer verändert. Denis geht es gut. Den Ring behalte ich als Erinnerung an alle Pläne, die an diesem Tag unterbrochen wurden.“

 

Mustafa, 18 – geboren in Şanlıurfa, Türkei. In Berlin seit November 2022

Mustafa © İsa Can Artar & Daryna Axxi Degtiarova

„Seit 9 Monaten bin ich in Deutschland. Als ich hier ankam, war ich minderjährig. Damals war
ich in einer Jugendeinrichtung. Die Sozialarbeiter*innen haben sich dort viel um uns gekümmert, mit Papierkram und so. Aber nach 18 Jahren war es anders. Das Leben ist jetzt
schwieriger. Ich wohne mit Erwachsenen in einer Unterkunft. Man schläft dann nebeneinander mit Menschen, die man nicht kennt. Ich will in Deutschland dauerhaft bleiben und eine Arbeit ausüben. Eine Richtung habe ich noch nicht, aber ich möchte, nachdem ich Deutsch gelernt habe, eine Ausbildung finden. Die Türkei ist für mich erledigt.

Ich will nicht in die Türkei, nur wenn ich meine Familie sehen möchte. Wenn ich in der Türkei wäre, hätte ich keine Zukunft. Hier will ich eine Zukunft haben. In der Türkei herrscht eine ökonomische Krise. Ich habe Träume in Deutschland. Ich will nun hier bleiben. Ich bin Kurde und spreche Kurdisch, das ist auch hier besser, als Kurde zu leben. Gerade habe ich einen Asylantrag gestellt. Nach der Entscheidung sehe ich, ob ich hier bleiben darf. Wenn sie mich abschieben würden, zerstören sie das Leben eines jungen Mannes. Ich bin hier allein gekommen, hier leben zwei Onkel von mir. Sie helfen mir sehr. Gerade besuche ich einen Deutschkurs A2. Ich finde den Kurs toll. Ich will mein Deutsch verbessern. Ich traue mir zu, dass ich diese Sprache beherrsche. Ich mag Deutschland. Hier lebt man, wie man will. Niemand mischt sich in das Leben der anderen ein.“

Mustafa brachte aus der Türkei ein Tesbih bzw. Misbaha (Deutsch: Gebetskette).

Tesbih bzw. Misbaha

Auf Deutsch heißt Tesbih Gebetskette, jedoch werden nicht alle Arten zum Beten benutzt.

Foto (5): Tesbih bzw. Misbaha © İsa Can Artar & Daryna Axxi Degtiarova

Tesbih und Kopfhörer

Foto (6): Tesbih und Kopfhörer © İsa Can Artar & Daryna Axxi Degtiarova

 

Bohdan, 23 – geboren in Simferopol, Ukraine. In Berlin seit Oktober 2021

„Aus Simferopol kam ich nach Berlin, sobald ich ein Studentenvisum erhalten habe, im Oktober 2021. Davor habe ich seit 2014 unter russischer Besatzung in Crimea gewohnt.“

Wyschywanka

Foto (7): Bohdan in Wyschywanka guckt auf seine Gitarre und ukrainische Flagge © İsa Can Artar & Daryna Axxi Degtiarova

Wyschyvanka – Ukrainisches Hemd mit traditionellen Stickmustern.

„Die ersten Monate waren schwierig. Da ich an der Humboldt Universität eingeschrieben bin,
habe ich die Zulassung zu spät erhalten, weshalb ich das Visum sehr spät beantragen
konnte und es auch sehr spät bekommen habe.
Ich verpasste alle Kennenlernaktivitäten, habe keine Freundschaften im Kurs gemacht,
hatte lange Zeit keine Unterkunft, habe bei kaum bekannten Leuten “mit gepackten Taschen”
gewohnt und reiste ständig von Ort zu Ort. Das Studium war auch sehr verwirrend, weil es
so schlecht organisiert war und das Rechtsdeutsch so schwierig.“

Gitarren

Foto (8): Fender Stratocaster, 2006 Japan and Ovation CDX, 1992 Korea&USA © İsa Can Artar &Daryna Axxi Degtiarova

Bohdan spielt sehr gerne.

„Ich fühle mich jetzt schlecht, ich mache mir Sorgen um meine Familie, volontärische
Aktivitäten helfen mir. Ich überlege, mein Studium um 2+ Jahre zu verkürzen, um in die
Ukraine zu fahren.“

Ring

„Dieser kirchliches Ring erinnert mich an einen wichtigen Menschen.“

Foto (9): Ring © İsa Can Artar &Daryna Axxi Degtiarova

 

Alla, 32 – geboren in Kirgistan, in Berlin seit Februar 2022

Alla und ihr Sohn Lem © İsa Can Artar & Daryna Axxi Degtiarova

„Ich wurde in Kirgisistan geboren, lebte dann in Russland und zog schließlich nach Odessa,
Ukraine. Besonders nahe steht mir die Familie meines Sohnes. I Berlin konnte ich
das Gefühl von Zuhause richtig erfahren.“

Gemalt am Flutgraben

Foto (10): Gemalt am Flutgraben © İsa Can Artar & Daryna Axxi Degtiarova

„Dies ist ein Aquarellbild, das ich am Flutgraben gemalt habe (Flutgraben – Künstlerresidenz, in der Alla und Lem sechs Monate gewohnt haben). Dieses Landschaftsbild symbolisiert den Beginn einer ruhigen Phase in meinem Leben. Ich verspürte den Wunsch, ein volles Leben zu führen und zu malen.“

Die Jungfrau Maria aus Frankfurt

Foto (11): Die Jungfrau Maria aus Frankfurt © İsa Can Artar & Daryna Axxi Degtiarova

„In der Innenstadt von Frankfurt am Main wurden mal Souvenirs verkauft, darunter stach eine Reproduktion der Jungfrau Maria heraus. Ich konnte meine Augen nicht von ihrem
brennenden Herzen in der Mitte ihrer Brust und ihren liebevollen Augen abwenden. Seitdem
begleitet mich dieses Gemälde. In schweren Momenten erinnert mich ihr loderndes Herz in
der Brust an die absolute Liebe und das Fenster, das jeder im Inneren hat. Laut meiner
Vorstellungen können Menschen wählen, wann und wem sie ihr inneres Fenster öffnen
(darunter ist die Seele gemeint – Anmerkung von Alla).“

T-Shirt für Lems Onkel

Foto (12): T-Shirt für Lems Onkel © İsa Can Artar & Daryna Axxi Degtiarova

„Kostya (Lems Onkel) dient derzeit in der ukrainischen Armee (VSU). Wir haben uns entschlossen, ein unvergessliches und sehr berührendes Geschenk für ihn zu machen. Wir druckten Fotos von Lem und Dasha (Kostyas Tochter) auf ein T-Shirt, sowie eine von Lems Zeichnungen, auf der alles für ein glückliches Leben steht – „Familie“, „Frieden“, „Liebe“ und sogar „Wassermelonen“. Auf dem T-Shirt befindet sich auch die deutsche Fahne als Symbol des Dankbarkeit für unser ruhiges Leben. Dieses T-Shirt erreichte seinen Besitzer und seitdem ist es kein einfacher Gegenstand mehr: Es ist ein verbindendes Element unserer Familie.  Jeden Tag bedanke ich mich bei Deutschland für all die Hilfe und Unterstützung.“

Daryna Axxi Degtiarova © privates Foto

Daryna (Axxi) Degtiarova, 21, Musikerin, Produzentin und Kulturmanagerin aus Charkiw, Ukraine. Derzeit studiert sie Publizistik und Kommunikationswissenschaft an der Freien Universität Berlin und arbeitet bei der Initiative Neue Musik. Seit ihrer Ankunft in Berlin im März 2022, kooperiert eng mit dem Cultural Workers Studio, um die ukrainische Kultur in Berlin zu verbreiten.

 

İsa Can Artar © privates Foto

Isa Can Artar lebt seit 2016 in Berlin. Ursprünglich aus der Türkei stammend, hat er journalistische Texte über die türkische Politik geschrieben. Er studiert derzeit Publizistik und Kommunikationswissenschaft an der FU Berlin, ein Studium, das er bald abschließen wird. Neben der Veröffentlichung von Texten beim Tagesspiegel hat er als studentischer Mitarbeiter für das We Refugees Archiv gearbeitet. Isa hat Erfahrung als Dolmetscher für Geflüchtete gesammelt, was seine beruflichen Interessen und Fähigkeiten ergänzt.

Im Rahmen des Projektes Flucht – Exil – Partizipation: Citizen Science zu historischen und aktuellen Fluchterfahrungen als partizipative Bildungsarbeit  haben Axxi und Isa das Fotoprojekt „Heimat im Wohnheim“ gemacht.

Die Fotoserie „Heimat im Wohnheim“ wurde erstmalig im Rahmen des Projektes Flucht – Exil – Partizipation: Citizen Science zu historischen und aktuellen Fluchterfahrungen als partizipative Bildungsarbeit entwickelt und auf der Webseite vom We Refugees Archiv veröffentlicht (08.11.2023).