Sie haben uns ein Ticket gekauft und ich bin mit meinem Mann nach Leipzig gegangen. Dort sind wir mehr als ein Jahr geblieben. […] Wir waren nicht in der Stadt, sondern in einem kleinen Dorf. Aber das war nicht so eine tolle Erfahrung, denn ich war ein Witz zwischen den Menschen im Dorf. Sie lachten immer über uns, zeigten auf uns und so. Ich glaube, sie hatten noch nie eine Frau mit Kopftuch gesehen. Ich war die Einzige. Zuerst haben wir in einem Aufnahmelager gewohnt, dann haben sie uns eine Wohnung gegeben, als wir den Aufenthalt[stitel] bekommen haben. Sie haben gesagt: ‚Flüchtling‘, ‚Bist du arabisch oder was?‘ Mein Deutsch war auch nicht sehr toll, ich habe nur zuhause Deutsch gelernt, weil die Schule eine Stunde mit dem Zug entfernt war. Hier in Berlin ist eine Stunde normal, aber auf dem Dorf ist es schwer, weil der Bus nur einmal in der Stunde kommt und der Zug auch. Wenn er weg ist, warte ich drei Stunden auf der Straße. […] Das war eine schwierige Zeit: Man sieht keine netten Menschen. Auch wenn wir einkaufen gingen, sahen sie mich komisch an. In Berlin ist es besser für mich, weil es Multikulti ist.
Ich möchte aber auch über eine Erfahrung sprechen, die ich in Berlin gemacht habe. Das war wirklich ein Stoß für mich. Ich habe mich bei einer Bank in Berlin für eine Ausbildung zur Bankkauffrau beworben. Sie haben mir eine Einladung zum Bewerbungsgespräch geschickt. Als die Mitarbeiterin mich das erste Mal gesehen hat, war sie überrascht – ich weiß nicht, warum, vielleicht wegen des Kopftuchs. Sie haben mich nicht begrüßt; ich habe meine Hand ausgestreckt und sie hat gesagt: ‚Jetzt nicht, wenn du gehst‘. Die ganze Zeit haben sie mir Fragen gestellt, die nichts mit der Arbeit zu tun haben: ‚Hast du Freunde in Berlin? Wo gehst du mit deinen Freunden hin? Was machst du mit deinen Freunden?‘ Sie haben mir eine Prüfung gegeben, und ich habe die ganze mathematische Prüfung gemacht. Und nach dem Bewerbungsgespräch sagten sie: ‚Die Ausbildung ist nur für Deutsche und du hast keine Persönlichkeit. […] Du solltest in der Kita arbeiten.‘ Dabei kann ich mit meinen Zeugnissen gar nicht in der Kita arbeiten, weil ich keinen Abschluss dafür habe, und ich für die Kita Zeugnisse brauche. […] Nach dieser Erfahrung habe ich eine Psychotherapie gemacht. Denn ich war am Anfang sehr begeistert, dachte, ich spreche Deutsch und kann es schaffen. Danach war ich so enttäuscht. Sie hat mich nicht mal begrüßt, dabei ist eine Begrüßung doch der erste Schritt.
Ich mag es nicht, immer zu sagen: Die anderen haben Schuld. Vielleicht habe ich etwas gemacht, das ich nicht so gemeint habe, vielleicht haben sie mich missverstanden. Aber ich mag es nicht, immer diese Rolle zu spielen: Die Rolle des Opfers. Ich verstehe es einfach nicht. Wenn jemand mir nichts antut, wieso sollte ich ihn dann hassen? Aber ich denke, dass es eine gute Erfahrung für mich ist. Nicht alle lieben mich. So ist das.
Ein Mensch bedeutet: Viele Erfahrungen, viele Gedanken, viele Gefühle. Wenn sie sagen, dass jemand Flüchtling ist, bedeutet das, er ist arm, er hat kein Geld, er hat keine Zeugnisse oder diese sind weniger wert als in Deutschland. Es gibt viele Vorurteile, das habe ich gespürt. Wenn jemand diese Gedanken über Flüchtlinge hat, sollte er mit ihnen sprechen, und danach kann er ein Urteil treffen.
Das Interview mit Alaa Muhrez wurde am 30.06.2020 von We Refugees Archiv in Berlin durchgeführt.
Infolge des Kriegs in Syrien flohen Alaa Muhrez und ihr Mann 2013 nach Ägypten. Nachdem Abdel Fatah El-Sisi dort durch einen Staatsstreich zum Präsidenten wurde, verstärkten sich die Probleme für Geflüchtete: Es wurde immer schwerer, eine Arbeit zu finden, sodass Alaa und ihr Mann beschlossen, nach Deutschland zu gehen. Von Ägypten nach Italien fuhren sie und ihr Mann mit einem kleinen Boot, auf dem 400 andere Menschen waren. Sie wechselten mehrmals das Boot. „Wenn man aufstand, konnte man sich nicht wieder setzen“, erklärt Alaa, so eng sei es gewesen. Nach der gefährlichen Reise kamen sie in Catania, Sizilien an. Dort wurden ihre Personalien aufgenommen. Sie wussten, dass es für die Weiterreise schwierig sein könnte, sich in Italien um einen Aufenthaltstitel zu bewerben, weshalb sie die Aufnahme der Papiere nicht abwarteten.
Mit dem Flugzeug gelangten sie nach Österreich und von dort nach München. Von München wurden sie nach Leipzig gebracht, und ihnen wurde eine Wohnung in einem Dorf in der Nähe zugewiesen. Alaa berichtet über mehrere Vorfälle von Diskriminierung, die sie dort erleben musste. Nach über einem Jahr kamen sie nach Berlin, wo sie nach einiger Zeit eine Wohnung und Arbeit fanden. Alaa spricht über die Diskriminierungserfahrungen, die sie in ihrem Alltag in Leipzig und Berlin machen musste, und über ihr Bewerbungsverfahren in einer Berliner Bank, bei dem sie mit Rassismus konfrontiert wurde.
Das Interview mit Alaa Muhrez wurde am 30.06.2020 vom We Refugees Archiv in Berlin durchgeführt.