The Arrival of Hannah Arendt
Dieser Film beschreibt das Ankommen von Hannah Arendt - einer jüdischen, deutsch-amerikanischen politischen Theoretikerin und Publizistin - in New York und ihre Reflektionen über Flucht und Unterstützung beim Neuanfang.
New York ist schließlich heute noch die Stadt mit der größten jüdischen Bevölkerung der Welt, mit allen Arten von Juden.
[…] Und wie die Spitze von Manhattan aufgestiegen ist aus dem Wasser, ich glaube, es war Nachmittag, war ich ungeheuer bewegt und beeindruckt, natürlich. Am Anfang wurde ich erst mal untergebracht von der HIAS, der jüdischen Emigrantenhilfsorganisation. Hebrew Sheltering and Immigrant Aid Society of America. Die gibts auf der ganzen Welt, heute noch. Ich war einer von den Zweitausend, die hier in einer außerordentlichen Aktion hereingebracht wurden, ohne Quote. Eine Aktion, und da muss ich dem Lande ewig dankbar sein, die von Mrs. Roosvelt initiiert wurde, um wenigstens die, wie sagt man das, die creme of the crop, die intellektuelle Oberschicht, die in Gefahr war, zu retten. Und ich bin dank meinem Freund Graf auf diese Liste gesetzt geworden. Daher steht in manchen Büchern über die Zeit komischerweise, dass unter anderem Marc Chagall, Thomas Mann und George Asher gerettet wurden, steht wirklich da, obwohl ich mich keinesfalls als Gleicher fühle, nicht zugehörig. Zweitausend Leute, eine spezielle Aktion also. Und ich war unvermuteter- und unverdienterweise einer der Zweitausend…
Übrigens, die amerikanischen Juden, die sehr geholfen haben, wenn man hier war, nicht vorher, doch auch, haben sich beklagt: warum gehen die deutschen Juden alle nach Washington Heights, was nachher den Namen „das Vierte Reich“ erhalten hat. Warum? Weil ein deutscher Jude so ist wie ein Deutscher: das erste ist eine anständige Wohnung. Ich habe mich entschlossen, wenn ich schon in Amerika bin, dann will ich in New York sein. Wenn ich in New York bin, will ich in Manhattan sein. Und ich bin dann hier nach Manhattan 85. Straße übersiedelt. […]
Ich habe also Arbeit gesucht. lange konnte ich von den achtzig Dollar Startgeld nicht leben. Wenn ich mich genau erinnere, der erste Job, den ich bekommen habe, war in einem Coffeeshop. Es war sehr schön und gut, und ich hab also Englisch verstanden, aber ich konnte natürlich nicht die Fachausdrücke, die bei einem solchen Beruf notwendig sind. Wenn also jemand, speziell zur Lunchzeit, wenn man seine Sekunde Zeit hat, gerufen hat „draw one“, hab ich nicht gewusst, dass heißt Kaffee. […]
Und ich habe viele der Emigranten, die politisch tätig waren, angesehen, wie man seinerzeit die russischen Emigranten ansah, die in den Caféhäusern in Paris sitzen und warten, bis die Bolschewiken gestürzt werden. Und noch immer drauf warten. Ich wollte keiner von denen sein. Man wußte nicht, wie lange der Krieg dauert. Man wußte nicht, werden wir jemals zurückgehen? Ich war wohl so eingestellt, wie Thomas Wolfe sagt, „you can’t go home again“. Daß es eigentlich kein Zurück gibt.
Wie waren denn die anderen Emigranten?
Man muss unterscheiden. Da waren die jüdischen Emigranten, die einfach vertrieben und geflüchtet sind, rausgeworfen aus ihrem Dasein. Ihr einziges Interesse war, sich zu etablieren. Einen Job zu haben, einen Beruf zu haben, eine Frau zu heiraten, irgendwie zu leben. Die aber doch wie jede Emigration in diesem Land in ihrem Zirkel leben. Hier haben sich die jüdischen Emigranten damals oben in Washington Heights angesiedelt. Viele Amerikaner haben das übelgenommen. Die deutschen Juden waren ja wie die anderen Deutschen, die müssen eben erst eine anständige Wohnung haben. Und womöglich anständig angezogen sein. Das Essen spielt nicht so eine Rolle. Und die Gegend war neu. Und damals gab es keine Wohnungsnot in Amerika. Es war Sitte damals, dass die Leute jedes Jahr im Oktober umgezogen sind, man konnte für ein Nichts Möbel kriegen. Man konnte sie auf der Straße aufklauben, die Leute haben die Möbel weggeworfen, wenn sie umgezogen sind. Man konnte sie anständig einrichten.
Die andere Gruppe, der ich natürlich viel mehr zugeneigt war, das waren die Politischen. Wovon es aber nicht sehr viele gab. Das waren doch alles Linke. Es gab auch Rechte. Aber ich habe es abgelehnt, Emigrantenpolitik zu machen. […]
Es gab ein Lokal in der Village, wo die Valeska Gert ein Cabaret gehabt hat, wo man zusammengekommen ist. Gewisse Freunde haben sozusagen open house einmal in der Woche gehabt, da es doch hier keine Caféhäuser gab. Es gab ja nur auf der 72. Strasse das „Eclair“. Das war ein Caféhaus, wo damals schon meistens solide werdende deutsch-jüdische Bürger zusammengekommen sind. Und meine freund Oskar Maria Graf hat gerne einen Kreis um sich versammelt, wo er seine Bücher vorlesen konnte. Daraus ist eine Diskussion geworden. Und man ist abwechselnd in den verschiedenen Wohnungen so ein-bis zweimal im Monat zusammengekommen, und er hat vorgelesen aus dem, was er so gerade geschrieben hat. Das wurde dann diskutiert. Waren vielleicht fünfzehn, zwanzig Leute da. […]
Und so haben wir ein Lokal gefunden, die „Blaue Donau“ und haben Freunde eingeladen. Daraus ist ein Stammtisch geworden, der bis heute und alle die Jahre hindurch besteht und durch den viele, viele Menschen gegangen sind: Gewöhnliche, Ungewöhnliche, Bedeutende, Wichtige, Schriftsteller, Ganzdurchschnittsmenschen, Jüngere, Ältere, Leute wie Brecht, Verleger, Zuckmayer und die Frau vom…weiß der Deibel, alle möglichen. Ich kann gar nicht mehr alle aufzählen.
Harry Asher – ursprünglich Georg Auscher- wird in Wien geboren. Der Vater ist Generalvertreter einer Textildruckerei. Im Jahr 1920 siedelt die Familie in die Tschechoslowakei über, woher die Eltern stammen. Ende der 1920er Jahre wird Harry Asher Mitglied der Kommunistischen Partei, von der er sich unter dem Eindruck der Moskauer Prozesse wieder trennt. Im Jahr 1939 erlebt er in Prag den Einmarsch der deutschen Truppen mit, kann nach Paris fliehen und wird bei Kriegsbeginn interniert. Im Frühjahr 1941 bekommt er ein Affidavit für die Vereinigten Staaten und erreicht Ostern 1941 New York. Er lebte in der 72. Straße West in Manhattan. In seinem Gespräch mit dem Autor des Buches „Die verheißene Stadt“ Thomas Hartwig stellt Harry seine ersten Erfahrungen, Schwierigkeiten und Begegnungen mit anderen Emigrant: innen in New York dar.
Thomas Hartwig, Achim Roscher, 1986: Verheißene Stadt: Deutsch-jüdische Emigranten in New York. Gespräche, Eindrücke und Bilder. Berlin: Das Arsenal. S.36, 41-42, 44-46.