Friederike Ergas an die American Guild, Januar 1940

In diesem Brief beschreibt Friederike Ergas die Lebenssituation ihrer Freunde Jenny Schaffer Bernstein und Otto Bernstein, die dringend finanzielle Unterstützung der American Guild for German Cultural Freedom benötigen, um ihr Visum nach Amerika bezahlen zu können.

7. Januar 1940

Pyla sur Mer, Gironde

An die AMERICAN GUILD FOR GERMAN CULTURAL FREEDOM Inc.

New York, N.Y. 20 Vesey Street

Sehr geehrter Herr,

Ich erlaube mir mit diesen Zeilen Ihre gütige Aufmerksamkeit auf ein Künstlerpaar zu lenken, das gegenwärtig noch in Berlin lebt,- das heisst, wie Sie wissen: sein Dasein in Qual dahinbringt. Die Namen Frau Jenny Schaffer-Bernstein und Otto Bernstein, ihr Mann. Wohnhaft: Berlin-Halensee, Joachim-Friedrichstrasse 43, Gartenhaus 3.

Frau Jenny Schaffer war jahrelang Mitglied der Dresdner Hofbühne, wo sie eine allererste, künstlerische Stellung einnahm, ausserordentlich beliebt bei Publikum und dem gesamten Theaterpersonal. Der Umschwung kam. Sie musste ihre Stellung aufgeben und siedelte mit ihrer Familie, Mann und Sohn, nach Berlin über. – Dort spielte sie während der 6 vergangenen Jahre alle Hauptrollen in neugegründeten Kulturbundtheater. So zuletzt in der Zeit, als man die Synagogen überall in Brand setzte – spielte sie 4 Monate lang täglich unter Lebensgefahr die Hauptrolle der ‘Frau Alving’ in Ibsen ‘Gespenster’, nur um den armen, verquälten Menschen, die sich doch noch am Abend aus dem Haus wagten – ein paar Stunden der Erbauung zu geben.

Ihr Mann Otto Bernstein ist der im früheren Deutschland sehr bekannte Vertragsmeister. Er hat auch oft aus Thomas Mann’s Schriften gelesen und es wird gebeten sich bei Herrn Thomas Mann eventuell eine Auskunft über Otto einzuholen. Infolge der Zeitumstände hat sich Otto Bernstein natürlich auch Umstellen müssen. Er ist heute Buchbinder und gelernter Buchdrucker und kann jederzeit in diesem Berufe für sich und seine Frau den Lebensunterhalt verdienen. Dazu kommt dass Otto Bernstein eine verheiratete Schwester hat, sie seit mehreren Jahren schon nach Chile mit ihrem Mann, der auch Buchbinder ist, ausgewandert und dort bereits seit langem eine Lebensposition errungen hat – sodass sie ihren Bruder und dessen Frau dort fürs erste aufnehmen und behilflich sein könnte beim Beginn des neuen Lebensaufbaues. Ihr Sohn, ein 19 jähriger begabter Mensch, ist vor einem halben Jahr nach Shanghai ausgewandert und hat heute nach sehr schweren Zeiten, bereits eine Position als Sekretär bei einer amerikanischen Schriftstellerin. Seine Adresse ist: Wolfgang Bernstein, ℅ E. Hahn 1826 Avenue Joffre, Shanghai.

Wie mir mitgeteilt ist – hat Frau Jenny Schaffer und ihr Gatte alle zur Ausreise erforderlichen Dokumente, Billets und Affidavit,- es fehlt ihnen Beide aber die Summe von 350 Dollar für das Visum.- Holländische Freunde und ich selber haben mit grosser Mühe, denn man ist selber Rèfugie – die Summe von 100 Dollar zusammen bekommen, aber die restlichen 250 Dol. fehlen und wir haben die bittersten Sorgen um diese beiden Menschen, die in besseren Zeiten selber anderen halfen wo sie nur konnten. Die so viel Gutes getan haben an Bedürftigen. Daher wage ich die aufrichtige Bitte und kann vor allem die absolute Versicherung geben, dass diese beiden wertvollen Menschen, die von Bernstein’s Schwester in Chile sofort aufgenommen werden könnten, – dort niemanden zur Last fielen. Im Gegenteil wohl gleich in jeder weise ein nutzbringendes Leben zu führen imstande wären.

In dem tiefen Glauben und der Hoffnung, dass meine Darlegung und Bitte ein gütiges, geneigtes Ohr finden – erlaube ich mir noch auf die entsetzliche Gefahr aufmerksam zu machen, die in den neuen Verordnungen – die Zwangsdeportationen nach Polen betreffend – bestehen, dass daher schnelle Hilfe ein Gotteswerk wäre,

Zeichne ich mit dem Ausdruck meiner ergebenden Hochachtung

Friederike Ergas

Jenny Schaffer Bernstein (1888-1943), geboren in Wien, war eine jüdische österreichische Schauspielerin in Deutschland. Sie trat das erste Mal im Jahr 1911 professionell beim Deutschen Theater unter der Leitung von Max Reinhardt. In den folgenden Jahren arbeitete sie im Königlichen Hoftheater und im Dresdner Schauspielhaus. Nachdem die Nationalsozialisten an die Macht kamen entschied sie sich mit ihrem Mann, Otto Bernstein, nach Berlin zu ziehen. Dort wurde sie Mitglied des Jüdischen Kulturbundes.

Otto Bernstein (1887-1943) war ein deutscher Schauspieler und Regisseur. Er arbeitete beim Hildesheimer Stadttheater, in Berlin und in Dresden, wo er auch das erste Mal als Regisseur arbeitete. Im Jahr 1933 erlebte er, so wie seine Frau, einen schweren Karriereeinbruch durch die Ausgrenzung vom deutschen Kulturbetrieb. Wie seine Frau wurde er Mitglied des Jüdischen Kulturbundes. Im Frühjahr 1943 wurden Jenny Schaffer Bernstein und Otto Bernstein ins KZ Auschwitz-Birkenau deportiert und ermordet. Es kann angenommen werden, dass das Ehepaar das Geld von der American Guild for German Cultural Freedom nie bekommen hat.

Die American Guild for German Cultural Freedom war eine Organisation, die deutschen Künstlern, Schriftstellern und Intellektuellen im Exil half, deren Arbeitsmöglichkeiten durch die faschistische Regierung in Deutschland beeinträchtigt waren. Das Ziel der Organisation war es, die deutsche Kultur außerhalb Deutschlands am Leben zu erhalten. Die American Guild for German Cultural Freedom half diesen Menschen durch finanzielle Unterstützung. Die Flucht- udn Ankommenserfahrung der deutschen Exilierten war für jeden Einzelnen unterschiedlich. Eine der Hauptschwierigkeiten ist die Anpassung an einen völlig neuen Ort und das Auffinden eines Unterstützungssystems. Die American Guild for German Cultural Freedom versuchte, die deutschen Exilierten so zu unterstützen, dass sie sich auf ihre Arbeit konzentrieren konnten.

Brief von Friederike Ergas an die American Guild for German Cultural Freedom, Januar 1940 © Deutsches Exilarchiv 1933–1945 der Deutschen Nationalbibliothek.