Herman Kruk über Sarkasmus in der Geflüchteten-Wäscherei
Herman Kruk war Geflüchteter aus Warschau, der für die jiddische Zeitschrift Folks-gezunt (Volksgesundheit) der Hilfsorganisation TOZ Reportagen über die Geflüchtetensituation in Vilnius schrieb und als Insider einzigartige Einblicke überlieferte. Für diese Reportage besuchte Kruk eine Großwäscherei, die von TOZ für Geflüchtete mit Geflüchteten eingerichtet wurde, und erzählt von der Entstehung eines eigensinnigen Humors.
Juden geben Chamberlain Ratschläge und beschweren sich:
– Warum schießt er nicht?
– Wieviel länger will er noch schweigen?…
Dann erinnert man sich aber schnell, dass man nicht mehr als ein sündiger Flüchtling ist und… schmeißt die zwei Hemden zusammen, rennt mit ihnen zum „Komitee“, zum „TOZ“. Dort gibt es eine Quittung, um 8 Kleidungsstücke zu waschen.
Anwalt X kann die Ungerechtigkeit nicht ertragen, die die Welt an ihm begangen hat: 6 Monate schon ist er kein Anwalt mehr. Er schleppt sich über die Gassen von Vilnius, steht an in Schlangen, um die Ehre zu erhalten, dass seine 8 Kleidungsstücke in der Wäscherei von „TOZ“ angenommen werden.
Eine Gruppe von Freunden, die da in der Schlange stehen, machen sich lustig:
– Berl, wo hast du die Pyjamas?
Eine Dame, die „unglücklicherweise“ sozial gefallen ist und auch zum „TOZ“ kommen muss, kann es nicht vertragen:
– Hier gibt es wirklich nichts, über das man sich lustig machen könnte…
Jeder hat seine Interessen. Der Ingenieur Z. ist Chemiker und ihn interessiert die „Skalbikle“ (Wäscherei) sehr.
– Peanuts, eine Wäscherei, die über 50.000 Kleidungsstücke im Monat ausgibt!
Der Verwalter der Wäscherei ist liebenswürdig und klärt auf:
Die Wäscherei arbeitet in drei Schichten. Es gibt 58 Arbeiter und Angestellte, Juden und Christen. Hier sind die besten Fachmänner der Stadt beschäftigt.
– Wir bedienen alle jüdischen Geflüchteten, im Durchschnitt um die 7.000 Interessenten im Monat, die meisten davon Geflüchtete aus den Wohnheimen, Essensausgaben und Kibbutsim. Heutzutage ist das eine der größten jüdischen Unternehmen in ganz Vilnius.
Wir spazieren mit dem Ingenieur durch die eigenartige Geflüchteten-Wäscherei von „TOZ“:
22 Menschen habe ich bei den Waschwannen gezählt. Die Wäscher wiegen sich schwer – Wäsche von Geflüchteten waschend.
Schon klären sie uns auf:
– Wann soll die Wäsche angeschaut werden?
– Schmutzig ist kein Wort, um sie zu beschreiben…
– Wenn ihr den Zustand der Wäsche sehen würdet, wie kann man sowas waschen?
Und eine Wäscherin trägt aus einer Waschwanne ein bisschen Wäsche, über die schwer zu sagen ist, ob das ein Hemd ist oder…
Der Verwalter übersetzt:
– Eigentlich hatte man geplant, bei der Wäscherei einen Punkt einzurichten, an dem geflickt wird. Es hat sich aber herausgestellt, dass man theoretisch 90 Prozent der Wäsche reparieren müsste. Wer könnte das schaffen? – Das hätte doch ein riesiges Budget verschlungen. Von wo sollen wir dafür das Geld nehmen?
– Wir benutzen hier – sagt der Verwalter – eine halbe Tonne Seife pro Monat. 12 Presser arbeiten 24 Stunden pro Tag.
Um alle pünktlich bedienen zu können, sind wir gezwungen, einen Mechanismus einzurichten, durch den die Wäsche auf eine schnelle Weise trocknet. Wir haben schon das Maximum erreicht – 3 Stunden dauert das Trocknen eines Transports an Wäsche.
Es gibt auch spezielle Maschinen, um die Wäsche auszuwringen: sie erspart uns 75 Prozent Arbeit. Der „TOZ-OZE“ – erzählt der Verwalter stolz – überlegt jetzt, die ganze Wäscherei zu mechanisieren, kauft eine Maschine und will die Räumlichkeiten ändern – das wird unsere Arbeit noch mehr rationalisieren und beschleunigen.
Wir gucken die Wäsche an: rein, gewaschen ohne Chlor und… die Witze in der Schlange gehen weiter ohne Unterlass.
Das Fräulein, das die Wäsche zum Waschen annimmt, klärt auf, dass solch zerrissene Kleidung schwer zu waschen ist. Zwei jüngere Geflüchtete stimmen ihr zu:
– Bitteschön, gibt mir einfach eine Quittung für die Geflüchtetenkommission, vielleicht werde ich dort ein Hemd kriegen?
Der Zweite fährt fort:
– Junge, schreiben Sie ein „Petition“ und legt sie zum Hemd dazu und dass ihr einen Monat warten werdet, dann…
– Dann werde ich eine Absage bekommen – beendet der Erste…
Die Geflüchtetenmenge ist, wie wir sehen, fröhlich und macht Witze auf Kosten der Flüchtlingsnot.
Einige Tage nach dem deutschen Überfall auf Polen beschließt Herman Kruk (1897-1944), polnischer Jude und Aktivist des Bund, angesichts der immanenten Gefahr durch die heranrückende Wehrmacht aus Warschau zu fliehen. Kruk floh nach Vilnius, wo er als Reporter für die jiddische Zeitschrift Folks-gezunt im Frühjahr 1940 über die Geflüchtetensituation, Geflüchtetensorgen, Unterstützungsnetzwerke und Identitätsfragen berichtete und philosophierte.
In Vilnius lebte er fast vier Jahre und durchlebte das Schicksal der jüdischen Gemeinde unter sowjetischer, litauischer, wieder sowjetischer und schließlich deutscher Besatzung. Von 1941 bis 1943 lebte er im Vilnaer Ghetto. Seine Zeit in Vilnius dokumentierte Kruk als Chronist und berichtete über die Unterstützungsnetzwerke für polnisch-jüdische Geflüchtete vor der deutschen Besatzung der Stadt, von seinen vergeblichen Versuchen, aus der Stadt zu fliehen, von seiner Verzweiflung über den Einmarsch der Wehrmacht und seiner Trauer über das Schicksal seiner Heimatstadt Warschau, aber auch über seine Beweggründe, das Erlebte für die kommenden Generationen schriftlich festzuhalten. Im Jahr 1943 wurde er in das Konzentrationslager Klooga nahe Tallinn deportiert, wo er im September 1944 kurz vor dem Eintreffen der Roten Armee ermordet wurde. Teile seines Manuskripts sind bis heute verschollen.
Exzerpt:
Kruk, Hermann, April 1940: Pleytim (2ter reportazsh), pp. 11–13 in: Folksgezunt: Ilustrirter populer-visnshaftlekher zshurnal far higyene un meditsin 4, p. 12.